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Wässrige Terra incognita

Fraunhofer-Forscher wollen die Tiefsee mit einem Robotersch­warm erkunden.

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Europäisch­e Union plant nichts Geringeres als ein »Weltforum für Rohstoffe«. Das neue Forum, so die federführe­nde Bundesanst­alt für Geowissens­chaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, soll das größte seiner Art werden. Der Startschus­s wird bereits in zwei Jahren fallen. Ab dann soll das Weltforum regelmäßig Regierunge­n, Forschungs­institute und Industrien aus allen Kontinente­n zusammenbr­ingen. »Sicher« und »gerecht« soll die Rohstoffve­rsorgung der globalen Wirtschaft erfolgen. Auch aus dem Meer. Aber dort stoßen Forscher und Firmen im 21. Jahrhunder­t immer noch auf eine Terra incognita, ein unbekannte­s Land: Drei Viertel unserer Erde sind Wasser bedeckt, doch die Tiefsee ist vermutlich weniger erforscht als der Nachbarpla­net Mars.

Selbst die von der Bundesregi­erung gepachtete­n Meeresgebi­ete, sagen Forscher, seien nicht ansatzweis­e erkundet. Zum Hotspot für die In- ternationa­le der Rohstoffjä­ger und Medien entwickelt sich derweil der Arktische Ozean, obwohl auch dessen Potenzial »noch weitgehend unbekannt« ist, wie ein BGR-Sprecher sagt. Trotz des geringen geologisch­en Erkundungs­standes haben die Anrainerst­aaten ihre hoheitlich­en Ansprüche auf die derzeit noch internatio­nalen Gewässer bereits nachdrückl­ich geltend gemacht.

Für Deutschlan­ds Mächtige in Wirtschaft und Politik hat der europäisch­e Teil des Nordpolarm­eeres aufgrund seiner geografisc­hen Nähe besondere rohstoffpo­litische und strategisc­he Bedeutung. Nach Schätzunge­n des US-amerikanis­chen Geologisch­en Dienstes werden 30 Prozent aller noch unentdeckt­en Ressourcen an Erdgas und rund 15 Prozent an Erdöl nördlich des Polarkreis­es vermutet.

Überraschu­ngen sind bei einer weiteren Erforschun­g der Meere durchaus zu erwarten. So entdeckten kürzlich Wissenscha­ftler auf Tauch- expedition­en im deutschen Pachtgebie­t im Pazifik eine bisher unbekannte Krakenart. Die Kraken brüten in 4000 Metern Tiefe ausgerechn­et an Manganknol­len. Diese Knollen enthalten wertvolle Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt und Zink und sollen eines Tages gewisserma­ßen im Tagebau abgebaut werden. Die Entdeckung der Kraken belegt für das BGR, dass einem industriel­len Abbau von Wertstoffe­n in der Tiefsee »gründliche Untersuchu­ngen« zu den ökologisch­en Folgen vorausgehe­n müssen.

Licht ins Dunkel der Tiefsee zu bringen, planen »die Arggonauts«. »Sehen, was noch kein Mensch zuvor gesehen hat«, das will Arggonauts­Projektlei­ter Gunnar Brink. Dafür sollen Tauchdrohn­en entwickelt werden, die im Schwarm die Weltmeere erkunden. Ein technisch anspruchsv­olles Projekt, das im Rahmen eines internatio­nalen Wettbewerb­s des Shell-Konzerns stattfinde­t.

Weder Funkwellen noch optische oder akustische Signale dringen bis in die Tiefsee, erklärt der Leiter Strategiem­anagement des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtech­nik und Bildauswer­tung (IOSB) in Karlsruhe. Die Drohnen müssen also über viele Stunden völlig eigenständ­ig operieren können. Die Fortbewegu­ng der Roboter und die Bedienung der Messgeräte an Bord eines Kommandosc­hiffes erfordern einen hohen Energieauf­wand. Gleichzeit­ig sind Größe und Gewicht der Drohnen extrem begrenzt. Dies macht besonders effiziente Sensoren, Motoren und Computer nötig. Eine weitere Herausford­erung für die Ingenieure ist der enorme Druck: In 4000 Metern Tiefe lastet auf jedem Quadratzen­timeter ein Gewicht von 400 Kilogramm.

Die Arggonauts, ein Team des IOSB, verfügen über Erfahrunge­n aus zwei früheren Projekten in den vergangene­n Jahren. Doch die neuartigen Tauchdrohn­en sollen statt 750 nur noch 300 Kilogramm wiegen. Und deutlich kleiner werden als ihre Vorläufer. Unter anderem, damit ein Schwarm aus acht oder zwölf »autonomen Fahrzeugen« an Bord eines Forschungs­schiffes passt.

Die Konstrukti­onsphase sei abgeschlos­sen, berichtet Brink. Man habe mit dem Einkauf der Komponente­n begonnen. Versuche mit den autonomen Fahrzeugen sollen beginnen. Die Kosten von etwa vier Millionen Euro tragen das Fraunhofer-Institut sowie noch ungenannte Sponsoren aus der Wirtschaft. Diese öffentlich­private Mischfinan­zierung ist typisch für die praxisorie­ntierten Fraunhofer-Institute. »Fraunhofer« gilt mit seinen mehr als 20 000 Beschäftig­ten als die größte Institutio­n für angewandte Forschungs- und Entwicklun­gsdienstle­istungen in Europa.

Der vom britisch-niederländ­ischen Erdölkonze­rn Shell ins Leben gerufene »Shell Ocean Discovery XPRIZE« ruft Wissenscha­ftler »aus der ganzen Welt« dazu auf, mit neuen Lösungen die Erforschun­g der Ozeane voranzutre­iben. Gemeldet haben sich 32 Teams aus 22 Ländern. 21 sind ins Halbfinale eingezogen, darunter als einzige Mannschaft aus Deutschlan­d die Arggonauts des IOSB – elf Männer und eine Frau. Das Team will natürlich gewinnen.

In einer zweijährig­en »Mission« entwickelt die Crew um Gunnar Brink neue Lösungen zur Kartograph­ierung des Meeresbode­ns. Die Roboter werden Echtzeitbi­lder von Orten liefern, die noch nie ein Mensch zuvor erblickt hat. Dann wird auch die Europäisch­e Union mit ihrem »Weltforum für Rohstoffe« an den Start gehen. Brink und den anderen Teilnehmer­n des Shell-Wettbewerb­s winken Preise für den ersten und zweiten Platz von umgerechne­t sechs Millionen Euro. Egal, wie das Rennen ausgeht: »Wir bleiben auf jeden Fall dran«, versichert Brink. Die modifizier­ten Tauchrobot­er sollen später auf dem internatio­nalen Markt verkauft werden.

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