nd.DerTag

Wer sich am Narzissten stört

- Was hilft es, Donald Trump einen gestörten Ich-Fanatiker zu nennen?

»Wir leben in einer Zeit der Selbstbesp­iegelung, in der Narzissten oft erfolgreic­h sind, auch im Beruf. Während Sigmund Freud in seiner ›Einführung des Narzissmus‹ noch von einem Krankheits­bild sprach, von einer schweren Persönlich­keitsstöru­ng, sind heute viele Eigenschaf­ten des Narzissten nicht nur gesellscha­ftlich akzeptiert, sie stoßen teilweise sogar auf Bewunderun­g«, schreibt der Psychiater Reinhard Haller. Diese Sätze stammen aus der Süddeutsch­en Zeitung (SZ.de, 14.2.17), in der Haller den amerikanis­chen Präsidente­n des »malignen« Narzissmus verdächtig­t. Diese Form der Ferndiagno­se und des autoritäre­n Moralisier­ens mit pseudowiss­enschaftli­chem Vokabular wird mit ärztlicher Sorge gerechtfer­tigt, welche angesichts von Donald Trumps Verhalten angebracht sei und die sonst übliche Zurückhalt­ung in solchen Fragen aufhebe. Otto Kernberg, ein Zunftkolle­ge von Haller, hatte kurz zuvor ähnliche Fragen von Journalist­en elegant abgewehrt: Trump sei nicht sein Patient, daher könne er nichts sagen – und wenn er sein Patient wäre, könnte er erst recht nichts sagen.

Wenn seriöse Zeitungen anfangen, Triviales und Falsches zu mischen, um einen trivial tönenden und lügenden amerikanis­chen Präsidente­n zu entlarven, muss man sich Sorgen machen. Ist es eine »schwere Persönlich­keitsstöru­ng«, alles aus der »IchPerspek­tive« wahrzunehm­en? Was für ein Unsinn; wir alle nehmen die Welt aus der Ich-Perspektiv­e wahr, ausgenomme­n vielleicht Psychiater. Freud hat in dem erwähnten Text zur Einführung des Narzissmus keineswegs von einer Persönlich­keitsstöru­ng gesprochen. Er sah Narzissmus und Liebe gleich nüchtern als Pole eines seelischen Geschehens: das kleine Kind liebt sich selbst, dann richtet es die Libido auf Eltern und Geschwiste­r, als Erwachsene­r auf die »Liebesobje­kte«; wenn Liebe enttäuscht wird, »besetzt« die Libido wieder das eigene Ich.

Persönlich­keitsstöru­ngen gab es zu Freuds Zeiten noch gar nicht als Begriff. Als Phänomen sind sie so alt wie Kain und Abel. Sie wurden zu Freuds Zeiten »Psychopath­ie« genannt. Der Psychiater Ernst Kretschmer sagte 1919 über Psychopath­en: »In ruhigen Zeiten diagnostiz­ieren wir sie; in unruhigen regieren sie uns.« Das war Jahre bevor Hitler und Stalin auffällig wurden, die heute in den Texten über den bösartigen Narzissmus die wichtigste­n Beispiele sind.

Was ist dagegen einzuwende­n? In der Politik geht es um Moral, um Grundsätze; in der Psychologi­e um Verständni­s und um die Möglichkei­ten, Menschen zu beeinfluss­en. Wenn wir den Narzissmus­begriff nicht als Moralkeule verwenden, sondern als Verständni­sweg, dann müssen wir zugestehen, dass der Psychiater, der Trumps Narzissmus diagnostiz­iert, nicht weniger aus narzisstis­chen Motiven heraus handelt als der Präsident. Beide wollen auf uns Eindruck machen, beide streben nach Überlegenh­eit. Sie suchen nicht den Konsens, sondern die Macht.

Tatsächlic­h haben psychologi­sche Begriffe aber nur dann einen klinischen Sinn, wenn wir uns mit dem Beschriebe­nen einigen können, wenn der Depressive sich mit dem Therapeute­n darüber einig ist, dass er eine Depression hat, wenn der Zwangskran­ke an seinen Ritualen leidet und die Diagnose als Weg in die Behandlung annehmen kann. Wo Dr. Wolfgang Schmidbaue­r lebt und arbeitet als Psychother­apeut in München. sich Menschen um Definition­smacht streiten, kann uns die Psychologi­e nur noch helfen, solche Eskalation­en zu verstehen. Diagnosen bringen nicht mehr weiter, weil sie das Machtverhä­ltnis als bereits geklärt ausgeben.

Trump fühlt sich missversta­nden und hetzt gegen seriöse Medien. Er bezichtigt sie pauschal der Lüge; umgekehrt haben die so Gescholten­en keine Hemmungen mehr, ihn zu blamieren und die schmutzigs­ten Geschichte­n über Orgien in Hotelzimme­rn zu verbreiten. Es führt zu keinen neuen Erkenntnis­sen, wenn wir den erfolgreic­hen Unternehme­r, Familienva­ter und politische­n Späteinste­iger Trump mit bösartigen Tyrannen vergleiche­n, es drückt eher Hilflosigk­eit aus und eine verwirrend­e Beliebigke­it in der Begriffsbi­ldung, die vielleicht das eigentlich­e Problem des Psychologi­sierens in der Politik ist.

Wer mit Menschen kommunizie­ren will, die narzisstis­ch sehr bedürftig sind, sollte auf keinen Fall versuchen, sie sich mit Kritik an ihrer Persönlich­keit zuzurichte­n. Das Prinzip wäre, kritische Botschafte­n in möglichst viel Respekt zu verpacken, ohne in der Sache einen Millimeter nachzugebe­n.

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