Fassbomben und Kulleraugen
Im Kino: Der Dokumentarfilm »Die letzten Männer von Aleppo«
In dem Dokumentarfilm »Die letzten Männer von Aleppo« gibt es kein Gestern und kein Morgen. Es gibt nur ein diffuses Jetzt, und selbst das wird nicht auf einen konkreten Zeitpunkt festgelegt. Der Zuschauer erfährt nicht, wann und wo und von wem die hier beklagten Bombenangriffe ausgeführt werden, zu den die im Film porträtierten Rettungssanitäter von den »Weißhelmen« dann eilen. Selbstverständlich erfährt man erst recht nicht, gegen wen sich diese Bomben richten und wie es überhaupt dazu kam, dass syrische Großstädte von westlich hochgerüsteten Gotteskriegern besetzt sind.
Das direkte und informationslose Hineinwerfen des Zuschauers in eine Trümmerstadt mag im ersten Augenblick irgendwie »authentisch« erscheinen und auch die Unwissenheit der von der Außenwelt abgeschnittenen Protagonisten spiegeln – ein Erkenntnisgewinn stellt sich aber nicht ein. Und das ist mutmaßlich auch so gewollt. In diesem Film wird nicht mit gebührender Distanz die angeblich so »komplizierte Gemengelage« in Syrien entwirrt. Statt dessen wird eine mit großem Aufwand bereits installierte westlich-mediale Deutung nochmals emotional unterfüttert. Dafür nehmen die Filmemacher in Kauf, sich mit Haut und Haaren und Geigenkitsch auf eine Seite des Krieges zu schlagen, und damit vom Dokumentaristen zum Propagandisten zu werden.
Werden im Film selber statt Fakten Heldengeschichten erzählt, so werden dagegen im dürren Vorspann auch Informationen verkündet, die einfach falsch sind: Die »Weißhelme« sind keine NGO, sie sind nicht überparteilich und sie wurden auch nicht von einfachen Syrern in Form einer Nachbarschaftshilfe gegründet, wie der Vortext behauptet. Es gab diese Sanitäter ausschließlich in den von Al-Qaida dominierten »Rebellen«Gebieten, sie wurden oft mit Waffen und Islamistenfahnen fotografiert, sie wurden von westlichen Kriegsparteien wie den USA, Großbritannien oder Frankreich mit Millionen von Dollars unterstützt und gegründet hat sie ein ehemaliger britischer Armee-Offizier.
Auch die fraglos mutigen Männer, die von den Regisseuren Feras Fayyad und Steen Johannessen begleitet werden, haben keine Vergangenheit oder Zukunft, wir erfahren nichts über sie, außer ihren Vornamen und dass die Hauptfigur Khaled zuckersüße Kinder hat.
Überhaupt die Kinder: Sie werden in der Doku so exzessiv instrumentalisiert, dass sie die zweite Hauptrolle nach den »Weißhelmen« ausfüllen. Jörg Becker, Politikprofessor an der Universität Marburg sagt zu dieser Methode im Zusammenhang mit Syrien: »In der Kriegsberichtserstattung ist der Missbrauch von Kleinkindern eine üble Form von Kriegsjournalismus. Dort, wo kleine Mädchen auftauchen, ist nur noch Propaganda im Spiel. Dass unsere Medien dieses Spiel mitspielen, ist unerträglich.« Und auch »Die letzten Männer von Aleppo« nutzt die Emotionalisierung durch traurige Kulleraugen in abstoßendem Maße.
Und so ist es ein Film gegen das Denken – und für ein diffuses Gefühl, das mit Blut und Kindertränen geschürt wird, um es dann gegen den syrischen »Machthaber«, also den Präsidenten Baschar al-Assad, in Stellung zu bringen. Man würde die »Dokumentation« darum eigentlich verschämt verschweigen, wenn sie nicht eine solch fatale Wirkung auf zahlreiche Kritiker hätte und etwa beim renommierten Sundance Film Festival als »Bester Dokumentarfilm 2017« ausgezeichnet worden wäre. Die »Weißhelme« sind ein Propagandaphänomen, über das gesprochen werden muss. Das zeigt auch der gerade verliehene Oscar als beste KurzDoku für den ganz ähnlich konzipierten Film »The White Helmets«. So absurd diese Wahl ist, so deutlich zeigt sie die unheimliche Kraft der Gefühls-Dokus selbst auf Menschen, die sich eine gewisse Medienkompetenz und -distanz zugute halten.
Wie so oft bei Propaganda verwundert weniger deren Einsatz, als deren Rezeption: Die westlichen Länder, die der syrischen Regierung bewaffnete Islamisten auf den Hals hetzen, versuchen natürlich das Bild »ihrer« Al-Qaida-Söldner (»Opposition«!) in rosaroten Tönen zu zeichnen, das ist nicht verwunderlich. Was dagegen verwundert, ist der Grad der Überwältigung von kritischen Beobachtern, Journalisten und Politikern durch Humanitäts-Kitsch, wie er etwa in »Die letzten Männer von Aleppo« angerührt wurde.
Auch darum trifft diese Kritik nicht die »Weißhelme« selber, sondern jene, die diese verzweifelten und todesmutigen Männer für ihre verlogenen Narrative vom unabhängigen und demokratischen syrischen Volksaufstand ausnutzen. Die Arbeit der Sanitäter ist – auch wenn diese eindeutig Kriegspartei gegen Assad sind – über jeden Zweifel erhaben, sie rettet mutmaßlich zahlreiche Menschenleben. Doch diese Arbeit ist Resultat eines monströsen geostrategischen Verbrechens, das vor allem NATO-Staaten gegen Syrien verübt haben.
Ganz nebenbei: So engagiert wie sich westliche Assad-Feinde zur Befreiung Aleppos positioniert haben, müssten sie nun eigentlich auch täglich aus Mossul die Zerstörung »des letzten Kinderkrankenhauses« und die »Tötung des letzten Kinderarztes« durch die US-Koalition vermelden. Gibt es in Mossul keine twitternden kleinen Mädchen? Und wo stecken eigentlich die irakischen »Weißhelme«, die unterlegt von Geigenteppichen Kleinkinder aus den Trümmern der US-Bomben ziehen? Keine Frage: Es ist gut, dass wir bei diesem Kampf von solchen Propaganda-Phrasen verschont bleiben, die dröhnende Funkstille zu Mossul wirft aber ein umso grelleres Licht auf die infam geheuchelte Hysterie zu Aleppo. Denn beide Städte werden gleichermaßen von islamistischen Mörderbanden befreit. Die Befreiung dieser Großstädte ist der erste »Krieg gegen den Terror« seit 2001, der diesen Namen tatsächlich verdient.
Abseits der chaotischen, verwackelten und weder zeitlich noch geografisch eingeordneten Rettungsaktionen zeigt der Film einen erstaunlich normalen und manchmal rührenden Alltag im eingeschlossenen Ost-Aleppo: Männer richten sich neben Bombenkratern eine Oase mit Fischteich ein, während einer Feuerpause können die Kinder endlich wieder zum Spielplatz, die Ruinen sehen im Morgenlicht so bedrohlich wie morbide-faszinierend aus. Hier und da ist »Die Männer von Aleppo« völlig unangemessen stilisiert, und zumindest die Tonspur steht unter starkem Manipulationsverdacht. Der Film widerspricht allen journalistischen Standards, etwa wenn permanent die »Fassbomben« von »Arschloch Assad« verflucht werden, aber keine Einordnung erfolgt, geschweige denn die Gegenseite zitiert würde.
Es flattert im ganzen Film keine einzige Al-Qaida-Fahne. Das ist verdächtig, schließlich haben sich längst alle in Ost-Aleppo vertretenen Gruppen ganz offiziell der Al-Qaida unterworfen. Kommen sie nach Deutschland, werden diese Kämpfer als Terroristen angeklagt – so lange sie aber in Syrien gegen Assad kämpfen, nennen Teile unserer Medien diese Kopfabschneider »Opposition«. Große Teile der Berichterstattung zum Angriffskrieg gegen Syrien sind eine Schande. Die mutigen, unschuldigen, ja: heldenhaften, aber gnadenlos instrumentalisierten Männer der »Weißhelme« sind wichtiger Teil dieser Lügenkampagne.
Ein Film gegen das Denken – und für ein diffuses Gefühl, das mit Blut und Kindertränen geschürt wird »Ich möchte wie Ghandi sein und wie Martin Luther King und John Lennon. Aber ich möchte am Leben bleiben.« Madonna