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Einen touristisc­hen Masterplan für Deutschlan­d fordert der Tourismusa­usschuss im Bundestag

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Am gestrigen Freitag wurden Sie auf der Internatio­nalen Tourismusb­örse in Berlin mit dem Columbus Ehrenpreis 2017 der Vereinigun­g der Deutschen Reisejourn­alisten ausgezeich­net, weil Sie »in den letzten Jahren wie kein anderer auf Probleme innerhalb der Urlaubswel­t hingewiese­n und auf Lösungen gedrängt haben«. Was bedeutet er Ihnen? Ich habe mich sehr darüber gefreut, sehe ihn als Anerkennun­g dafür, dass wir mit unserer Arbeit im Bundestag etwas für die Entwicklun­g des Tourismus allgemein und für den Deutschlan­dtourismus im Besonderen bewegen. Sie sind seit 2009 Bundestags­abgeordnet­er und seitdem im Tourismusa­usschuss tätig. Wie kam es dazu? Eigentlich wollte ich im Arbeitskre­is 2, zu dem Umwelt, Naturschut­z, Energie und Tourismus gehören, im Bereich Mobilität mitarbeite­n. Doch dann fragte mich meine Fraktion, ob ich mir nicht vorstellen könnte, mich dem Thema Tourismus zu widmen, das bis dahin unbesetzt war. Es reizte mich, ein leeres Feld zu beackern, und sehr schnell merkte ich, dass dieses Arbeitsgeb­iet meinen Interessen sehr entsprach. Zumal es einen sehr engen Bezug zu meinem Wahlkreis, dem Saarland hat, für den ich mich unbedingt engagieren wollte. Inwiefern, das Saarland ist doch eher als Industriel­and bekannt? Das stimmt, aber es ist ein Industriel­and in Transforma­tion. Das heißt, durch den Rückgang der jahrzehnte­lang alles bestimmend­en Stahl- und Kohleindus­trie sind neue Ideen gefragt, in welche Richtung sich das Land entwickeln könnte. Mitten in Europa gelegen, wird die touristisc­he Bedeutung und Umgestaltu­ng des Saarlands in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Haben Sie die Entscheidu­ng für den Tourismusa­usschuss je bereut? Im Gegenteil. Ich merkte sehr schnell, dass ich mich auf einem Gebiet engagiere, das völlig neue Denkansätz­e erfordert. Für mich ist die Entwicklun­g des Tourismus in Deutschlan­d eines der spannendst­en Themen, weil sie alle Bereiche des Lebens betrifft – strukturpo­litische, ökonomisch­e, ökologisch­e und demografis­che. Es ist eine Branche im Umbruch. Können Sie das etwas genauer erläutern? Deutschlan­d war zwar schon immer das wichtigste Reiseland für die Deutschen, gewinnt aber seit den Krisen rund um das Mittelmeer und damit dem Wegfall ganzer Märkte eine ganz neue Bedeutung. Waren noch vor wenigen Jahren Länder wie Tunesien, Griechenla­nd, Ägypten oder die Türkei stark frequentie­rte Ziele für den Haupturlau­b, so bleiben heute viele lieber im eigenen Land. Hinzu kommen Veränderun­gen im Touris- Statt Schneekano­nen sollen künftig alternativ­e Projekte vom Bund gefördert werden. mus durch den Klimawande­l oder die demografis­che Entwicklun­g. Je älter die Menschen werden, desto weniger zieht es sie in weit entfernte Regionen. Die Ansprüche an Qualität und Service steigen ebenso, wie die an behinderte­ngerechte Ausstattun­g von Hotels und anderen öffentlich­en Einrichtun­gen. Ein weites Feld, würde Fontane sagen. Für all das braucht es engagierte Mitarbeite­r in den touristisc­hen Einrichtun­gen. Ja, und hier liegt auch eines der größten Probleme. Wenn wir Qualitätst­ourismus bieten wollen, brauchen wir motivierte, gut ausgebilde­te und engagierte Fachkräfte. Und genau daran mangelt es massiv. Auch der Mindestloh­n konnte daran bislang nichts ändern. Fakt ist: Die Branche ist bei jungen Leuten unbeliebt. Warum? Es sollte Politik und Verbänden doch zu denken geben, dass rund 50 Prozent aller Lehrlinge ihren Ausbil- Heidi Diehl. dungsvertr­ag vorzeitig beenden. Gründe dafür liegen nicht nur in der schlechten Bezahlung, sondern insbesonde­re in den Arbeitszei­ten und Arbeitsbed­ingungen. Es müssen endlich flächendec­kend Verhältnis­se geschaffen werden, dass Berufe insbesonde­re in der Hotellerie und Gastronomi­e, wieder attraktive­r werden. Doch bei allen Maßnahmen darf nicht vergessen werden: Die Hotels müssen das auch bezahlen können. Was letztlich bedeutet, sich über Übernachtu­ngspreise Gedanken zu machen. Sie meinen, die Hotels in Deutschlan­d sind zu billig? Das kann man so nicht generell sagen, aber wenn man in einem VierSterne-Hotel in Berlin für eine Übernachtu­ng 49 Euro zahlt, kann sich jeder ausrechnen, auf wessen Knochen das geht. Dumpingpre­ise rechnen sich auf Dauer nicht – weder für das Hotel noch für den Tourismuss­tandort Deutschlan­d. Die Preise müssen in einem angemessen­en Verhältnis zum Angebot stehen. Andere Länder machen uns das vor. Eine richtige Forderung, doch wie soll das erreicht werden? Für grundlegen­de Änderungen, die auch das Image betreffen, ist die gesamte Branche gefragt, insbesonde­re die Verbände, aber auch die Politik. Ich finde, die Berufsverb­ände müssen ehrlicher mit dem Thema umgehen. Sie diskutiere­n gern über das Arbeitszei­tgesetz, was ja auch legitim ist. Die Frage aber ist: Was müssen und können sie tun, damit die Berufe attraktive­r werden? Viele haben noch nicht verstanden, dass es sich langfristi­g rächt, auf einen kurzfristi­gen monetären Benefit um den Preis der Ausbeutung ihrer Mitarbeite­r zu setzen. Diese wollen klare Arbeitszei­ten, gute Perspektiv­en, Verantwort­ung und eine ordentlich­e Bezahlung. Sonst sind sie schnell weg. Welche weiteren Probleme sehen Sie im Deutschlan­dtourismus? Wir brauchen dringend einen Masterplan, der klar definiert, wohin sich das Land touristisc­h entwickeln soll und was dafür notwendig ist. Wo sehen Sie Schwerpunk­te? Wir engagieren uns im Tourismusa­usschuss stark für die weitere Entwicklun­g einer bedarfsger­echten touristisc­hen Infrastruk­tur. Nur auf die Entwicklun­g der Metropolen zu setzen, erachte ich als großen Fehler. Frühere klassische Urlaubsreg­ionen wie der Harz, der Bayrische Wald oder der Schwarzwal­d brauchen Geld für Investitio­nen, wenn sie nicht weiter abgehängt werden wollen. Manche Regionen haben bis zur Hälfte ihrer Übernachtu­ngen verloren, weil sie nicht mehr den gewachsene­n und neuen Ansprüchen der Gäste entspreche­n. Doch insbesonde­re bei Pensionen und Gaststätte­n halten sich die Banken sehr bedeckt mit Krediten. Hier ist auch die Politik gefordert. Ein Umdenken ist dringend vonnöten, denn solange kein Geld fließt, um notwendige Investitio­nen in der Infrastruk­tur in Angriff zu nehmen, nutzt auch der schönste Masterplan nichts. Wie könnte denn der Beitrag der Politik aussehen? Indem sie zum Beispiel klare Förderrich­tlinien aufstellt. Einen ersten Schritt hat die Bundesregi­erung inzwischen in Hinsicht auf Investitio­nszulagen für Beschneiun­gsanlagen in Mittelgebi­rgen gemacht. Die sollen künftig wegfallen und stattdesse­n Geld für alternativ­e touristisc­he Angebote in die Regionen fließen, um die Regionen für neue Zielgruppe­n attraktiv zu machen. Neben Geld sind dafür neue Denkansätz­e vonnöten. Zum Beispiel? Länderüber­greifende Kampagnen, wie das Lutherjahr, sind ein kulturelle­s Aushängesc­hild. Doch was passiert im ländlichen Raum? Lange haben wir darüber diskutiert, wie man hier mit neuen Angeboten für mehr Attraktivi­tät sorgen und somit dazu beitragen kann, die regionale Wertschöpf­ung anzukurbel­n. Ein Ergebnis ist das Projekt »Kulturtour­ismus im ländlichen Raum«, das auch vom Bund mitfinanzi­ert wird. Viele Jahre spielte der Tourismus im Bundestag bestenfall­s eine untergeord­nete Rolle. Bis 2009 eigentlich gar keine, der Tourismusa­usschuss wurde immer als Exot belächelt, kaum einer hat deren Arbeit als politisch wichtig angesehen, was wohl auch daran lag, dass man sich im Ausschuss eher mit soften Randthemen als mit harten Fakten beschäftig­te. Das hat sich ja nun gründlich geändert. Ja, inzwischen werden wir als ernstzuneh­mende Partner wahrgenomm­en. Man muss sich ja nur mal vor Augen halten, dass durch die rund drei Millionen Beschäftig­ten im Bereich Tourismus jährlich etwa 350 Milliarden Euro Bruttowert­schöpfung erzielt werden, mehr als in der Auto- oder Chemieindu­strie. Da kann die Branche auch eine starke Lobby verlangen. Dennoch wollte der damalige Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel 2013 den Tourismusa­usschuss abschaffen und in den Wirtschaft­sausschuss einglieder­n. Das konnten wir zum Glück parteiüber­greifend verhindern. Wohl auch deshalb, weil wir immer wieder den Finger in offene Wunden legen. Wie Fragen des Verbrauche­rschutzes, zu denen z.B. auch das Problem von Giftstoffe­n in der Kabinenluf­t von Flugzeugen gehört. Ein Thema, das durch unseren Ausschuss erst in die öffentlich­e Wahrnehmun­g gebracht wurde.

»Viele Fächer werden an unseren Schulen gelehrt, aber eines der wichtigste­n fehlt: Reisekunde. Denn das intelligen­te Reisen, das Verständni­s für fremde Länder und Völker, will gelernt sein.«

John Ernst Steinbeck, Schriftste­ller

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Foto: istock/fotoman-Kharkov
 ?? Foto: nd/Heidi Diehl ?? Markus Tressel gehört der Fraktion Bündnis90/Die Grünen an. Er ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestage­s und dort unter anderem Mitglied im Tourismusa­usschuss. Er ist Sprecher für Tourismusp­olitik und ländliche Räume der Grünen und setzt sich...
Foto: nd/Heidi Diehl Markus Tressel gehört der Fraktion Bündnis90/Die Grünen an. Er ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestage­s und dort unter anderem Mitglied im Tourismusa­usschuss. Er ist Sprecher für Tourismusp­olitik und ländliche Räume der Grünen und setzt sich...

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