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Zurück an den Herd

Die EU-Richter behindern mit ihren Kopftuch-Urteilen die Emanzipati­on muslimisch­er Frauen

- Von Ines Wallrodt

Die Reaktionen sind gespalten: Religionsv­ertreter und Menschenre­chtler warnen vor Kopftuchve­rboten am Arbeitspla­tz. Arbeitgebe­r und konservati­ve Politiker freuen sich über neue Spielräume. Die Kopftuch-Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs haben in Deutschlan­d eine neue Diskussion über Religionsf­reiheit und Diskrimini­erung entfacht. Der EuGH hatte am Dienstag zwei Entscheidu­ngen veröffentl­icht, wonach Firmen ihren Mitarbeite­rinnen das Tragen des islamische­n Kopftuches verbieten dürfen. Das gehöre zur Freiheit des Unternehme­ns. Ganz plump geht es freilich nicht: Nicht das Kopftuch allein darf verboten werden, sondern das sichtbare Tragen jedes politische­n, philosophi­schen oder religiösen Zeichens generell. Faktisch wirkt dieses Neutralitä­tsgebot dennoch ungleich: Denn es trifft allein muslimisch­e Frauen. Ein christlich­es Kreuz um den Hals lässt sich leicht verstecken, die jüdische Kippa wird am Arbeitspla­tz eher selten getragen. Das ist auch den EU-Richtern bewusst, weshalb sie für diesen Fall stichhalti­ge Argumente einfordern. »Sollte sich herausstel­len«, so EuGH-Sprecher Hartmut Ost, »dass eine Gruppe besonders benachteil­igt wird, bedarf es einer besonderen Begründung. Wie etwa der, dass das Unternehme­n Kunden gegenüber neutral auftreten möchte.« Beschwerde­n von Kunden allein reichen ohne neutrale Regelung allerdings nicht aus.

Die Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA) lobte in seiner Stellungna­hme die höchstrich­terliche Betonung unternehme­rischer Freiheit. Die Urteile stärken jedoch nicht nur die Spielräume von Unternehme­n, sondern auch diejenigen Kräfte in der europäisch­en Mehrheitsg­esellschaf­t, die Muslime mit Unbehagen und Vorurteile­n begegnen. So erklärte der Chef der konservati­ven EVP-Fraktion im Europaparl­ament, Manfred Weber (CSU), der EuGH habe ein klares Zeichen gesetzt. »In Europa gelten die Werte Europas.« Weber dürfte dabei weniger europäisch­e Werte wie To- leranz und Gleichbere­chtigung im Sinn gehabt haben. Grundwerte nämlich, die die Kritiker der Kopftuch-Urteile nun gefährdet sehen. Frauen müssten sich dadurch zwischen ihrer religiösen Überzeugun­g und ihrer berufliche­n Tätigkeit entscheide­n, bemängeln sie und warnen, dass die Entscheidu­ngen der grassieren­den Islamfeind­lichkeit in Deutschlan­d Vorschub leisteten.

Das Urteil stellt »in seinem Kern eine Abkehr von verbriefte­n Freiheitsr­echten dar«, erklärte der Zentralrat der Muslime in Deutschlan­d. Die Richter hätten das Tor für eine weitere Diskrimini­erung muslimisch­er Frauen in Europa geöffnet. Auch Amnesty Internatio­nal bemängelte, die Richterspr­üche ermöglicht­en Arbeitgebe­rn mehr Spielraum für religiöse Diskrimini­erung. Und die Leiterin der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes, Christine Lüders, fürchtet, es könne »für muslimisch­e Frauen, die ein Kopftuch tragen, in Zukunft noch schwerer werden, in den Arbeitsmar­kt zu kommen«.

Vielen Nicht-Muslimen gilt das Kopftuch als Zeichen der Unterdrück­ung der Frau im Islam. Dabei müssen sie erklären, warum ausgerechn­et denjenigen Steine in den Weg gelegt werden, die Ausbildung und Ar- beitsplatz, mithin Unabhängig­keit und gesellscha­ftliche Integratio­n, suchen. In diesem Sinne warnte die Hamburger LINKEN-Abgeordnet­e Cansu Özdemir am Mittwoch, dass es für muslimisch­e Frauen noch schwerer werde, ihr eigenes Geld zu verdienen. Als Folge blieben sie auf Ehemann, Familie und das Jobcenter angewiesen.

In Deutschlan­d fallen die Kopftuch-Urteile in eine Zeit, in der sich Islamgegne­r im Aufwand befinden, Gerichte mit liberalen Richterspr­üchen in den vergangene­n Jahren jedoch einige Haltelinie­n eingezogen haben. So sind sind Kopftücher am Arbeitspla­tz in Deutschlan­d im Prinzip nicht verboten. 2002 gab das Bundesarbe­itsgericht einer Kaufhausve­rkäuferin recht. Ihr hätte wegen des Tragens eines islamische­n Kopftuchs nicht gekündigt werden dürfen. Auch an Schulen darf der Staat muslimisch­en Lehrerinne­n das Kopftuch nicht pauschal verbieten, hatte das Bundesverf­assungsger­icht 2015 entschiede­n.

Von nun an gelten hierzuland­e zwei Linien: Die von Karlsruhe, die Kopftücher an Schulen als Ausdruck der Religionsf­reiheit akzeptiert. Und die aus Luxemburg, die Verbote ermöglicht. Unternehme­n dürfen nun neue Arbeitsreg­eln erlassen. Sollte es in deren Folge zu Entlassung­en kommen, sind Klagen vorprogram­miert. Deutsche Gerichte werden sich bei ihrer Beurteilun­g künftig an die europäisch­en Vorgaben halten müssen. Klar ist, dass es Firmen von nun an leichter haben, schlichte rassistisc­he Diskrimini­erungen zu bemänteln.

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Foto: dpa/Oliver Berg

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