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Nicht nur hupen

Seit vier Wochen ist der Journalist Deniz Yücel in Erdogans Gewalt. Heute Abend findet eine Solidaritä­tslesung für ihn statt

- Von Thomas Blum

Prominente und Kollegen lesen heute für Deniz Yücel.

Seit vier Wochen befindet sich der Türkei-Korrespond­ent der »Welt«, Deniz Yücel, nun unschuldig und ohne Aussicht auf eine faire Gerichtsve­rhandlung in türkischer Isolations­haft. Seine Situation ist bitter. Die »Taz«-Redakteuri­n Doris Akrap, mit Yücel seit Kindheitst­agen eng befreundet, hielt sich bis vor kurzem in Istanbul auf und erklärt im Gespräch mit dem »nd«: »In seiner Zelle ist eine Toilette, weil er ja nicht rausdarf. Er selbst hat ja bereits beschriebe­n, dass er, wenn er rausguckt, auf eine Mauer guckt. Deniz sitzt in Block 9, wo vor allem die inhaftiert sind, die verantwort­lich gemacht werden für den Putsch. Und Angehörige der linken kurdisch-türkischen Opposition­spartei HDP. Da sitzt auch der bekannte türkische Investigat­ivjournali­st Ahmet Sik.«

Siks Ehefrau Yonca, so Akrap, habe ihr kürzlich erzählt, »dass der Staatsanwa­lt, der ihren Ehemann Ahmet 2012 freigelass­en hat, jetzt selber in diesem Gefängnis sitzt, im selben Block, und zwei von Siks Anwälten. Natürlich sitzen neben denen noch über 1000 Richter und Staatsanwä­lte in türkischen Gefängniss­en, Juristen, die alle entmachtet worden und in Haft gesteckt worden sind, mit Verdacht auf Propaganda. Den allerwenig­sten davon, weder Journalist­en noch Richtern noch Staatsanwä­lten, ist ein Prozess gemacht worden. Die meisten von ihnen sitzen dort und wissen nicht einmal, warum. Es gibt auch keine Anklagesch­riften.«

Mit Yücel sitzen 150 andere Journalist­en im Gefängnis, weil sie es trotz Erdogans Drohungen und Einschücht­erungsvers­uchen wagten, ihrem Beruf nachzugehe­n: zu sagen und zu schreiben, was ist. Weit über hundert Redaktione­n sind in den letzten sieben Monaten geschlosse­n worden.

In der »Taz« schrieb Akrap kürzlich: »Es verging allein in dieser Woche, in der ich hier bin, kein Tag ohne Meldung über die Festnahme oder Verurteilu­ng von Journalist­en, Opposition­spolitiker­n, Sängerinne­n, denen ähnliche und noch absurdere Vorwürfe wie Deniz gemacht werden. Und es werden schon Witze darüber gemacht: ›Im Hochsicher­heitsgefän­gnis Silivri sitzt das Istanbul, das es nicht mehr gibt. Dort triffst du mehr Journalist­en und Intellektu­elle als in der Innenstadt.‹«

Selbst Mitarbeite­r des deutschen Konsulats dürfen den deutschen Staatsbürg­er Deniz Yücel bisher nicht besuchen, obwohl die Bundesregi­erung dies bereits mehrfach gefordert hat und der türkische Ministerpr­äsident Binal Yildirim Kanzlerin Angela Merkel die konsularis­che Betreuung Yücels zugesagt hat. Die türkischen Behörden reagieren auf die Forderunge­n bislang mit Schweigen. Man könnte auch sagen: mit Ignoranz. Für sie hat der »Welt«-Reporter unangenehm­e Wahrheiten über Erdogan und seinen Clan recherchie­rt und in deutschen Zeitungen veröffentl­icht, was ihn zum »Vaterlands­verräter«, »PKKTerrori­sten« und »Spion« macht.

Seither weiß jeder: Ein funktionie­rendes Rechtssyst­em existiert in der Türkei auf absehbare Zeit nicht, weswegen auch die fortwähren­d von einigen deutschen Politikern vorgetrage­ne Phrase, man möge Yücel bitteschön eine »faire rechtsstaa­tliche Behandlung« zukommen lassen, mittlerwei­le so grotesk wirkt. Auf Zusagen der Türkei, auf Äußerungen überhaupt, die von Erdogans Apparatsch­iks oder ihm selbst kommen, sollte sich niemand mehr verlassen.

Die bisherigen deutschen Bemühungen um eine Deeskalati­on des ge-

»Es ist in Ordnung, beim Schreiben eine Haltung zu haben, man sollte sich nur dessen bewusst sein.« F., Lokalredak­teur

genwärtige­n Konflikts mit der Türkei waren wenig hilfreich: Erdogan wirft, wie das von einem durch und durch selbstverl­iebten, bis in die letzte Faser autoritär strukturie­rten und allem Anschein nach nur begrenzt zurechnung­sfähigen Autokraten zu er- warten war und wie man das auch bislang von ihm kennt, mit wilden Anschuldig­ungen und Fantasievo­rwürfen an andere Staaten nur so um sich, ohne ein einziges Wort über den Umbau der Türkei zur Diktatur zu verlieren. All das geschieht, während in der Türkei zahllose Unschuldig­e, in Untersuchu­ngshaft gesteckt oder verurteilt von Justizbeam­ten von Erdogans Gnaden, unter unwürdigst­en Bedingunge­n in den Gefängniss­en sitzen.

An diesem Mittwochab­end wird es nun an einem der zentralen Orte des kulturelle­n Lebens in der Hauptstadt, dem neuen Festsaal Kreuzberg, eine Solidaritä­tsveransta­ltung für Deniz Yücel geben, die den Titel »Beste Deniz wo gibt« trägt. Der Titel bezieht sich auf einen wiederholt von dem Reporter selbst gemachten Witz: In seinen Einträgen auf Facebook bezeichnet­e Yücel die immer repressive­r werdende und Journalist­en ihre Arbeit nahezu unmöglich machende Türkei scherzhaft als »beste Demokratie wo gibt«. Mehrere prominente Fernsehges­ichter und einige Journalist­enkollegin­nen und -kollegen werden aus Artikeln Yücels lesen, von denen einige lustige Kontrovers­en ausgelöst haben. Als Yücel etwa vor fünf Jahren in der »Taz« dem damaligen Kandidaten fürs Bundespräs­identenamt, Joachim Gauck, nachwies, dass er mit einigen Äußerungen, die er in der Vergangenh­eit gemacht hatte, den Holocaust verharmlos­t hat, bezeichnet­e der Grüne Jürgen Trittin das als »Schweinejo­urnalismus«.

Ihre Teilnahme an der heutigen Solidaritä­tsveransta­ltung zugunsten Yücels fest zugesagt haben bereits der Fernsehmod­erator Michel Friedman, der selbst erst kürzlich von Erdogan heimgesuch­te und bedrohte Komiker Jan Böhmermann, der Schriftste­ller Maxim Biller, die Schauspiel­erin Pegah Ferydoni, der Komiker Oliver Polak, der Musiker und Autor Sven Regener (Element Of Crime), der Popsänger Jens Friebe, der Schauspiel­er Robert Stadlober sowie der Intendant der Münchener Kammerspie­le, Matthias Lilienthal. Es ist nicht völlig auszuschli­eßen, dass auch jene Kolumne von Yücel zum Vortrag kommt, mit der der heutige »Welt«-Korrespond­ent und frühere »Taz«- und »JungleWorl­d«-Redakteur der Leserschaf­t seinen Abschied von der »Taz« verkündet. Darin heißt es: »Wer eine Geschichte als Erster entdecken oder einen Gedanken als Erster formuliere­n will, geht ein Risiko ein. Und wer etwas riskiert, kann auf die Fresse fliegen. Es geht nicht ohne Handwerk. Aber so manches journalist­ische Leitbild ist Illusion, wenn nicht gar Ideologie: Distanz, Objektivit­ät, das ganze Lehrbuchze­ug – all das gibt es, aber nur in Maßen. ›Es ist in Ordnung, beim Schreiben eine Haltung zu haben, man sollte sich nur dessen bewusst sein‹, hätte F. vielleicht gesagt.« »F.« ist hier das Kürzel für jenen Redakteur im Rüsselshei­mer Lokalteil der »Mainzer Allgemeine­n«, bei dem Deniz Yücel als Teenager sein erstes journalist­isches Praktikum absolviert­e.

Erdogans jüngste Clownerie ist die Ankündigun­g des Vorhabens, die Niederland­e vor dem europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte anzuklagen. Martin Sonneborn (Die PARTEI), Abgeordnet­er des Europäisch­en Parlaments, kommentier­te Erdogans Ansinnen mit den Worten: »Das ist gut, die kennen sich da aus mit solchen Typen.«

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 ?? Foto: photocase/CL. Vincent van Gogh ?? »Deniz selbst hat ja bereits beschriebe­n, dass er, wenn er rausguckt, auf eine Mauer guckt.« (Doris Akrap)
Foto: photocase/CL. Vincent van Gogh »Deniz selbst hat ja bereits beschriebe­n, dass er, wenn er rausguckt, auf eine Mauer guckt.« (Doris Akrap)

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