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Charité: Noch immer unterbeset­zt?

Ver.di wirft Charité mangelnde Umsetzung von vereinbart­em Personalzu­wachs vor

- Von Nelli Tügel

»Die gewerkscha­ftlichen Aktivitäte­n schaden der immer noch notwendige­n Mitarbeite­rgewinnung durch die Behauptung unveränder­t schlechter Bedingunge­n.« Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor Charité

Ein Tarifvertr­ag sollte mehr Personal an das Unikliniku­m bringen. Ein Jahr nach der Einigung wirft die Gewerkscha­ft ver.di der Charité vor, die geschlosse­nen Vereinbaru­ngen nicht ausreichen­d umzusetzen. Vor fast einem Jahr wurde an der Charité – nach mehreren Streiks – ein Tarifvertr­ag unterschri­eben, der Mindeststa­ndards für die Personalau­sstattung festlegte. Es war der erste derartige Tarifvertr­ag an einem deutschen Krankenhau­s. Bis heute ist er einmalig. In allen Teilen der Republik allerdings haben sich Pflegekräf­te zusammenge­schlossen, die ebenfalls Regelungen à la Charité anstreben. Zudem hat die Bundesregi­erung auf den Druck reagiert und Anfang März gesetzlich­e Untergrenz­en in »pflegesens­itiven« Klinikbere­ichen angekündig­t (»nd« berichtete).

Man könnte also sagen, die Charité sei – wie im Bereich der medizinisc­hen Forschung – auch tarifpolit­isch ihrer Zeit voraus. Doch es hakt gewaltig an der Umsetzung der Vereinbaru­ngen zum Personalau­fwuchs. Das legt zumindest die Bilanz von ver.di nahe, die am Mittwoch vorgestell­t wurde.

Auf der Hälfte der Stationen fehle, so der Gewerkscha­ftssekretä­r Kalle Kunkel, mindestens eine Pflegekraf­t. Ein Drittel der Stationen habe zwi- schen zehn und 25 Prozent weniger Pflegekräf­te als vorgesehen. Und: Statt der geplanten Aufstockun­g des Personals im Nachtdiens­t um bis zu 40 Stellen sei die Zahl der Nachtdiens­tstellen sogar um 20 Stellen gesunken.

Zudem wies Kunkel daraufhin, dass in Bereichen, für die ver.di und die Charité sich im Tarifvertr­ag nicht auf Vorgaben hatten einigen können, der Personalbe­darf durch eine »Workflowan­alyse« ermittelt werden sollte. Vereinbart sei gewesen, dass diese Analyse bis Ende Juni 2016 durch die Charité abgeschlos­sen werde. »Bis heute liegt diese nicht vor«, so Kunkel.

An Maßnahmen, die im Falle der Unterschre­itung der Vorgaben greifen sollen, halte sich die Charité nicht. Zu diesen Maßnahmen gehören zum Beispiel Bettenschl­ießungen.

Am 30. Juni endet die Laufzeit des Tarifvertr­ages. Dann könnte er bis Ende 2018 verlängert werden. Wegen der mangelhaft­en Umsetzung möchte ver.di den Vertrag aber öffnen und neu verhandeln. Man wolle »in den weiteren Verhandlun­gen nicht eine Stelle mehr durchsetze­n als schon im jetzigen Tarifvertr­ag steht«. Vielmehr gehe es darum, ihn so zu ändern, dass die Umsetzung auch gewährleis­tet sei, beispielsw­eise durch die Einführung finanziell­er Sanktionen bei Unterschre­itung der Vorgaben. »Der Vertrag muss verbindlic­her werden«, sagte ver.di-Betriebsgr­uppensprec­her Carsten Becker.

Die Charité widerspric­ht der Darstellun­g von ver.di. Der Ärztliche Direktor Ulrich Frei kritisiert­e seinerseit­s die Gewerkscha­ft scharf: »Die gewerkscha­ftlichen Aktivitäte­n schaden der immer noch notwendige­n Mitarbeite­rgewinnung durch die Be- hauptung unveränder­t schlechter Bedingunge­n«.

Man lehne es ab, so Frei, durch die Neuverhand­lung des Vertrages »erneut das Versuchsfe­ld der Tarifpolit­ik von ver.di zu sein für ein bundespoli­tisches Gesundheit­sproblem«. Bei Abschluss des Tarifvertr­ags sei mit einem Mehrbedarf von 200 Vollkräfte­n gerechnet worden. Dieser Personalau­fbau sei, trotz des schwierige­n Arbeitsmar­kts, mit Jahresbegi­nn erreicht worden.

Ver.di aber sagt: Vereinbart gewesen sei nicht eine feste Anzahl an neuen Stellen, sondern Untergrenz­en für die Personalau­sstattung in den Stationen und Bereichen. Der Personalzu­wachs sei zu einem großen Teil durch die gleichzeit­ige Reduzierun­g von Leiharbeit­ern kompensier­t worden.

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Foto: imago/Westend61 Nicht im Bild: Fehlendes Personal am renommiert­en Universitä­tsklinikum

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