nd.DerTag

Mord im Paradies

Im Kino: »Die rote Schildkröt­e« von Michael Dudok de Wit

- Von Caroline M. Buck

Der Film »Die rote Schildkröt­e« ist bewegte Malerei.

Am Anfang kämpft einer ums Überleben, kämpft gegen das tobende Wasser, das ihn wieder und wieder zu verschling­en droht. Später wird er gegen die Insel kämpfen, an deren Strand er schließlic­h landete. Wird versuchen, dem kleinen grünen Eiland zu entkommen, und dazu vor wirklich keinem Mittel zurücksche­uen. Und sich am Ende dann doch mit der Insel anfreunden, auf der er nun auch nicht mehr alleine lebt. Bis der ganze Zyklus wieder von vorne beginnt.

»Die rote Schildkröt­e« ist ein bewegtes Aquarell, ein Animations­film aus Umrisszeic­hnungen und hellen Farben, voller Schönheit, natürliche­n Rhythmen und Musik. Aber auch mit Momenten von Mord, Tod und Schuld. Ein Film, erdacht von einem Europäer, dessen Pinselstri­ch immer schon von asiatische­r Zeichenkun­st inspiriert schien. Und diesmal produziert vom japanische­n Studio Ghibli, dem Studio von Großmeiste­r Hayao Miyazaki, das sich hier erstmals zwar nicht an einem europäisch­en Thema, aber wohl erstmals an einer europäisch­en Produktion versuchte.

Die Ästhetik ist ganz von Michael Dudok de Wit geprägt, der nach dem bezaubernd­en Kurzfilm »Der Mönch und der Fisch« von 1994 und dem oscar-prämierten »Father and Daughter« (2000) mit »Die rote Schildkröt­e« nun seinen ersten Langfilm vorlegt – auf Aufforderu­ng von Ghibli-Seite, was ja schon mal ein nettes Kompliment ist. Völlig aus dem Blauen eines Tages per E-mail angefragt, was er als Thema für einen Spielfilm wählen würde, wenn Ghibli die Produktion übernähme, fiel dem Niederländ­er als erstes die einsame Insel ein, die Geschichte vom Schiffbrüc­higen, der zunächst schlicht überleben und dann irgendwie mit seinem einsamen Schicksal umgehen muss. So erzählt es der Regisseur, auf die lange Traditions­linie seines Themas verweisend. Und hat dann doch eine ganz eigene Variante der altbekannt­en Robinson Crusoe-Geschichte geschaffen.

Am Buch seines Films mitgeschri­eben hat die französisc­he Filmemache­rin Pascale Ferran, deren »Lady Chatterley« nach D.H. Lawrence seinerzeit im Panorama der Berlinale lief (und in dem Jahrgang der beste Film der Berlinale war). Auch dort spielte die Natur schon eine große Rolle – eine größere vielleicht, als man der Vorlage zugetraut hätte. »Die rote Schildkröt­e« könnte man nun ganz direkt einen Naturfilm nennen, auch wenn er ganz und gar gezeichnet ist. Einen Naturfilm mit aller Erhabenhei­t der Bilder, die das Thema mit sich bringt, aber auch mit den niedrigen Beweggründ­en, die zum zentralen Mord an einer hilflosen Kreatur führen. Ein Mord, aus dem der Held (wenn er denn einer wäre) noch dazu Profit schlägt, auch wenn er das vorab kaum absehen konnte. Weil ihm nämlich aus dem Tod eines anderen eine Partnerin entsteht, wodurch aus der Insel, von der es unbedingt zu flüchten galt, recht bald ein irdisches Paradies naturnaher Selbstgenü­gsamkeit wird. Was man magisch nennen kann – oder einfach unverdient.

Ganz ohne Dialoge kommt der Film dabei aus, wenn auch nicht gänzlich ohne Worte. Oder vielleicht eher: Schreie. Selbst ein so komplizier­tes Konzept wie den Entdeckert­rieb der nächsten Generation und den Abschiedss­chmerz von Eltern, deren Nachwuchs in die große weite Welt aufbricht, bekommt Dudok de Wit ohne große Worte hin. Bildschön ist sein Film, voller schnurrige­r (wenn auch nicht immer kindgerech­ter) Details und elegischer Momente. Aber was er am Ende eigentlich sagen will, außer vielleicht, dass Leben und Tod ziemlich eng zusammenge­hören und des einen Leid häufig genug des anderen Freud‘ ist, das bleibt letztlich unklar.

An den großen Bildern kann man sich eine Filmlänge lang allemal erfreuen, auch wenn die beiläufige (besser spät als nie dann allerdings heftig bedauerte) Grausamkei­t des einen ausgesproc­hen mörderisch­en Aktes (im kleinen gibt es derer mehrere) jederzeit sicherstel­lt, dass es beim reinen Vergnügen nicht lange bleiben wird. Wer das genießen will, sollte sich den frühen Kurzfilm ansehen: auch »Der Mönch und der Fisch« handelte schon vom Verhältnis zwischen Mensch und Kreatur. Aber was hier in einem besonders unschönen Mord endet, fand dort zu einem spielerisc­h transzende­nten Ende.

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Foto: Universum
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Foto: Universum

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