Nicht nur hupen
Seit vier Wochen ist der Journalist Deniz Yücel in Erdogans Gewalt. Heute Abend findet eine Solidaritätslesung für ihn statt
Prominente und Kollegen lesen heute für Deniz Yücel.
Seit vier Wochen befindet sich der Türkei-Korrespondent der »Welt«, Deniz Yücel, nun unschuldig und ohne Aussicht auf eine faire Gerichtsverhandlung in türkischer Isolationshaft. Seine Situation ist bitter. Die »Taz«-Redakteurin Doris Akrap, mit Yücel seit Kindheitstagen eng befreundet, hielt sich bis vor kurzem in Istanbul auf und erklärt im Gespräch mit dem »nd«: »In seiner Zelle ist eine Toilette, weil er ja nicht rausdarf. Er selbst hat ja bereits beschrieben, dass er, wenn er rausguckt, auf eine Mauer guckt. Deniz sitzt in Block 9, wo vor allem die inhaftiert sind, die verantwortlich gemacht werden für den Putsch. Und Angehörige der linken kurdisch-türkischen Oppositionspartei HDP. Da sitzt auch der bekannte türkische Investigativjournalist Ahmet Sik.«
Siks Ehefrau Yonca, so Akrap, habe ihr kürzlich erzählt, »dass der Staatsanwalt, der ihren Ehemann Ahmet 2012 freigelassen hat, jetzt selber in diesem Gefängnis sitzt, im selben Block, und zwei von Siks Anwälten. Natürlich sitzen neben denen noch über 1000 Richter und Staatsanwälte in türkischen Gefängnissen, Juristen, die alle entmachtet worden und in Haft gesteckt worden sind, mit Verdacht auf Propaganda. Den allerwenigsten davon, weder Journalisten noch Richtern noch Staatsanwälten, ist ein Prozess gemacht worden. Die meisten von ihnen sitzen dort und wissen nicht einmal, warum. Es gibt auch keine Anklageschriften.«
Mit Yücel sitzen 150 andere Journalisten im Gefängnis, weil sie es trotz Erdogans Drohungen und Einschüchterungsversuchen wagten, ihrem Beruf nachzugehen: zu sagen und zu schreiben, was ist. Weit über hundert Redaktionen sind in den letzten sieben Monaten geschlossen worden.
In der »Taz« schrieb Akrap kürzlich: »Es verging allein in dieser Woche, in der ich hier bin, kein Tag ohne Meldung über die Festnahme oder Verurteilung von Journalisten, Oppositionspolitikern, Sängerinnen, denen ähnliche und noch absurdere Vorwürfe wie Deniz gemacht werden. Und es werden schon Witze darüber gemacht: ›Im Hochsicherheitsgefängnis Silivri sitzt das Istanbul, das es nicht mehr gibt. Dort triffst du mehr Journalisten und Intellektuelle als in der Innenstadt.‹«
Selbst Mitarbeiter des deutschen Konsulats dürfen den deutschen Staatsbürger Deniz Yücel bisher nicht besuchen, obwohl die Bundesregierung dies bereits mehrfach gefordert hat und der türkische Ministerpräsident Binal Yildirim Kanzlerin Angela Merkel die konsularische Betreuung Yücels zugesagt hat. Die türkischen Behörden reagieren auf die Forderungen bislang mit Schweigen. Man könnte auch sagen: mit Ignoranz. Für sie hat der »Welt«-Reporter unangenehme Wahrheiten über Erdogan und seinen Clan recherchiert und in deutschen Zeitungen veröffentlicht, was ihn zum »Vaterlandsverräter«, »PKKTerroristen« und »Spion« macht.
Seither weiß jeder: Ein funktionierendes Rechtssystem existiert in der Türkei auf absehbare Zeit nicht, weswegen auch die fortwährend von einigen deutschen Politikern vorgetragene Phrase, man möge Yücel bitteschön eine »faire rechtsstaatliche Behandlung« zukommen lassen, mittlerweile so grotesk wirkt. Auf Zusagen der Türkei, auf Äußerungen überhaupt, die von Erdogans Apparatschiks oder ihm selbst kommen, sollte sich niemand mehr verlassen.
Die bisherigen deutschen Bemühungen um eine Deeskalation des ge-
»Es ist in Ordnung, beim Schreiben eine Haltung zu haben, man sollte sich nur dessen bewusst sein.« F., Lokalredakteur
genwärtigen Konflikts mit der Türkei waren wenig hilfreich: Erdogan wirft, wie das von einem durch und durch selbstverliebten, bis in die letzte Faser autoritär strukturierten und allem Anschein nach nur begrenzt zurechnungsfähigen Autokraten zu er- warten war und wie man das auch bislang von ihm kennt, mit wilden Anschuldigungen und Fantasievorwürfen an andere Staaten nur so um sich, ohne ein einziges Wort über den Umbau der Türkei zur Diktatur zu verlieren. All das geschieht, während in der Türkei zahllose Unschuldige, in Untersuchungshaft gesteckt oder verurteilt von Justizbeamten von Erdogans Gnaden, unter unwürdigsten Bedingungen in den Gefängnissen sitzen.
An diesem Mittwochabend wird es nun an einem der zentralen Orte des kulturellen Lebens in der Hauptstadt, dem neuen Festsaal Kreuzberg, eine Solidaritätsveranstaltung für Deniz Yücel geben, die den Titel »Beste Deniz wo gibt« trägt. Der Titel bezieht sich auf einen wiederholt von dem Reporter selbst gemachten Witz: In seinen Einträgen auf Facebook bezeichnete Yücel die immer repressiver werdende und Journalisten ihre Arbeit nahezu unmöglich machende Türkei scherzhaft als »beste Demokratie wo gibt«. Mehrere prominente Fernsehgesichter und einige Journalistenkolleginnen und -kollegen werden aus Artikeln Yücels lesen, von denen einige lustige Kontroversen ausgelöst haben. Als Yücel etwa vor fünf Jahren in der »Taz« dem damaligen Kandidaten fürs Bundespräsidentenamt, Joachim Gauck, nachwies, dass er mit einigen Äußerungen, die er in der Vergangenheit gemacht hatte, den Holocaust verharmlost hat, bezeichnete der Grüne Jürgen Trittin das als »Schweinejournalismus«.
Ihre Teilnahme an der heutigen Solidaritätsveranstaltung zugunsten Yücels fest zugesagt haben bereits der Fernsehmoderator Michel Friedman, der selbst erst kürzlich von Erdogan heimgesuchte und bedrohte Komiker Jan Böhmermann, der Schriftsteller Maxim Biller, die Schauspielerin Pegah Ferydoni, der Komiker Oliver Polak, der Musiker und Autor Sven Regener (Element Of Crime), der Popsänger Jens Friebe, der Schauspieler Robert Stadlober sowie der Intendant der Münchener Kammerspiele, Matthias Lilienthal. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass auch jene Kolumne von Yücel zum Vortrag kommt, mit der der heutige »Welt«-Korrespondent und frühere »Taz«- und »JungleWorld«-Redakteur der Leserschaft seinen Abschied von der »Taz« verkündet. Darin heißt es: »Wer eine Geschichte als Erster entdecken oder einen Gedanken als Erster formulieren will, geht ein Risiko ein. Und wer etwas riskiert, kann auf die Fresse fliegen. Es geht nicht ohne Handwerk. Aber so manches journalistische Leitbild ist Illusion, wenn nicht gar Ideologie: Distanz, Objektivität, das ganze Lehrbuchzeug – all das gibt es, aber nur in Maßen. ›Es ist in Ordnung, beim Schreiben eine Haltung zu haben, man sollte sich nur dessen bewusst sein‹, hätte F. vielleicht gesagt.« »F.« ist hier das Kürzel für jenen Redakteur im Rüsselsheimer Lokalteil der »Mainzer Allgemeinen«, bei dem Deniz Yücel als Teenager sein erstes journalistisches Praktikum absolvierte.
Erdogans jüngste Clownerie ist die Ankündigung des Vorhabens, die Niederlande vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzuklagen. Martin Sonneborn (Die PARTEI), Abgeordneter des Europäischen Parlaments, kommentierte Erdogans Ansinnen mit den Worten: »Das ist gut, die kennen sich da aus mit solchen Typen.«