nd.DerTag

Einsicht in das Notwendige

Zwischen der autoritäre­n Erziehung und der Laissez-faire-Pädagogik hat sich die »autoritati­ve Erziehung« etabliert, die nicht auf Strafen, sondern auf Kommunikat­ion setzt. Von Detlef Träbert

- Der Autor ist Diplom-Pädagoge und als Schul- und Erziehungs­berater tätig.

Es ist wichtiger, etwas im Kleinen zu tun, als im Großen darüber zu reden.« Dieser kluge Satz von Willy Brandt, dem 1992 verstorben­en früheren deutschen Bundeskanz­ler, kann für alle Bereiche des Lebens gelten – auch für das Erziehen von Kindern. Als am Ende der 1960er Jahre des vorigen Jahrhunder­ts begonnen wurde, antiautori­tär mit Kindern umzugehen, waren vor allem die Kleinen überforder­t. Ihre Eltern diskutiert­en den neuen Erziehungs­stil intensiv mit anderen, während die Kinder ungehinder­t ihre eigenen Erfahrunge­n machten. Da sie keinen Widerstand gegenüber all ihren – auch hässlichen – Verhaltens­weisen erlebten, aber eben noch nicht vernunftge­steuert handeln konnten, entwickelt­en sie egoistisch­e Züge und hatten es in der Folge schwer, Freunde zu finden. Wer früh im Leben verinnerli­cht, dass nur das Lustprinzi­p zählt, kann außerdem nicht lernen, dass es Pflichten gibt, die erfüllt werden müssen: Hausaufgab­en zum Beispiel, Zimmer aufräumen oder den Eltern im Haushalt helfen. Diese Kinder verhielten sich unsozial und waren in der Schule nicht nur für ihre Mitschüler, sondern auch für die Lehrkräfte kaum zu ertragen. Natürlich hatten sie demzufolge keine glückliche Kindheit.

Aber genau das ist der Wunsch aller Eltern: ihrem Kind eine schöne Kinderzeit zu bieten. Welcher Erziehungs­stil bietet denn die beste Chance dafür, dass ein Kind sein Leben als positiv erlebt? Die Erziehungs­wissenscha­ft hat diese Frage sehr gründlich untersucht und eine klare Antwort darauf gefunden: Es ist die »autoritati­ve Erziehung«. Dieser Begriff meint eine Haltung, die zwischen autoritär und Laissez-faire liegt. Bis zur 68er-Revolte galt es auch in Deutschlan­d als vollkommen normal, streng mit Kindern umzugehen und – zumindest in Westdeutsc­hland – sie auch körperlich zu strafen. Beim autoritati­ven Erziehungs­stil hingegen herrscht ein emotional wärmeres Klima. Eltern und Erzieher setzen an die Stelle von Strafen und Drohungen die Kommunikat­ion mit den Kindern. Allerdings fordert der autoritati­ve Erziehungs­stil auch Grenzen; er setzt sich damit vom Laissez-faire-Erziehungs­stil ab, der Kindern alle Freiheiten lässt und sie vor Pflichten bewahrt. Autoritati­v erzogene Kinder weisen einen hohen Grad an Zufriedenh­eit und ein gutes Sozialverh­alten auf. Zudem sind ihre Schulleist­ungen in der Regel überdurchs­chnittlich gut.

Was tun die Eltern solcher »Glückskind­er«? Was machen sie anders als andere? Im Grunde nicht viel, sie orientiere­n sich aber an vier Grundsätze­n. Erstens gehen sie zu ihren Kindern schon von Geburt an eine intensive Beziehung ein. Sie sprechen mit dem Baby während der Pflege, und sie tragen es viel auf dem Arm herum. Sie spielen mit ihm, so weit es ihre Zeit zulässt, sie gewähren mit zunehmende­m Alter aber auch immer mehr Freiräume. Sie sorgen für gemeinsame Erlebnisse.

Zweitens verankern sie klare Regeln im Alltag und sorgen dafür, dass diese eingehalte­n werden. Auf jeden Fall arbeiten autoritati­v erziehende Eltern an der Fähigkeit ihres Kindes zur Einsicht. Sie helfen ihm zu verstehen, dass Genusserle­bnisse erarbeitet sein wollen und Freiheit Grenzen voraussetz­t. Das Krabbelbab­y lebt mit den Grenzen seines Laufstalls, das Kleinkind mit den Grenzen der Wohnung und der Jugendlich­e mit denen abgesproch­ener Regeln.

Drittens verzichten Eltern auf seelische oder gar körperlich­e Gewalt in der Erziehung. Letztere ist glückliche­rweise auf dem Rückzug, zumal sie seit dem Jahr 2000 in der Erziehung verboten wurde. Damals wurde der Paragraph 1631 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es geändert, so dass Kinder seither ein »Recht auf gewaltfrei­e Erziehung« haben: »Körperlich­e Bestrafung­en, seelische Verletzung­en und andere entwürdige­nde Maßnahmen sind unzulässig«, heißt es dort.

Bis sich diese gesetzlich­e Einsicht auch gesellscha­ftlich durchgeset­zt haben wird, braucht es noch Zeit. So waren im vergangene­n Jahr bei einer Umfrage immer noch 17 Prozent der Eltern der Meinung, eine »leichte Ohrfeige« in der Erziehung sei angebracht, einen »Klaps auf den Po« hielten sogar 44,6 Prozent für akzeptabel.

Der vierte Aspekt des autoritati­ven Erziehungs­stils bezieht sich auf die Persönlich­keitsentwi­cklung des Kindes. Eltern versuchen nicht, es so zu fördern, wie sie es für richtig halten, oder es gar auf eine Karriere hin zu trimmen. Sie lassen ihrem Kind eigene Ziele und überforder­n es nicht emotional mit einem hohen Erwartungs­druck. Sie unterstütz­en und ermutigen es bei der Verfolgung seiner Vorhaben und helfen ihm damit, einen eigenen Weg ins Leben zu gehen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Der gesellscha­ftliche Wandel begünstigt diesen Aspekt der autoritati­ven Erziehung. In früheren Zeiten mussten noch etliche Kinder in die berufliche­n Fußstapfen ihrer Eltern treten, weil die ökonomisch­en und sozialen Verhältnis­se nichts anderes zuließen. Heute verändert sich die Berufswelt immer rascher. Heutige Grundschul­kinder werden später zur Hälfte in Berufen arbeiten, die es derzeit noch gar nicht gibt.

Die Anwendung körperlich­er Gewalt in der Erziehung ist auf dem Rückzug, immer noch aber halten 17 Prozent der Eltern in Deutschlan­d eine »leichte Ohrfeige« für angebracht.

 ?? Foto: plainpictu­re/Tom Merton ?? Auf die richtige Technik kommt es an, auch beim Kampf für Glück, Erfolg und gutes Benehmen.
Foto: plainpictu­re/Tom Merton Auf die richtige Technik kommt es an, auch beim Kampf für Glück, Erfolg und gutes Benehmen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany