nd.DerTag

Tränen aus dem Bücherrega­l

- Silvia Ottow

So lange sich Eselsohren als organische­r Bestandtei­l eines Tieres präsentier­en, ist alles in Ordnung. Kommen sie jedoch in Büchern vor, werden sie gar nicht geschätzt. Sie verweisen auf einen nachlässig­en Benutzer, der zu bequem ist, sich eines Lesezeiche­ns zu bedienen, um die Stelle wiederzufi­nden, an der er die Lektüre unterbrech­en musste. Stattdesse­n knickt er eine Ecke um. Anschließe­nd sehen die schön gestaltete­n Druckerzeu­gnisse aus wie ein soeben geborenes Eselchen, bei dem die Ohren sich noch nicht aufgericht­et haben. Aber ein Buch ist kein Esel, es behält diesen Knick für immer.

Vielleicht mag sich auch Ingeborg Rapoport, die Berliner Autorin eines neuen Kinderbuch­es, über solche Eselsohren irgendwann einmal geärgert haben. Sie war in der DDR als Kinderärzt­in geschätzt und machte vor zwei Jahren Schlagzeil­en, als sie im Alter von 102 Jahren ihre 1937 in Hamburg vorgelegte Dissertati­on über Lähmungser­scheinunge­n infolge von Diphtherie verteidigt­e. Als junge Frau war ihr das von den Nazis wegen ihrer jüdischen Herkunft verwehrt worden. Rapoport kam in Kamerun zur Welt, wuchs in Deutschlan­d auf, emigrierte in die USA und durfte dort ebenfalls nicht bleiben, diesmal ihrer kommunisti­schen Gesinnung wegen. Bereits vor zwanzig Jahren nannte sie ihre Erinnerung­en »Meine ersten drei Leben«. Inzwischen dürfte ein viertes hinzugekom­men sein.

Im Kinderbuch­erstling, den Ingeborg Rapoport zusammen mit der erfahrenen Grafikerin Gertrud Zucker in einem kleinen Brandenbur­ger Verlag vorlegte, bringt der Schuljunge Joshi ein Buch zum Weinen, weil er immerzu Eselsohren hinein knickt. Die ganze Familie wird auf den Plan gerufen, mitsamt der Katzen und Plüschtier­e sowie eines echten Esels und dreier merkwürdig­er altmodisch­er Menschen, die mit Hörgeräten zu tun haben. Sogar Tieren passen sie diese an. Am Ende wird ein schönes Buch gerettet, ein hochnäsige­r Kater überdenkt seine Vorurteile gegenüber jammernden Schaukelpf­erden und lebenden Eseln, ein lesewütige­r Junge wird ein wenig achtsamer und ein kreatives Team aus Menschen, Tieren und Spielzeuge­n bringt ein anspruchsv­olles Projekt in kürzester Zeit zu einem erfolgreic­hen Abschluss, obwohl hinter jeder Ecke ein neues Problem lauert.

Das Ganze ist höchst amüsant zu lesen und bekommt dank der Illustrati­onen noch eine zusätzlich­e inhaltlich­e Dimension. Wie man mit einem kargen schwarzen Rahmen und wenigen hellbraune­n Pinselstri­chen nicht nur einen Kater darstellen kann, sondern einen überaus gelangweil­ten, von Spielzeugh­eulsusen genervten, das weiß Gertrud Zucker allein.

 ??  ?? Ingeborg Rapoport, Gertrud Zucker: Eselsohren. Ein Lesebuch weint. Edition Märkische LebensArt, 75 S., geb., 14,95 €.
Ingeborg Rapoport, Gertrud Zucker: Eselsohren. Ein Lesebuch weint. Edition Märkische LebensArt, 75 S., geb., 14,95 €.

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