Auf der Suche nach einem Lied
Tierno Monénembo: In »Kubas Hähne krähen um Mitternacht« lässt er einen Schnüffler erzählen
Mit einer Melodie im Ohr und einem Koffer voller Fragen landet Tierno Alfredo Diallovogui in Havanna. Seine ersten Schritte führen ihn in die legendäre Kneipe »El Floridita«. In den 1930ern wurde sie mit dem Stammgast Hemingway weltweit populär. Dort ist es auch, wo der Sohn einer Kubanerin und eines Guineers auf Ignacio Rodríguez Aponte trifft.
Ignacio gibt sich dem Ankömmling gegenüber bescheiden und bietet sich ihm als Stadtführer an. Tierno versucht, den aufdringlichen Kubaner abzuwimmeln. Vergebens! Wie ein Schatten wird Ignacio ihm in Havanna fortan folgen. »Ich wusste, dass ich dich so oder so finden würde, nichts und niemand entgeht mir in dieser verfluchten Stadt!«, schreibt Ignacio ihm später.
Im Nachtleben geriert sich Tierno wie ein auf Salsa, Sex und Alkohol fixierter Tourist. Da bekommt er spä- ter den Spitznamen »El Palenque«. Der geht auf ein Lied zurück, in dem einer »wie ein Besessener herumgehüpft« ist. Der wahre Hintergrund seines Aufenthaltes ist indes ein anderer. »Ich bin hergekommen, um an meine Herkunft anzuknüpfen«, soll er Ignacio erzählt haben. Seine Anhaltspunkte: eine Melodie und der Name Julieta, die auf dem städtischen Friedhof liegen soll.
Und wer ist Ignacio, der nicht nur zu jeder Zeit, sondern auch in jeder noch so absurden Situation zur Stelle ist? Ein Schnüffler! Bis zum Ende von El Palenques Aufenthaltes sollte er ihm auf den Fersen bleiben. Sein Auftraggeber: El Tosco – »Der Grobe«, ein korrupter Geheimpolizist, der ganz Havanna unter Kontrolle zu haben scheint. Ignacio, der auffällig oft den kubanischen Schriftsteller Guillermo Cabrera Infante zitiert, ist zudem der Erzähler dieser Geschichte. Er schreibt sie in Briefform an El Palenque gerichtet, der zu dieser Zeit längst nach Paris zurückgekehrt ist. Dessen Aufenthalt lässt er in seinem Brief Revue passieren, klärt Zusammenhänge und erzählt die tragische Geschichte seiner Eltern, die auf Kuba Ende der 1970er Jahre begonnen hatte. Musik schlägt dabei die Brücke zwischen beiden Kulturen, der afrikanischen und kubanischen.
Die kleine Geschichte wird mit der großen (afro-)kubanischen Historie verbunden. Der Aufenthalt von Tierno stellt den aktuellen kubanischen Bezug her. Doch bei diesem ehrgeizigen Vorhaben gibt es Schwachstellen im Buch. Es werden interessante Themen angerissen, aber kaum eines wird vertieft.
Wobei schon allein das Thema des in Europa lebenden Afrikaners, der nach Kuba reist, um dort seine Wurzeln zu suchen, in der Literatur einzigartig ist. Der Plot wirkt oft konfus. Die Form des Briefromans wird nicht konsequent durchgehalten, weshalb die erzählerische Funktion des omnipräsenten Schnüfflers wenig überzeugt. Einige Allgemeinplätze über Kuba und das Kubanertum wirken irritierend, und, schließlich, bleiben die Figuren bis zum Ende blass, El Palenque inbegriffen. Es sind keine Charaktere, die sich im Laufe der Geschichte entwickeln. Ob die Exkurse in die kubanische Musik, die literarischen Bezüge zu Cabrera Infante oder die anrührend-tragische Liebesgeschichte von Tiernos Eltern die Schwächen des Romans ausgleichen, wird der Leser entscheiden.
Der 1947 in Guinea geborene Tierno Monénembo zählt in Frankreich zu den erfolgreichsten afropolitanen Schriftsteller unserer Zeit. Neben »Kubas Hähne krähen um Mitternacht« liegen aus seinem umfangreichen Romanwerk in deutscher Sprache bisher nur »Zahltag in Abidjan« (1996) und »Cinema« (1999) vor.
Tierno Monénemb: Kubas Hähne krähen um Mitternacht. Roman. Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke. Peter Hammer Verlag. 186 S., geb., 22 €.