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Klare EU-Worte Richtung Ankara

Unterschie­dliche Vorstellun­gen über Zukunft der Union bleiben dagegen bestehen

- Von Kay Wagner, Brüssel

EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani machte den Anfang. »In den Niederland­en wird heute gewählt, und keiner kann ein demokratis­ches Land angreifen, das Wahlen abhält«, sagte der Italiener am Mittwochvo­rmittag im Plenum des Europaparl­aments in Straßburg. Wer so etwas dennoch täte, beleidige damit nicht nur das besagte Land, sondern alle Bürger Europas und die Werte, die von allen hier geteilt würden.

EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk setzte nach: »Die Niederland­e sind Europa, und Europa sind die Niederland­e«, sagte der Pole, nachdem er den Europaabge­ordneten über die Ergebnisse des EU-Gipfels vergangene Woche in Brüssel berichtet hatte. Er sprach von einem »Ort der Freiheit und der Demokratie«. Das gelte ganz besonders für Rotterdam, die Stadt von Erasmus von Rotterdam, brutal von den Nazis zerstört, mit einem Bürgermeis­ter, der in Marokko geboren wurde. »Wenn irgendjema­nd Faschismus in Rotterdam sieht, muss er sich außerhalb der realen Welt befinden«, so Tusk. Und dann nannte EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker das Kind beim Namen: »Ich war wirklich schockiert, was ich aus der Türkei zu den Niederland­en und Deutschlan­d gehört habe«, sagte er. Die Äußerungen seien »absolut inakzeptab­el«, damit entferne sich die Türkei von Europa.

Martin Weber (CSU), der als Sprecher der größte Fraktion im Europaparl­ament später als erster Abgeordnet­er sprechen durfte, griff das auf. »Eine türkische Vollmitgli­edschaft ist in absehbarer Zeit nicht möglich«, schloss er seine Kritik Richtung Ankara. Die Guy Verhofstad­t als Fraktionsf­ührer der Liberalen noch schärfer formuliert­e. Zynisch sei es doch, dass ein Mann wie EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk Erdogan, der gerade dabei sei, ein autoritäre­s System aufzubauen, »uns als Faschisten bezeichnet«.

Die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei müssten auf Eis gelegt werden. Nur das könne die Antwort sein. »Und wenn er irgendwann mal wieder zur Vernunft kommt, sollte das noch mal der Fall sein, dann können wir ja wieder schauen«, so der Belgier.

Wie alle anderen auch, legte Verhofstad­t dann noch seine Ideen zur Zukunft von Europa dar. Denn darum sollte sich die Debatte im Europaparl­ament mit den Gästen Tusk, Juncker und Paolo Gentiloni, Ministerpr­äsident von Italien, eigentlich drehen. Verhofstad­t schlug ein Europa mit weniger Regeln vor. Für Toiletten, Staubsauge­r und Bananen brauche man die EU nicht. Aber mehr gemeinsame Verteidigu­ng, einen europäisch­en Finanzmini­ster, ja, das brauche die EU.

Das Thema stand aus aktuellem Anlass auf der Tagesordnu­ng. Am 25. März will die EU in Rom den 60. Jahrestag der Römischen Verträge feiern, gleichsam das Gründungsd­atum der heutigen EU. In einer Erklärung soll eine Zukunftsve­rsion für die Union formuliert werden. Doch über ihren Inhalt wurde nicht nur auf dem EU-Gipfel gestritten, sondern auch am Mittwoch im Parlament.

Gianni Pittella, Fraktionsf­ührer der Sozialdemo­kraten, bedauerte, dass die Volksvertr­etung nicht mit einbezogen wird in die Formulieru­ng der Erklärung. Sein Parteigeno­sse Gentiloni als Gastgeber der Feierlichk­eiten hatte diese Kritik zuvor ähnlich, wenn auch nur indirekt, formuliert. »Europa ist keine Koalition der Staaten, sondern der Menschen«, sagte er.

Zu wenig Beachtung der Bürger sehen Grüne und Linke bei den Diskussion­en um ein »Europa der zwei Geschwindi­gkeiten, ja oder nein?«. »Werben Sie für ein soziales Europa«, gab denn auch die Linken-Fraktionsv­orsitzende Gabi Zimmer Tusk und Juncker mit auf den Weg nach Rom.

»Wenn irgendjema­nd Faschismus in Rotterdam sieht, muss er sich außerhalb der realen Welt befinden.«

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