»Wir verschaffen uns Gehör«
Deni Sanxhaku über Albaniens neue, junge Linke in der Hauptstadt Tirana
Deni, in Albanien gab es unter Enver Hoxha von 1944 bis zu seinem Tode 1985 und dann noch bis 1990 ein kommunistisches System. Jetzt gibt es Ihre Gruppe. Was unterscheidet Albaniens Neue Linke von der damals herrschenden Partei der Arbeit Albaniens (PAA)? Zuerst einmal: Wir sind keine Stalinisten, und das System unter Hoxha war Stalinismus. Wir engagieren uns außerdem gegen Rassismus, Antiziganismus und Sexismus in der albanischen Gesellschaft. Diese Themen kamen damals nicht vor. Allerdings gab es damals ein gerechtes Bildungssystem und einen Sozialstaat. Beides wird seit dem Ende der PAA-Herrschaft im Jahre 1992 nach und nach abgeschafft. Alle Parteien, die wir seitdem haben, betreiben einen aggressiven Neoliberalismus. Das wollen wir ändern, und dafür stehen wir. Wie lange sind Sie schon politisch aktiv? Ich habe mich schon immer engagiert, schon in der Schule. Aber so richtig aktiv bin ich erst seit dem 21. Januar 2011. Was ist an dem Tag passiert? Damals fanden hier Proteste statt. Viele Menschen sind gegen Korruption auf die Straße gegangen. Anlass war ein Fernsehbericht über einen Skandal, in den auch Regierungsmitglieder verwickelt waren. Es wurde nachgewiesen, wie sehr zwei Minister vom Abbau der Sozialleistungen finanziell profitiert hatten. Natürlich wussten auch vorher schon alle, dass Korruption in Albanien ein großes Problem ist, aber zumeist nicht, welche Bereiche konkret betroffen sind. Die Arbeitslosigkeit war damals gerade extrem hoch. Das heizte die Stimmung zusätzlich an.
Die Sozialistische Partei, die damals in der Opposition war, organisierte daraufhin Proteste in Tirana, zu denen Tausende kamen, bis der Ministerpräsident Militär und Polizei losschickte. Die verschossen Tränengas, Wasserwerfer wurden eingesetzt. Am Ende standen nur noch ein paar hundert Leute vor dem Amtsgebäude des Ministerpräsidenten, da fing das Militär plötzlich an, auf sie zu schießen. Für viele Menschen in Albanien war das der Moment, in dem sie dachten: Vielleicht gibt es in diesem Land einfach keine Hoffnung. Sie wurden danach noch apathischer. Das hat Sie politisiert? Ich hatte so einen richtigen »Jetzt erst Recht«-Moment! Ich dachte: Ich muss das ändern! Ich muss es selber in die Hand nehmen. Haben Sie es geändert? Ich habe mit ein paar Freunden unsere Gruppe »Organizata Politika« gegründet. Damals waren wir nur weni paar Leute und hatten nur vage Ideen, was wir machen wollen. Aber mittlerweile sind wir viele und haben in den letzten fünf Jahren einiges auf die Beine gestellt. Bis vor kurzem gab es hier niemanden, der über die Interessen der Arbeiter gesprochen hat. Arbeiter sind an den Rand der Wahrnehmung gedrängt worden und kommen maximal in statistischen Aufzählungen vor, zum Beispiel wenn mal über die zahlreichen tödlichen Unfälle in Fabriken berichtet wird. Wir versuchen, das zu ändern. Gelingt Ihnen das? Wir verschaffen uns Gehör. Wir treten regelmäßig im Fernsehen auf, geben Interviews in Zeitungen und rücken diese Themen in den Mittelpunkt. So sind wir ein Faktor in der öffentlichen Meinung geworden. Die Medien interessieren sich für uns. Es gibt ein Bedürfnis nach neuen Gesichtern, nach neuen Stimmen, nach neuer Artikulation. Ihre Gruppe ist außerdem Mittelpunkt der Studierendenproteste. Diese Proteste fingen vor zwei Jahren an. Die Regierung hat damals einen Gesetzentwurf vorgestellt, der im Grunde auf die Privatisierung der Universitäten hinauslief. Geisteswissenschaften oder Kunststudiengänge hätten damit komplett verschwinden können. Wie sind Sie dann vorgegangen? Wir haben angefangen, die Studenten über das Gesetz zu informieren und öffentliche Versammlungen dazu einberufen. Dabei wurde über die Rolle der Universität in der Gesellschaft gesprochen und darüber, dass Hochschulen zu kritischem Denken motivieren und Menschen auch dazu erziehen sollten, für ihre Rechte und für die anderer einzustehen und so zum Allgemeinwohl beizutragen. Damit haben wir wohl bei vielen einen Nerv getroffen. Es haben sehr Viele mitgemacht. Diese Proteste haben viele junge Leute in Albanien politisiert. Wo sehen Sie aktuell die Hauptprobleme in Ihrem Land? Die radikale Privatisierung, die praktisch von allen Parteien vorangetrieben wird, ist der Kern allen Übels in Albanien. Nach den Unternehmen, die in den 90ern privatisiert wurden, wird jetzt die öffentliche Infrastruktur verkauft: Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, Energieversorgung, Telekommunikation. Selbst die öffentlichen Parks und Plätze wurden mitt- lerweile an Unternehmen verschachert. Jetzt werden sie zugebaut – eine Katastrophe in einer Stadt, die so mit Abgasen und anderer Umweltverschmutzung zu kämpfen hat wie Tirana. Leider ist es wahnsinnig schwer, etwas dagegen zu unternehmen. Was macht es so schwer? Ein Beispiel: Wir haben gerade versucht, Proteste gegen die Erhöhung von Ticketpreisen bei den öffentlichen Verkehrsmitteln in Tirana zu organisieren. Die Tarife wurden erhöht mit dem fadenscheinigen Argument, dass die privaten Transportunternehmen ihre Angestellten sonst nicht bezahlen könnten, was schlicht und einfach nicht stimmt. Man müsste also meinen, die Menschen hätten selbst ein Interesse daran, dagegen vorzugehen. Das ist aber nicht passiert. Im Gegenteil. Die Busfahrer sind für die Erhöhung der Fahrpreise auf die Straße gegangen, also für die Profite der Transportunternehmen. Sie sagen, die Parteien sind im Grunde alle gleich. Man liest in Deutschland aber ab und zu positive Berichte über Ministerpräsident Edi Rama, etwa dass er gegen die Korruption kämpft und sich für Umweltschutz einsetzt. Auch dass Tirana bunter, internationaler geworden ist und mehr Touristen kommen, wird ihm zugeschrieben. Wie stehen Sie zu ihm? Schön wär’s, wenn es so wäre! Rama ist sehr gut darin, seine Biografie als Künstler zu vermarkten. Er ist als solcher international bekannt, hatte Ausstellungen überall auf der Welt, und deswegen mögen ihn wohl viele Menschen. Er steht für einen für Albanien neuen Politikertypus: modern, charismatisch, weltoffen. Rama ist sehr gut darin, Maßnahmen, die er schon als Bürgermeister von Tirana angestoßen hat, auch international als Erfolge zu verkaufen.
Aber er betreibt, genau wie die Ministerpräsidenten vor ihm, eine neoliberale Politik und ist ebenfalls in Korruptionsskandale verstrickt, vor allem was Baugenehmigungen angeht. Mit den Architekten und Bauunternehmen, mit denen er heu- te als Ministerpräsident zusammenarbeitet und denen er Aufträge erteilt, hat er schon früher zusammengearbeitet. Mittlerweile hat Ihre Gruppe immerhin einen Ort, an dem sie sich treffen kann: Ihr Social Center. War es schwierig zu bekommen? Ehrlich gesagt, nein. Wir haben das Haus vor zwei Jahren gemietet. Hätten wir es besetzt, wäre bestimmt auf uns geschossen worden. Der Schutz von Privat ist hier einfach extrem. Aber wir zahlen alle solidarisch auf das Mietkonto ein. Wenn das Geld trotzdem mal knapp wird, veranstalten wir eine Party und verwenden die Einnahmen. Bis jetzt ging alles gut. Was machen Sie hauptsächlich im Social Center? Wir zeigen Filme, organisieren Kultur- und Politikveranstaltungen. Unser Center ist ein offener und freier Raum. Jeder kann kommen und mitmachen, jeder kann dort ein Treffen organisieren. Für viele ist es einfach nur ein Ort, an dem sie abhängen können und nichts bezahlen müssen. So etwas gibt es in Tirana sonst nicht. Aber für die meisten ist es eine Community, eine Ersatzfamilie. Seit wir das Center haben, ist unsere Gruppe noch mal richtig gewachsen, weil wir uns nach Aktionen nicht mehr verstreuen und weil viele Neugierige vorbeikommen. Man glaubt es kaum, aber am vollsten sind unsere Theoriediskussionen! Funktioniert das Social Center auch als sicherer Ort, zum Beispiel für LGBTIs* und Flüchtlinge? Es gibt kaum Flüchtlinge in Albanien. Die Menschen gehen eher von hier weg, als dass sie hierher kommen. Für LGBTs sind wir offen. In den vergangenen Monaten hatten wir Kooperationen mit der LGBTI-Bewegung und mit Roma. Wir sind offen für jede emanzipatorische Bewegung. Nur Faschisten sind hier nicht erwünscht! Alle anderen sind herzlichen willkommen in unserem Center. Wir beherbergen auch mal Fabrikarbeiter, die während eines Streiks in der Stadt bleiben und dann einen Ort zum Schlafen brauchen. Wie reagiert die Stadtverwaltung? Haben Sie Probleme mit der Polizei? Am Anfang gab es Skepsis in der Nachbarschaft: Manche dachten, wir würden ein Bordell betreiben, andere vermuteten, wir wären eine religiöse Gemeinschaft. Aber dann haben sie unsere Gesichter im Fernsehen gesehen. Jetzt sind die Nachbarn eigentlich ganz freundlich und kommen auch mal rüber. Sie beschweren sich nicht mal über Lärm, obwohl wir manchmal ganz schön laut sind (lacht).
Mit der Polizei läuft es leider anders: Je bekannter wir werden, desto mehr werden wir auch als Bedrohung für die Regierung wahrgenommen. Beamte verfolgen uns, spionieren uns aus oder stehen demonstrativ vor dem Center rum. Aber wir haben keine Angst, weil wir nichts zu verbergen haben. Das heißt, Sie treffen überhaupt keine Vorsichtsmaßnahmen um sich zu schützen? Bisher nicht. Viele Menschen in Deutschland interessieren sich nicht für Albanien, viele haben rassistische Vorurteile gegenüber Albanien. Gibt es etwas, was Sie diesen Menschen mitteilen möchten? Albanien ist mehr als korrupte Politiker, mehr als das Cannabisland aus manchen Reportagen, mehr als ein chaotischer und exotischer Ort für Touristen, an dem sie absurde Dinge sehen und erleben, die sie dann fotografieren und von denen sie zu Hause erzählen. Albanien hat viel Potenzial. Wir brauchen nur dringend eine Alternative zu dem, was hier politisch und wirtschaftlich passiert.
Seit geraumer Zeit formiert sich eine Neue Linke auf dem Balkan, die in einer marxistischen Tradition steht. Sie will sich von Nostalgikern der kommunistischen Regierungen des vorigen Jahrhunderts nicht vereinnahmen lassen, und sie kämpft für einen modernen Sozialismus. Auch in Albanien gibt es so eine Neue Linke, deren politisches Leben sich zwischen Hochschulprotesten, Streiks in Fabriken und einem Social Center formiert, dem »Logu i Shkëndijës«, mitten in Tirana.