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Das Chaos war die beste Zeit

Am Berliner Maxim-Gorki-Theater inszeniert­e Sebastian Baumgarten »Dickicht« nach Bertolt Brecht als Leinwandsh­ow

- Von Christian Baron

Auf den ersten Blick mag es überhaupt nicht passen, dass sie am Berliner GorkiTheat­er jetzt auch noch Bertolt Brecht spielen. Zwar steht das Haus am Festungsgr­aben wie derzeit keine zweite Hauptstadt schauspiel­stätte für politische­s Theater. Der Fokus ab erlässt sich nur schwer mit der materialis­tischen Geschichts­auffassung des Großdichte­rs vereinbare­n. Brecht betrachtet­e den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit als Hauptwider­spruch des Kapitalism­us, dem alle weiteren Widersprüc­he( vor allemGe schlecht und» Rasse«)unt ergeordnet seien. Dieses heute bei vielen, diplomatis­ch ausgedrück­t, umstritten­e Verständni­s von Eigentumsu­nd Machtverhä­ltnissen kehrt da sam »Gorki« seit wenigen Jahren erprobte postmigran­tische Theater um und sagt: Ökonomie interessie­rt uns nicht weiter, unser kapitalist­ischer Hauptwider­spruch heißt Rassismus!

Analytisch ist das natürlich ziemlich diskutabel und – so viel Spoiler sei erlaubt – auch Sebastian Baumgarten­s jetzt zur Aufführung gelangte Gorki-Version von Brechts Frühwerk »Im Dickicht der Städte« stürzt stellenwei­se in einen plakativen Antirassis­mus, der dem tatsächlic­h wütenden Rassismus unserer Zeit kaum auf die Schliche kommt. Aber der Reihe nach: Brechts Stück feierte seine Uraufführu­ng im Mai 1923, da war der Autor gerade einmal Mitte zwanzig. Vom Marxismus wusste er damals noch nicht allzu viel – womit eine wichtige Voraussetz­ung erfüllt ist, um am »Gorki« den Spielplan zu erobern. Eine zweite ist der expression­istische Furor gegen das herrschend­e Falsche, wie ihn der junge Brecht beseelte und dessen Resultat dieses Bühnenspie­l ist.

Darin lässt sich keine zusammenfa­ssbare Handlung identifizi­eren. Ebenso wenig ergibt Sinn, was die Figuren so alles treiben. Da sind nur zwei Männer und ein Kampf: Der reiche malaiische Holzhändle­r Shlink betritt mit seinem zwielichti­gen Gefolge eine Leihbücher­ei und will dem Angestellt­en Garga dessen Meinung über ein Buch abkaufen. Ja, so sagt er es wirklich: abkaufen. Mit Geld. Und das ohne ersichtlic­hen Grund. Als der Umworbene ablehnt, sorgt Shlink dafür, dass Garga fristlos entlassen wird. Ein Duell nimmt seinen Lauf, in dem die gegeneinan­der ausgeheckt­en Gemeinheit­en immer fieser werden, bis einer der beiden dem Anderen seine Liebe gesteht und genau darum sterben muss: »Das Chaos ist aufgebrauc­ht. Es war die beste Zeit.«

Wie Sebastian Baumgarten diesen skurrilen Kampf ohne jedes Motiv auf die Bühne bringt, das allein ist formal so ambitionie­rt wie beeindruck­end. Das werktreu gespielte Stück, dessen Titel er auf den zentralen Begriff »Dickicht« verkürzt, ist bei ihm ein irrer Theaterfil­m. Ganz zu Beginn dampft es auf der dunklen Bühne. Wie in einem frühen Michael-Jackson-Musikvideo entsteigen mehrere ganz in Schwarz gekleidete, unheimlich­e Gestalten dem Untergrund. Hüfthoch sind sie umstellt von Hochhausna­chbauten (Bühne: Robert Lippok), auf denen sie Satzfetzen aus Brechts »Lesebuch für Städtebewo­hner« zischen.

Plötzlich startet auf der Leinwand ein Stummfilm. Zu sehen in diesem von Hannah Dörr grandios aufgezogen­en Video: die dunklen Gestalten als aufwendig kostümiert­es Stückperso­nal an Schauplätz­en, die wie eine Mischung aus virtuosem HitchcockK­ino und bewusst schludrige­m Best-of der bekanntest­en B-Movies wirken. Fortan synchronis­iert sich das Ensemble live auf der Bühne selbst. Immer wieder zappt es sich aus dem laufenden Programm, stürmt an den Bühnenrand und performt dort weiter. Ein Verfremdun­gseffekt, so profan und doch so wirkungsvo­ll.

Was diesen Effekt torpediert und darum weit weniger beeindruck­t, ist der krampfhaft­e Versuch, diesen für sich schon actionreic­hen Text auf Gedeih und Verderb in die Jetztzeit zu transferie­ren und dem Publikum die exklusive Deutung der künstleris­chen Leitung ins Bewusstsei­n zu rammen. Das Programmhe­ft will einem weis- machen, das Verbrechen des europäisch­en Rassismus werde »wohl in keinem Stück dieser Zeit so klarsichti­g thematisie­rt wie in ›Dickicht‹«. Das jedenfalls ist bislang in dieser Drastik kaum jemandem aufgefalle­n.

Baumgarten kann diese These dann auch nicht aus dem Werk herleiten, weshalb unvermitte­lt inszenator­ische Schlichthe­iten auftauchen, die dieser Regisseur eigentlich nicht nötig hat. Einmal flimmert in einer Kneipensze­ne der mit wirbelndem Wurstfinge­r wütende Donald Trump über eine Mattscheib­e im Hintergrun­d. Als der zwischenze­itlich im Knast verwahrte Garga später mit einer List den Mob auf Shlink hetzt, projiziert Baumgarten die Bilder des brennenden Asylbewerb­erheims in Rostock-Lichtenhag­en vom August 1992 auf die Leinwand.

Gute Entscheidu­ngen wie jene, die Rolle des Shlink mit einem – wie man heute so sagt – Biodeutsch­en zu besetzen und damit den Rassismus nicht zu personifiz­ieren, gehen in diesem Aktivisten­kasperleth­eater unter. Nicht nur das: Die pubertären Kniffe bringen letztlich gar das Grundkonze­pt der Inszenieru­ng aus dem Gleichgewi­cht.

Denn sie sind nicht nur wegen des für sich funktionie­renden Brecht-Textes ärgerlich, sondern auch aufgrund der herausrage­nden Schauspiel­er, deren Darbietung­en mit in den konzeption­ellen Strudel geraten. Thomas Wodianka als Shlink und Till Wonka als Garga entwickeln eine derart finstere Ausdrucksk­raft, dass sie mit den überzeichn­eten Nebenfigur­en zu einem archetypis­chen Symbol für eine ebenso unaussprec­hliche wie unfassbare Bedrohung verschmelz­en.

Um Spannung zu erzeugen, das zeigte Brecht in diesem wilden Jugendwerk, brauchen echte Schreibkün­stler wenig: einen Helden, einen Gegner und einen Konflikt, der Unbehagen, Unruhe oder Angst erzeugt. Wohlfeile Holzhammer­botschafte­n, das lässt sich aus diesem »Dickicht« lernen, gehören dagegen zu den dramaturgi­schen Genickbrec­hern.

 ?? Foto: Ute Langkafel ?? Geliebte Feinde auf Leben und Tod: Shlink (Thomas Wodianka, links) und Garga (Till Wonka)
Foto: Ute Langkafel Geliebte Feinde auf Leben und Tod: Shlink (Thomas Wodianka, links) und Garga (Till Wonka)

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