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Das Loch im Donut

Schieferdö­rfer im Centro de Portugal – neues Leben hinter alten Mauern. Von Manfred Lädtke

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Hundert Kilometer nördlich von Lissabon breitet sich Portugals stille Mitte zwischen der geschäftig­en Hauptstadt und dem grünen Norden aus: Berge und wilde Küsten, sanft geschwunge­ne Hügelkette­n, finstere Wälder, verwunsche­ne Dörfer. Wohnen hier der Klabauterm­ann, Kobolde und Feen?

Eine Auto- oder Busfahrt von Lissabon oder Porto bis in das »Centro de Portugal« dauert maximal zwei Stunden. Abseits stiller Straßen und Pfade begegnen dem Reisenden in der waldreiche­n Serra da Lousa Menschen, in deren Heute das Herz von Gestern schlägt.

Auf kurvigen Straßen windet sich das Auto hinauf in ein Zauberland. Der Blick aus dem Fenster schweift über einen von Baumwipfel­n geformten sattgrünen Teppich. An einen Bergrücken schmiegt sich das Schieferdo­rf Sao Simao. Den wie aus einem Märchen in die Wirklichke­it gestellten Ort mit ein paar jahrhunder­tealten schwarz-grauen Häusern, aus Quarz und Schiefer erbaut, durchzieht nur eine einzige Gasse. Hier scheint Müßiggang als Tagwerk noch möglich. Treffpunkt des Dorfes für Einheimisc­he wie Touristen ist ein auf Felsen gebautes Lokal. Über Baumkronen und Hausdächer­n schenkt der Wirt auf einer Veranda Johannisbe­ersaft mit Minze und Thymian ein. Dann führt er seine Gäste hinunter zum Fluss zu imposanten Felsformat­ionen.

Wie Sao Simao ist auch Ferraria de San Joao Mitglied im Projekt »Aldeias do Xisto«. In der Initiative haben sich 27 fast vergessene Schieferdö­rfer zwischen Serra da Lousa und der spanischen Grenze zusammenge­tan und sich mit Idealismus und Eigeniniti­ative aus einem Dornrösche­nschlaf befreit. 15 Millionen Euro öffentlich­e Fördermitt­el halfen dabei, Abwanderun­g und Verfall zu stoppen, und die verwahrlos­ten Bergnester im traditione­llen Stil wieder aufzubauen. Den Löwenantei­l steuerte die EU bei. Von weiteren rund 30 Millionen Euro flossen später rund zwei Drittel aus Privatscha­tullen.

Das Centro weit weg vom Atlantik und abseits der geläufigen Touristenr­outen vergleicht Pedro Pedrosa so: »Wir sind das Loch im Donut. Das Nichts inmitten von Portugal waren lange wir. Ziegen hüten, Mais anbauen, Rüben pflanzen und im Winter hinter klammen rußigen Wänden frieren – wer will so leben?« Heute ist das Dorf eine beschaulic­he Oase der Stille. 46 Einwohner leben in den sanierten Steinhäuse­rn, deren klobi- ge Mauern kaum einen Rückschlus­s auf das komfortabl­e Innere zulassen. Regenwasse­rnutzung und Solarenerg­ie seien in seinen drei Ferienhäus­ern ebenso selbstvers­tändlich, wie die Speisekart­e mit ausschließ­lich regionalen Produkten. Der behutsame Aufbau eines sozial- und naturvertr­äglichen Tourismus trägt erste Früchte. Von 10 000 im Jahr 2010 seien die Übernachtu­ngen in den Schieferdö­rfern 2016 bis über das Fünffache gestiegen, bilanziert der gelernte Informatik­er.

Morgens um acht Uhr ziehen letzte Nebelschwa­den durch die Wipfel im Tal. Die Sonne spiegelt sich im kleinen Hauspool. Wie durch Zauberhand klart der Himmel plötzlich auf, bis Sekunden später neue Schwaden heranziehe­n und sich im Tal unter der Sonne verlieren. Jetzt ist die beste Zeit für eine Mountainbi­ketour oder einen Spaziergan­g unter Pinien und Eukalyptus­bäumen, über Wiesen und durch versteckte Gärten hinüber zum 200 Jahre alten Korkeichen­wald.

Zwischen geschälten rotbrauen Stämmen hat Pedro unter den immergrüne­n Bäumen ein Essen vorbereite­t. Gebäck, Tomaten, Mozzarella, hausgemach­ter Ziegenkäse und Joghurt, sowie Pastéis de bacalhau (feine Fischpaste­ten) laden zum Open-Air-Schmaus. Mit einer ausladende­n Geste zeigt er in den gemeinscha­ftlichen Dorfwald: »Guter Kork braucht seine Zeit.« 30 Jahre alt müsse ein Baum bis zur ersten Schälung sein. Später werde alle neun Jahre ein Drittel der Rinde geerntet, mehr verkrafte die Eiche nicht. Manchmal würden Besucher einen Baum für 40 bis 80 Euro »adoptieren« und an dem Ernteertra­g beteiligt. Viele Eichen hätten den Besitzer freilich noch nicht gewechselt, räumt Petro ein. Trotz der langsam steigenden Nachfrage seien die Schieferdö­rfer im Süden des Lousa-Gebirges aber noch immer Portugals am besten gehütetes touristisc­hes Geheimnis.

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Fotos: Manfred Lädtke Sao Simao wurde mit viel Geld und Initiative der Einwohner zu neuem Leben erweckt.
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30 Jahre braucht eine Korkeiche, ehe sie das erste Mal geschält werden kann.

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