Die älteste Sozialdemokratin
Was Luise Nordhold bisher in ihrem hundertjährigen Leben erlebte.
Luise Nordhold
Seit fast 86 Jahren ist Luise Nordhold in der SPD und damit das dienstälteste Mitglied der Partei in Deutschland. Am 12. März wird sie 100. Sie ist eine außergewöhnliche Frau, nach wie vor geistig rege. Zu ihrem Leidwesen kann sie seit zwei Jahren nicht mehr lesen, was ihre Möglichkeiten einschränkt, am politischen Diskurs teilzunehmen. Auch das Laufen fällt ihr schwer. Sie lässt sich aber nicht unterkriegen. Davor hat sie eine glückliche Kindheit bewahrt, wofür sie heute noch dankbar ist. Wohl deshalb ist sie ein bewusster »Familienmensch«. Ihre Kinder, Enkel und Urenkel sind ihr Ein und Alles – und sie wissen es zu schätzen.
Luise Nordhold hat stets ein bescheidenes, aber innerlich reiches Leben geführt. Hineingeboren in eine lesende Arbeiterfamilie in BremenGröpelingen, war sie Mitglied bei den Kinderfreunden »Rote Falken« und der Sozialistischen Arbeiterjugend. In der Familie stand die Politik obenan. Alles ist Politik: der Brotpreis, die Miete und der Lohn – so der Vater, Dreher bei der AG Weser und Sozialdemokrat. Als Hitlers »Mein Kampf« erschien, verschaffte er sich das Pamphlet. Am Küchentisch wurde darüber diskutiert – und die Familie wusste seither, wohin die Reise gehen würde, sollten die Nazis an die Macht gelangen. Luise Nordhold demonstrierte 1932 unter dem Slogan: »Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!«
Doch sie empfand die SPD als nicht entschieden genug im Kampf gegen den drohenden Faschismus. Als sich im Herbst 1931 die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) gründete und im Folgejahr drei SAP-Genossen in ihrer Volkstanzgruppe auftraten, beschloss sie, aus der SPD auszutreten. Sie erwartete ein Donnerwetter des Vaters. Doch der blieb ruhig und überzeugte sie, in der Partei zu bleiben. Eine weitere Abspaltung in der Arbeiterbewegung schwäche die Kampffront gegen den Faschismus. Die KPD kam für sie nicht in Frage, brandmarkte diese doch die Sozialdemokraten als »Sozialfaschisten«. Danach gefragt, ob sie später noch einmal daran gedacht habe, der Partei den Rücken zu kehren, antwortet Luise Nordhold: »Nein, aber ich sage, was mir an der SPD nicht gefällt.« Und: »Wenn man etwas ändern will, nutzt ja kein Austreten.«
Nach 1933 half sie, Familien inhaftierter Genossen zu unterstützen. 1944 verloren die Nordholds nach einem Bombardement auf Bremen ihre ganze Habe. Gleichwohl ergingen sie sich nicht in Selbstmitleid. Auch einen Rückzug ins Private gab es nicht. Im Herbst 1945 gründeten sie mit Freunden den SPD-Ortsverein Ihlpohl bei Bremen. Über Jahrzehnte hinweg engagierte sich Luise Nordhold für die Rechte von Frauen und Kindern und eine bessere Ausstat- tung von Schulen. Sie unterrichtete Nähen und Textiles Werken. Im Ortsverein war sie Schriftführerin, manchmal Kassiererin, wie einst ihr Vater. Zwölf Jahre lang vertrat sie die Partei im Gemeinderat. Hohe Ämter wollte sie nie. »Warum auch?«
Ungeachtet der deutschen Teilung hielt sie Kontakt zu ihren sozialdemokratischen Dresdner Genossen in der DDR. Freundschaft, Solidarität und Hilfsbereitschaft standen Pate bei ihrem Engagement für die »Arbeiterwohlfahrt« und einsame Menschen sowie bei ihrem Bemühen um eine Aussöhnung mit Israel. Oft stimmte Luise mit dem Parteivorstand nicht überein. Zwar fand sie nicht alles an Gerhard Schröders Politik verkehrt, aber sie war nicht damit einverstanden, dass er so viel Luise Nordhold nennt die Dinge beim Namen. Niedriglohnarbeit in Kauf nahm. Dass er gleich nach dem Ende seiner politischen Karriere in die Wirtschaft ging, verübelt sie ihm noch heute. »Früher«, so Luise Nordhold, »wussten alle SPD-Größen noch, woher sie kamen und blieben auch dort – in der Arbeiterbewegung.« Große Bewunderung hegt sie für Willy Brandt, Egon Bahr und Hans Koschnick. Sie hätten durch ihre Aussöhnungspolitik dem Osten gegenüber die Kriegsgefahr verringert und den europäischen Frieden sicherer gemacht.
Luise Nordhold ängstigt sich vor Putin, Erdogan und Trump. Sie will, dass Deutschland aufhört mit den Waffenexporten, tritt für die Gleichberechtigung der Frauen ein und hofft darauf, dass Martin Schulz die Partei wieder dahin bringt, »wofür wir immer gekämpft haben«. Sie traut ihm viel zu. Er kenne die Nöte der Menschen, stamme aus kleinen Verhältnisse und habe das nie vergessen.
Mit großer Sorge erfüllt sie das Anwachsen des Rechtspopulismus. »Das habe ich alles schon einmal erlebt, wenn auch unter anderen Vorzeichen als heute.« Mit altem Wein aus neuen Schläuchen möchte sie nichts zu tun haben. Sie vertraut darauf, dass ihre Partei es anders macht als vor 1933, sich nicht passiv verhält, sondern sich zum »Bollwerk der Demokratie« erklärt und jenen Kräften, die Deutschland und Europa ihre nationalistischen und fremdenfeindlichen Politikkonzepte aufzwingen wollen, eine klare Absage erteilt. Sie beschönigt und verklärt nichts, nennt die Dinge beim Namen.
Zu ihrem 100. Geburtstag erschien jetzt eine Biografie von Tim Jesgarzewski, deren Titel »Für Freundschaft, Solidarität und soziale Gerechtigkeit« ihr Lebensmotto formuliert (Donat Verlag, 192 S., geb., 12,80 €). Das Vorwort schrieb Hans Koschnick. Luise Nordhold ist stolz auf die Werte der sogenannten kleinen Leute: Geradlinigkeit, Uneigennützigkeit und Engagement für Frieden unter den Völkern.
Alles ist Politik: der Brotpreis, die Miete und der Lohn – so der Vater, Dreher bei der AG Weser und Sozialdemokrat. »Ich sage, was mir an der SPD nicht gefällt ... Wenn man etwas ändern will, nutzt ja kein Austreten.«