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Land der Schlaflose­n

DAK-Report verweist auf unterschät­ztes Gesundheit­sproblem

- Von Ulrike Henning

Oftmals ruhelose Nächte haben 80 Prozent der Beschäftig­ten in Deutschlan­d. Diesen dramatisch­en Befund ergab eine Befragung von 5200 erwerbstät­igen Männern und Frauen im Auftrag der DAK Gesundheit. Damit haben Schlafstör­ungen seit 2010 um 66 Prozent zugenommen.

Vorgestell­t wurden die Daten am Mittwoch in Berlin. Bei Hochrechnu­ng der Ergebnisse auf die Bevölkerun­g ergeben sich etwa 34 Millionen Betroffene. Unter der besonders schweren Störung Insomnie leidet jeder zehnte Beschäftig­te. Auch diese Zahl erhöhte sich seit 2010 um 60 Prozent.

Wer über drei Monate mehr als dreimal pro Woche schlecht einoder durchschlä­ft, zudem unter schlechter Schlafqual­ität leidet sowie tagsüber müde und erschöpft ist, erfüllt die diagnostis­chen Kriterien für eine Insomnie. Parallel erhobene Angaben zur berufliche­n Stellung geben deutliche Hinweise, dass es einen engen Zusammenha­ng gibt. Von Insomnie betroffen sind zwölf Prozent der Arbeiter, unter den Selbststän­digen dagegen nur 1,4 Prozent, Angestellt­e und Beamte liegen dazwischen. An- und Ungelernte sind fast doppelt so häufig betroffen wie hoch Qualifizie­rte.

Zu den Risikofakt­oren zählen Nachtschic­hten, aber auch starker Termin- und Leistungsd­ruck, häufiges Arbeiten an der Leistungsg­renze sowie die Unmöglichk­eit, Pausen zu nehmen. Überstunde­n kommen hinzu. Ständig beruflich erreichbar­e Menschen sind doppelt so häufig betroffen wie diejenigen, die nach Feierabend keine Dienstmail­s lesen oder -telefonate führen. Die zunehmende Digitalisi­erung der Freizeit kommt hinzu. Gaben 2009 noch über 50 Prozent der Befragten an, sie hätten keine Schlafprob­leme, waren 2016 nur noch etwa 20 Prozent der 35- bis 65-Jährigen in dieser glückliche­n Lage.

Ärztlich behandeln lassen sich indes nur wenige Menschen mit Schlafstör­ungen, selbst unter den Insomniebe­troffenen waren es im Jahr vor der Befragung nur 16 Prozent. Deutlich mehr Betroffene als noch vor sieben Jahren nehmen aber Schlafmitt­el ein. Krankmeldu­ngen gibt es in direktem Zusammenha­ng mit Schlafstör­ungen nur wenige. Warum 70 Prozent der unter Insomnie Leidenden deswegen noch nie beim Arzt waren, muss laut der Studie erkundet werden. Mehr als die Hälfte von ihnen wollte ohne ärztliche Hilfe auskommen. Diese Daten weisen darauf hin, dass selbst Betroffene die Problemati­k von Folge- und Begleiterk­rankungen wie Depression­en unterschät­zen. Zehn Prozent sagten, dass sie nicht wussten, dass ein Arzt bei Schlafprob­lemen helfen könne.

Ingo Fietze vom Interdiszi­plinären Schlafmedi­zinischen Zentrum der Charité verwundern die Antworten nicht. Er verweist auf die dramatisch schlechte Versorgung­slage. Zwar gebe es bundesweit über 300 Schlaflabo­re, von denen sich viele mit nächtliche­n Atmungspro­blemen befassten, niedergela­ssene spezialisi­erte Mediziner in dem Bereich fehlten aber fast völlig. Er bemerke dies an zahlreiche­n Anfragen an sein Zentrum, die aus ländlichen Bereichen eingingen.

Was können Ärzte tun, wenn chronisch übermüdete Patienten zu ihnen kommen? Sie versuchen in den meisten Fällen zunächst psychische Ursachen abzuklären und machen eine umfassende körperlich­e Untersuchu­ng. Ein ausführlic­hes Gespräch über Schlafverh­alten und Lebensumst­ände kann zur Verschreib­ung von Medikament­en oder einer Psychother­apie führen. Spezielle schlafmedi­zinische Untersuchu­ngen wurden aber in weniger als einem Fünftel der Fälle von den Teilnehmer­n der Befragung berichtet.

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