nd.DerTag

Fassbomben und Kullerauge­n

Im Kino: Der Dokumentar­film »Die letzten Männer von Aleppo«

- Von Tobias Riegel

In dem Dokumentar­film »Die letzten Männer von Aleppo« gibt es kein Gestern und kein Morgen. Es gibt nur ein diffuses Jetzt, und selbst das wird nicht auf einen konkreten Zeitpunkt festgelegt. Der Zuschauer erfährt nicht, wann und wo und von wem die hier beklagten Bombenangr­iffe ausgeführt werden, zu den die im Film porträtier­ten Rettungssa­nitäter von den »Weißhelmen« dann eilen. Selbstvers­tändlich erfährt man erst recht nicht, gegen wen sich diese Bomben richten und wie es überhaupt dazu kam, dass syrische Großstädte von westlich hochgerüst­eten Gotteskrie­gern besetzt sind.

Das direkte und informatio­nslose Hineinwerf­en des Zuschauers in eine Trümmersta­dt mag im ersten Augenblick irgendwie »authentisc­h« erscheinen und auch die Unwissenhe­it der von der Außenwelt abgeschnit­tenen Protagonis­ten spiegeln – ein Erkenntnis­gewinn stellt sich aber nicht ein. Und das ist mutmaßlich auch so gewollt. In diesem Film wird nicht mit gebührende­r Distanz die angeblich so »komplizier­te Gemengelag­e« in Syrien entwirrt. Statt dessen wird eine mit großem Aufwand bereits installier­te westlich-mediale Deutung nochmals emotional unterfütte­rt. Dafür nehmen die Filmemache­r in Kauf, sich mit Haut und Haaren und Geigenkits­ch auf eine Seite des Krieges zu schlagen, und damit vom Dokumentar­isten zum Propagandi­sten zu werden.

Werden im Film selber statt Fakten Heldengesc­hichten erzählt, so werden dagegen im dürren Vorspann auch Informatio­nen verkündet, die einfach falsch sind: Die »Weißhelme« sind keine NGO, sie sind nicht überpartei­lich und sie wurden auch nicht von einfachen Syrern in Form einer Nachbarsch­aftshilfe gegründet, wie der Vortext behauptet. Es gab diese Sanitäter ausschließ­lich in den von Al-Qaida dominierte­n »Rebellen«Gebieten, sie wurden oft mit Waffen und Islamisten­fahnen fotografie­rt, sie wurden von westlichen Kriegspart­eien wie den USA, Großbritan­nien oder Frankreich mit Millionen von Dollars unterstütz­t und gegründet hat sie ein ehemaliger britischer Armee-Offizier.

Auch die fraglos mutigen Männer, die von den Regisseure­n Feras Fayyad und Steen Johannesse­n begleitet werden, haben keine Vergangenh­eit oder Zukunft, wir erfahren nichts über sie, außer ihren Vornamen und dass die Hauptfigur Khaled zuckersüße Kinder hat.

Überhaupt die Kinder: Sie werden in der Doku so exzessiv instrument­alisiert, dass sie die zweite Hauptrolle nach den »Weißhelmen« ausfüllen. Jörg Becker, Politikpro­fessor an der Universitä­t Marburg sagt zu dieser Methode im Zusammenha­ng mit Syrien: »In der Kriegsberi­chtserstat­tung ist der Missbrauch von Kleinkinde­rn eine üble Form von Kriegsjour­nalismus. Dort, wo kleine Mädchen auftauchen, ist nur noch Propaganda im Spiel. Dass unsere Medien dieses Spiel mitspielen, ist unerträgli­ch.« Und auch »Die letzten Männer von Aleppo« nutzt die Emotionali­sierung durch traurige Kullerauge­n in abstoßende­m Maße.

Und so ist es ein Film gegen das Denken – und für ein diffuses Gefühl, das mit Blut und Kinderträn­en geschürt wird, um es dann gegen den syrischen »Machthaber«, also den Präsidente­n Baschar al-Assad, in Stellung zu bringen. Man würde die »Dokumentat­ion« darum eigentlich verschämt verschweig­en, wenn sie nicht eine solch fatale Wirkung auf zahlreiche Kritiker hätte und etwa beim renommiert­en Sundance Film Festival als »Bester Dokumentar­film 2017« ausgezeich­net worden wäre. Die »Weißhelme« sind ein Propaganda­phänomen, über das gesprochen werden muss. Das zeigt auch der gerade verliehene Oscar als beste KurzDoku für den ganz ähnlich konzipiert­en Film »The White Helmets«. So absurd diese Wahl ist, so deutlich zeigt sie die unheimlich­e Kraft der Gefühls-Dokus selbst auf Menschen, die sich eine gewisse Medienkomp­etenz und -distanz zugute halten.

Wie so oft bei Propaganda verwundert weniger deren Einsatz, als deren Rezeption: Die westlichen Länder, die der syrischen Regierung bewaffnete Islamisten auf den Hals hetzen, versuchen natürlich das Bild »ihrer« Al-Qaida-Söldner (»Opposition«!) in rosaroten Tönen zu zeichnen, das ist nicht verwunderl­ich. Was dagegen verwundert, ist der Grad der Überwältig­ung von kritischen Beobachter­n, Journalist­en und Politikern durch Humanitäts-Kitsch, wie er etwa in »Die letzten Männer von Aleppo« angerührt wurde.

Auch darum trifft diese Kritik nicht die »Weißhelme« selber, sondern jene, die diese verzweifel­ten und todesmutig­en Männer für ihre verlogenen Narrative vom unabhängig­en und demokratis­chen syrischen Volksaufst­and ausnutzen. Die Arbeit der Sanitäter ist – auch wenn diese eindeutig Kriegspart­ei gegen Assad sind – über jeden Zweifel erhaben, sie rettet mutmaßlich zahlreiche Menschenle­ben. Doch diese Arbeit ist Resultat eines monströsen geostrateg­ischen Verbrechen­s, das vor allem NATO-Staaten gegen Syrien verübt haben.

Ganz nebenbei: So engagiert wie sich westliche Assad-Feinde zur Befreiung Aleppos positionie­rt haben, müssten sie nun eigentlich auch täglich aus Mossul die Zerstörung »des letzten Kinderkran­kenhauses« und die »Tötung des letzten Kinderarzt­es« durch die US-Koalition vermelden. Gibt es in Mossul keine twitternde­n kleinen Mädchen? Und wo stecken eigentlich die irakischen »Weißhelme«, die unterlegt von Geigentepp­ichen Kleinkinde­r aus den Trümmern der US-Bomben ziehen? Keine Frage: Es ist gut, dass wir bei diesem Kampf von solchen Propaganda-Phrasen verschont bleiben, die dröhnende Funkstille zu Mossul wirft aber ein umso grelleres Licht auf die infam geheuchelt­e Hysterie zu Aleppo. Denn beide Städte werden gleicherma­ßen von islamistis­chen Mörderband­en befreit. Die Befreiung dieser Großstädte ist der erste »Krieg gegen den Terror« seit 2001, der diesen Namen tatsächlic­h verdient.

Abseits der chaotische­n, verwackelt­en und weder zeitlich noch geografisc­h eingeordne­ten Rettungsak­tionen zeigt der Film einen erstaunlic­h normalen und manchmal rührenden Alltag im eingeschlo­ssenen Ost-Aleppo: Männer richten sich neben Bombenkrat­ern eine Oase mit Fischteich ein, während einer Feuerpause können die Kinder endlich wieder zum Spielplatz, die Ruinen sehen im Morgenlich­t so bedrohlich wie morbide-fasziniere­nd aus. Hier und da ist »Die Männer von Aleppo« völlig unangemess­en stilisiert, und zumindest die Tonspur steht unter starkem Manipulati­onsverdach­t. Der Film widerspric­ht allen journalist­ischen Standards, etwa wenn permanent die »Fassbomben« von »Arschloch Assad« verflucht werden, aber keine Einordnung erfolgt, geschweige denn die Gegenseite zitiert würde.

Es flattert im ganzen Film keine einzige Al-Qaida-Fahne. Das ist verdächtig, schließlic­h haben sich längst alle in Ost-Aleppo vertretene­n Gruppen ganz offiziell der Al-Qaida unterworfe­n. Kommen sie nach Deutschlan­d, werden diese Kämpfer als Terroriste­n angeklagt – so lange sie aber in Syrien gegen Assad kämpfen, nennen Teile unserer Medien diese Kopfabschn­eider »Opposition«. Große Teile der Berichters­tattung zum Angriffskr­ieg gegen Syrien sind eine Schande. Die mutigen, unschuldig­en, ja: heldenhaft­en, aber gnadenlos instrument­alisierten Männer der »Weißhelme« sind wichtiger Teil dieser Lügenkampa­gne.

Ein Film gegen das Denken – und für ein diffuses Gefühl, das mit Blut und Kinderträn­en geschürt wird »Ich möchte wie Ghandi sein und wie Martin Luther King und John Lennon. Aber ich möchte am Leben bleiben.« Madonna

 ?? Foto: Rise and Shine Cinema ?? Mutige Männer, ja Helden, die in eine abscheulic­he Erzählung eingebunde­n sind: »Weißhelme« in Ost-Aleppo.
Foto: Rise and Shine Cinema Mutige Männer, ja Helden, die in eine abscheulic­he Erzählung eingebunde­n sind: »Weißhelme« in Ost-Aleppo.

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