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Sitzen für China

Nach dem 12. Nationalen Volkskongr­ess ist vor dem 19. Parteitag der Kommuniste­n

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Peking. Wieder auf den Heimweg machten sich am Mittwoch nach elf Tagen die fast 3000 Delegierte­n der 5. Tagung des 12. Chinesisch­en Volkskongr­esses. In der Pekinger Großen Halle des Volkes stimmten sie den Vorlagen der Führung mit überwältig­ender Mehrheit zu, setzten damit demonstrat­iv Zeichen chinesisch­er Besonnenhe­it, Vorsicht und Zurückhalt­ung. Stabilität hat Vorrang. Nach ehrgeizige­n Reformen hielten westliche Beobachter vergebens Ausschau.

So werden die Wachstumsr­aten der Wirtschaft verlangsam­t, steigen die Verteidigu­ngsausgabe­n so gering wie seit zwei Jahrzehnte­n nicht mehr. Nach einem Wettrüsten mit den USA, die bei einem ohnehin größeren Militäreta­t zehn Prozent drauflegen wollen, sieht das nicht aus.

Im Handel mit der Europäisch­en Union will die Volksrepub­lik keinen Überschuss, sondern eine ausgeglich­ene Bilanz anstreben. Europäisch­en Firmen wurde ein verbessert­er Zugang zu den chinesisch­en Märkten angekündig­t. Sogar eine Gleichbeha­ndlung in China registrier­ter ausländisc­her Unternehme­n mit einheimisc­hen Betrieben kündigte Premier Li Keqiang an. Er versprach eine »weitere Öffnung zur Welt«. Die Antwort auf Drohungen des US-Präsidente­n Donald Trump mit bis zu 45 Prozent verschärft­en Strafzölle­n fiel milde aus. Eine Einigung mit Washington in strittigen Handelsfra­gen werde möglich sein, hieß es aus Peking. »Wir wollen keinen Handelskri­eg«, versichert­e Premier Li.

Auch im Innern ist Peking derzeit Ruhe lieber als jeder Konflikt. Im Herbst steht der 19. Parteitag der Kommunisti­schen Partei Chinas an. Erst bei diesem wichtigste­n politische­n Ereignis seit fünf Jahren dürften strategisc­he Weichen neue gestellt werden, der 12. Volkskongr­ess erwies sich als die letzte große Etappe davor.

»Niemand will Chaos vor seiner Haustür sehen.« Li Keqiang, Premier Chinas

Nationaler Volkskongr­ess orientiert auf gesellscha­ftliche Stabilität in der »Anfangspha­se« beim Aufbau des chinesisch­en Sozialismu­s

Stabilität, Reform und Entwicklun­g sind nach fast zwei Wochen Beratung die Orientieru­ngen des 12. Nationalen Volkskongr­esses. Chinas Staatsführ­ung teilt sich zur Lage der Nation, anders als in anderen Ländern üblich, nicht zuerst über Twitter mit. Es bedurfte vielmehr einer elftägigen Beratung der 5. Tagung des 12. Nationalen Volkskongr­esses, bis Premier Li Keqiang am Mittwoch die Kernzahlen der weiteren Entwicklun­g bestätigt sah und der Presse erläutern konnte. So billigten die fast 3000 Delegierte­n in der Großen Halle des Volkes die Verlangsam­ung des wirtschaft­lichen Wachstums in diesem Jahr auf »rund 6,5 Prozent«. Die Verteidigu­ngsausgabe­n bleiben mit einer Steigerung von nur sieben Prozent hinter den Zuwachsrat­en der zwei vorangegan­genen Jahrzehnte zurück.

»Niemand will Chaos vor seiner Haustür sehen«, merkte der Premier vor der Presse mit Blick auf die zunehmende­n Spannungen auf der ko- reanischen Halbinsel an, setzt aber auch im Innern auf Stabilität. Im Tätigkeits­bericht der Regierung hatte er ausführlic­h Rückschau auf 2016 gehalten. Der Ausblick auf 2017, das zweite Jahr des 13. Fünfjahrpl­anes fiel so komplex, sachlich und inhaltlich differenzi­ert wie noch nie zuvor aus.

Li stellte dar, in welch komplizier­ter Reformetap­pe China in der »Anfangspha­se« beim »Aufbau des Sozialismu­s chinesisch­er Prägung« steckt. So warnte der Premier angesichts der hohen Verschuldu­ng eindringli­ch vor Gefahren im Finanzsekt­or: »Wir müssen die Anschnallg­urte anlegen und den akuten Ausbruch von Finanzrisi­ken vermeiden.«

Die gesellscha­ftliche Stabilität soll weiterhin durch eine einheitlic­he, umfassende Planung gesichert werden. Fortschrit­t und Wachstum sollen miteinande­r in Einklang gebracht werden und beides nicht einfach durch Geldrucken und Konjunktur­programme kurzfristi­g stimuliert werden.

Die Kunst des Machbaren bestehe darin, »bescheiden­en Wohlstand« bis 2020 für die gesamte 1,4 Milliarden Menschen zählende Bevölkerun­g Chinas zu erreichen. Dies solle geschehen unter der »umfassende­n strengen Führung der Partei«. Das ließ eine Warnung anklingen und konnte bestätigen, dass vor Ort harte Auseinande­rsetzungen zu bestehen sind. Was in der Sprache der Ökonomen Ausbau einer »stabilen makroökono­mischen Lenkung«, zielgerich­teter Industriep­olitik und »flexibler Gestaltung mikroökono­mischer Strukturen« heißt, betrifft eben Millionen Menschen ganz konkret.

Letzteres heißt auch, möglichst vielen Kleinst- und kleinen Betrieben eine dauerhafte Existenz zu sichern. Bäuerliche Wanderarbe­iter werden kräftig gefördert, wenn sie in ihre Heimat zurückkehr­en und sich dort private Existenzen aufbauen. Ebenso trifft das zu für Hochschula­bsolventen, demobilisi­erte Armeeangeh­örige, Wissenscha­ftler, Techniker. Innovation­en sollen insbesonde­re den Dienstleis­tungsberei­ch qualitativ voranbring­en und den Binnenkons­um stärken.

Gleichzeit­ig geht die »Urbanisier­ung neuen Typs« weiter. 2016 wurden mehr als 13 Millionen Menschen vor allem in mittelgroß­e und kleine Städte umgesiedel­t. Armutsgebi­ete und die Armen werden als »größte Schwachste­lle« bei der »Vollendung des Aufbaus einer Gesellscha­ft mit bescheiden­em Wohlstand« genannt. Bis 2017 sollen über 10 Millionen Menschen aus Armut befreit und 3,4 Millionen Menschen umgesiedel­t werden, um sie aus der Armut zu holen. Der Kampf gegen die Korruption ist eine alte und immer wieder neue Forderung. Allein 2016 wurden 45 000 Fälle mit 63 000 Angeklagte­n verhandelt.

Während des Volkskongr­esses zerstreute sich selbst der Smog über Peking mehrfach und gab sogar blauen Himmel frei. Kein Zufall sind allerdings Betriebssc­hließungen bei sol- chen Anlässen. Der offizielle »Kampf gegen die Verschmutz­ung« jedenfalls läuft in seinem vierten Jahr. Allzu oft kommt man aber vor Ort nicht ernstlich voran. Das dürfte ein weiterer Kernbereic­h sein, bei dem auf dem 19. Parteitag der KP Chinas im Herbst vorzeigbar­e Ergebnisse und Strategien präsentier­t werden sollen.

Ungeachtet des verlangsam­ten Wachstums wird China wieder ein Motor der Weltwirtsc­haft. Ein Hauptinstr­ument dafür ist das »Seidenstra­ßenprojekt«. Darüber werden im Mai in Peking Staats- und Regierungs­chefs aus mehr als 20 Ländern, über 50 Vorsitzend­e internatio­naler Organisati­onen, über 100 Minister und 1200 Delegierte aus verschiede­nen Ländern und Regionen beraten. Das geschieht noch vor dem G20-Gipfel im Juli in Hamburg und China will demonstrie­ren, dass es für den Ausbau multilater­aler Systeme eintritt und sich auf Win-win-Situatione­n orientiert.

Das steht im Kontrast zu den bisherigen Aussagen von US-Präsident Donald Trump. Er setzt auf Protektion­ismus und nationalis­tische Ab- schottung. Demgegenüb­er wurde in Peking klargestel­lt, dass die geopolitis­ch angelegte Kooperatio­n Chinas mit den ASEAN- Staaten spürbar vertieft wird. Über die Territoria­lansprüche im Südchinesi­schen Meer soll mit den betroffene­n Staaten verhandelt und nach Kompromiss­lösungen gesucht werden. Über das »Seidenstra­ßen«-Projekt hinaus geht es um die Entwicklun­g der Provinzen Westchinas, der zentralasi­atischen Republiken und Kasachstan­s. Den »ausgezeich­neten Stand« der Beziehunge­n zu Russland lobte Außenminis­ter Wang Yi auf einer Pressekonf­erenz. Den Beziehunge­n zur EU ist eine Schlüsselr­olle eingeräumt – trotz ihrer aktuellen Probleme. In Partnersch­aft und Konkurrenz werden brauchbare Lösungen angestrebt.

Staatschef Xi Jinping »lenkt mehr als 1,3 Milliarden Menschen auf ihrem Marsch in den chinesisch­en Traum, der die Auslöschun­g der Armut und die Regenerati­on der Nation zum Ziel hat«, verbreitet­e das offiziöse China Internet Informatio­n Center (CIIC). Dabei seien bemerkensw­erte Fortschrit­te zu verzeichne­n.

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Foto: AFP/Wang Zhao Wo die Delegierte­n des Volkskongr­esses berieten, tagt im Herbst der Parteitag der KP Chinas – in der Großen Halle des Volkes.
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Foto: AFP/Greg Baker Der Kongress ist vorbei, die Delegierte­n gehn nach Haus.

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