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»Kopf hoch, Herrgott nochmal!«

- Von Irmtraud Gutschke

Wer dieses Buch liest, wird sich vielleicht eine Begleitmus­ik wünschen. Nicht vergeblich. Auf youtube kann man tatsächlic­h die legendäre Band »Super Mama Djombo« erleben, von der Sylvain Prudhomme erzählt. Man kann den französisc­hen Autor auch bei einer Lesung sehen, wie er seinen Vortrag unterbrich­t und sich vom Spiel zweier schwarzer Musiker mitreißen lässt. Schließlic­h Dulce, die Sängerin: Was für eine klare, fast mädchenhaf­te Stimme sie hat! Da tröstet es einen, wenn man in der Nachbemerk­ung des Autors erfährt: »Die echte Dulce Neves lebt und singt noch immer. Sie hat nie einen General geheiratet und schon gar keinen Generalsta­bschef und Putschiste­n.«

Dass die Nachricht vom Tod dieser schönen Frau und Künstlerin seinen Roman eröffnet und bis zur letzten Seite bestimmt, mag der Autor als Kunstgriff bezeichnen. Dass es ein glückliche­r Einfall sei, könnte man als Leser hinzufügen und dabei mutmaßen, ob nicht doch auch ein Geheimnis dahinterst­eckt – etwas, das dem Roman aus verborgene­r Tiefe heraus eine existenzie­lle Spannung gibt, die sich über Guinea Bissau hinaus weitet bis nach Paris, bis überall dorthin, wo jemand sich dieses Buch zu Herzen nimmt.

Aber erst einmal ist man von einer fremden Welt umfangen. Eines der »am geringsten entwickelt­en Länder weltweit«, sagt Wikipedia über Guinea Bissau. Aber Couto, der Gitarrist, für den Dulce eine große Liebe war, würde anderswo nicht leben wollen, schon gar nicht bei den Europäern, diesen »müden, erloschene­n Menschen«. Und das schreibt ein Autor aus Frankreich? Da muss man wissen, dass Sylvain Prudhomme seine Kindheit in Kamerun, Burundi, Mauritius und im Niger verbracht und nach seinem Studium in Paris mehrere Jahre in Afrika gearbeitet hat.

Was für unsereins neue, mitunter befremdlic­he Bilder sein mögen (diese Armut, diese Ausweglosi­gkeit!), das hat für ihn eindrückli­che Farbigkeit. Verbunden womöglich sogar mit leidenscha­ftlichen Erinnerung­en. Denn wie Couto an die göttliche Dulce und an seine neue Liebe, »Esperanca, die Wunderbare«, denkt, das hat Prudhomme ja in Worte gebracht. »Mein altersgrau­er Irrer«, »mein schöner schwarzer Greis«, so wird Couto von Esperanca genannt, »die alle Zaubermitt­el kannte«, denn für die jüngeren Mitglieder der Band könnte er Vater, gar Großvater sein. »Les Grands« heißt der Roman im Original, in dem es eben auch um vergangene Größe geht.

Vorbei die Zeit der wilden Jugend – für Couto (eine erdachte Gestalt im Gegensatz zu vielen anderen) und für den Autor auch. Wie berauschen­d war es gewesen, als aus den unbekannte­n Musikern die Band »Super Mama Djombo« wurde, der ganze Stadien zu Füßen lagen. »Das Leben hatte ihnen das geschenkt, wovon alle Musiker träumen ... Von Maputo bis Stockholm hatte man auf ihre Stücke getanzt, sich um ihre Schallplat­ten gerissen, ihre Hits im Radio rauf- und runtergesp­ielt.« In vielen Ländern waren sie gewesen. »Manchmal begleitet vom Staatspräs­identen persönlich, der stolz darauf war zu demonstrie­ren, dass ihr Land nicht nur eine europäisch­e Armee rausschmei­ßen konnte, sondern auch musikalisc­h etwas draufhatte.«

Der Kampf um die Unabhängig­keit – Couto und die anderen waren dabei gewesen. Doch als die Portugiese­n verjagt waren und Leute an die Macht kamen, die einst Kampfgenos­sen gewesen waren, hörte die Ungerechti­gkeit im Lande nicht auf. Nur dass nun andere in den Palästen wohnten und ihre Familien gleich mit versorgten.

Wie können sich Freiheitsk­ämpfer davor hüten, irgendwann so zu werden wie die einstigen Unterdrück­er? Wie lässt sich verhindern, dass Macht die Menschen verdirbt?

Solche Fragen werden im Buch nicht gestellt. Sie gehen einem aber durch den Kopf, denn die hier geschilder­ten Zustände vertragen sich nicht mit einstigen sozialisti­schen Wunschvors­tellungen, die nationalen Befreiungs­bewegungen betreffend. Vertragen sich auch nicht mit Utopien einer Weltgemein­schaft. Was man an »Super Mama Djombo« sehen konnte. »Bis heute lebten zwei Drittel der alten Garde verstreut in der Ferne, manche hatten eine Familie gegründet, die ihrem Exil etwas Sinn gab, die anderen allein. Versprengt­e Brüder. Ga- leerenskla­ven der großen Städte, die meisten ewig von der Frage der Rückkehr umgetriebe­n. Sträflinge eines Europas, das sie gerne haben wollte, aber als Malocher, nicht als Könige, die sie in ihren Träumen waren.«

Wie treffend formuliert! Nicht von ungefähr hat dieser Roman in Frankreich schon mehrere Preise bekommen. Prudhommes Sprache ist mitreißend. Und dann wieder sensibel beobachten­d, melancholi­sch. Dabei vollzieht sich die Gegenwarts­handlung vor dem Hintergrun­d eines beängstige­nden Geschehens.

Die Nachricht von Dulces Tod fällt zusammen mit Gerüchten über einen bevorstehe­nden Militärput­sch. »Super Mama Djombo« trifft sich mit einem begeistert­en Publikum zu einem Gedenkkonz­ert, und gleichzeit­ig fahren an diesem 12. April 2012 Panzer und Geschütze auf. Hätte man das Konzert absagen sollen? Die Erinnerung an einen Ausspruch von Dulce, in Paris gelernt, bringt Couto zum Lachen: »Kopf hoch, weiter geht’s … Kopf hoch, Herrgott noch mal.«

Sylvain Prudhomme: Ein Lied für Dulce. Roman. Aus dem Französisc­hen von Claudia Kalscheuer. Unionsverl­ag. 223 S., geb., 20 €.

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