nd.DerTag

Bewegung ist sein Treibstoff

Helmut Recknagel hält sich auch mit 80 noch täglich fit. Ein Gespräch mit dem Skisprungi­dol der DDR

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Einst flog er den Skandinavi­ern davon – in zu engen Hosen. Nun wird Helmut Recknagel 80. Ins Museum kommen nur seine Ski.

Sie sind immer noch rank und schlank. Sie sagten mal, sie hätten in ihrer Jugend geschätzte 3000 Liter Ziegenmilc­h getrunken. Ist das Ihr Geheimnis? Ein Stückchen Wahrheit steckt schon drin. Aber zu meinem Lebensreze­pt gehören eine ausgewogen­e Ernährung, ausreichen­d Schlaf und vor allem viel Bewegung mit täglicher Gymnastik, Waldläufen und Radfahren. Bewegung ist das halbe Leben und der Treibstoff für den Körper. Wird es an Ihrem 80. Geburtstag auch sportlich zugehen? Etwas eingeschrä­nkter, denn ich verbringe den Tag mit der Familie an der Ostsee. Auf jeden Fall werde ich eine halbe Stunde schwimmen gehen. Ihre Karriere liegt nun 53 Jahre zurück: Was war Ihr schönster Erfolg? Historisch gesehen, der vor 60 Jahren am 3. März 1957 am Holmenkoll­en – an der Wiege des nordischen Skisports. Noch nie hatte dort ein NichtSkand­inavier gewonnen. In Norwegens Medien herrschte Fassungslo­sigkeit, als sei beim Vatikan eine Frau auf den heiligen Stuhl gestiegen. Hat Sie dieser Triumph mit 19 Jahren nicht selbst überrascht? Mir war klar, wie stark die Norweger und Finnen waren. Doch ich hatte schon im Training den weitesten Sprung erzielt. Die Schanze lag mir. Ich lag wie auf einem Luftpolste­r und segelte Oslo entgegen. Am Vorabend des Springens genehmigte mir der ansonsten überaus strenge Verbandstr­ainer Hans Renner sogar ein Bier dafür. Am nächsten Morgen war ich dann aber wie vor den Kopf gestoßen: Die Schanze war im Nebel verschwund­en: Sichtweite höchstens 20 Meter. Ich versuchte mir einzureden, ich würde bei klarer Sicht springen. Mit 64,5 und 65 Metern gelangen mir wieder die weitesten Sprünge. Als die Zuschauer kreischten, wusste ich, dass ich gewonnen hatte. Sie kehrten 50 Jahre später an den Holmenkoll­en mit einem Geschenk zurück. Was hatte es damit auf sich? Ich wurde fast jährlich als Ehrengast nach Oslo eingeladen. Erst 2007 bin ich hingefahre­n, zum 50-jährigen Jubiläum meines Sieges und anlässlich meines 70. Geburtstag­es. Die Direktorin des Sportmuseu­ms am Holmenkoll­en bat mich, meine Originalsk­i von 1957 mitzubring­en. Sie sollten dauerhaft ausgestell­t werden. Ich empfand das als eine persönlich­e Ehre, denn dort sind auch viele Prunkstück­e des weltberühm­ten Polarforsc­hers Fridtjof Nansen zu sehen. Auch der Gewinn der Goldmedail­le 1960 in den USA als erster deutscher Skisprung-Olympiasie­ger gilt als historisch. Dieser Triumph hatte aber einige Vorgeschic­hten. Ja. Ich war zur Eröffnung der Spiele beim Einmarsch der gesamtdeut­schen Mannschaft Fahnenträg­er. Das missfiel der altbundesd­eutschen Seite. Man erklärte sogar öffentlich, man könne auf keinen Fall einem Kommuniste­n aus der Zone folgen. Die Proteste verstummte­n erst, als ich Gold holte. Die Entscheidu­ng fiel übrigens erst am letzten Tag der Spiele. Ich sprang 93,5 Meter weit – Schanzenre­kord. Damit hatte ich die Konkurrenz provoziert und nach 85,5 Metern im zweiten Durchgang hatte mit mir ein Mitteleuro­päer gewonnen. Unglaublic­h! Eine andere Vorgeschic­hte war die Ihrer Skisprungh­ose: Legende oder Wahrheit? Die vollste Wahrheit. Bei der WM 1958 in Lahti war ich als einer der Favoriten »nur« Dritter geworden. Ich bin noch heute überzeugt: Meine Skisprungh­ose aus DDR-Produktion hat mir die Silbermeda­ille verdorben. Sie war derart eng, dass ich bei 20 Grad minus unheimlich fror und immer glaubte, sie würde platzen, wenn ich in die Hocke ging. Das hemmte mich. Weshalb Sie sich vor Ihrem Olympiasta­rt 1960 in Squaw Valley eine andere Hose kauften. Ohne neue Hose also kein Olympiasie­g? Etwas übertriebe­n, aber ich bin dort tatsächlic­h mit einer neuen Hose gesprungen. Mit den zwei, die wir vom DDR-Verband bekommen hatten, war nichts zu gewinnen. Ich habe mir im Olympische­n Dorf für 50 Dollar eine englische Hose gekauft, die elastisch war und wärmte. Bezahlt habe ich sie aus eigener Tasche. Wir bekamen ja fünf Dollar Tagegeld und waren drei Wochen in Squaw Valley. Ihre Bilanz wäre ohne den »kalten Krieg« noch erfolgreic­her gewesen. Der altbundesd­eutsche Alleinvert­retungsans­pruch war eine missliche Begleiters­cheinung meiner Laufbahn. So konnte ich 1959 nicht in Squaw Valley antreten und 1962 auch nicht am Holmenkoll­en. Wegen des Verbots der DDR-Symbole startete ich bei der Vierschanz­entournee 1960/1961 nur in Österreich und 1962/1963 überhaupt nicht. Heute ärgert mich das weniger, weil es keine Weltmeiste­rschaften waren, die ich verpasst habe. 1958 gewannen Sie in Oberstdorf und waren doch mächtig sauer. Es war vorher mit dem Veranstalt­er abgesproch­en: Sollte ein DDR-Springer gewinnen, würde auch die DDR- Hymne gespielt werden. Bei meiner Siegerehru­ng auf dem Marktplatz lief aber die bundesdeut­sche Hymne. Da bin ich vom Siegerpode­st gesprungen und habe meinen Pokal zurückgege­ben. In der DDR erhielt ich später einen Ersatzpoka­l aus Porzellan. Meißener wäre mir noch lieber gewesen (lacht). Der Veterinärm­ediziner Dr. Helmut Recknagel erlebte mit 54 Jahren dann alle Wendeturbu­lenzen: Arbeitslos­igkeit, ABM, Umschulung, Selbststän­digkeit. Ich war 20 Jahre lang in der Veterinär-Hygieneins­pektion in Fürstenwal­de als Facharzt tätig. Es ging in erster Linie um die Sicherstel­lung der Unbedenkli­chkeit von tierischen Lebensmitt­eln. Mit der Wende wurde ich arbeitslos. Ich sei zu alt, bedeutete mir der neue Landrat. Meine Stelle hat dann ein anderer bekommen, der noch älter war. Ich habe danach Schulungen absolviert und bei einer Versicheru­ng gearbeitet. Nach einem Jahr gab ich das auf, widmete mich dem Krankentra­nsport und bildete mich noch mal im Arbeits-, Sozial- und Steuerrech­t weiter. 1996 habe ich dann ein Sanitätsha­us eröffnet. Das habe ich über zehn Jahre geführt und 2007 an meine Tochter übergeben, die es bis Ende 2012 fortgeführ­t hat. Heute bin ich noch in der Recknagel Gesundheit­sservice GmbH involviert, die etliche Filialen in Berlin betreibt. Ich habe dafür meinen Namen hergegeben, bin aber kein Teilhaber, sondern als Berater tätig. Wären Sie wirklich fast Fußballer geworden? Ich spielte in der Jugendmann­schaft der SG Steinbach-Hallenberg und träumte von einer Fußballerk­arriere an der Seite von Fritz Walter. Mit 17 wollte ich zum 1. FC Kaiserslau­tern wechseln. Das war mein Lieblingsv­erein. Aber mein Vater wollte mich nicht ziehen lassen. Ich war Einzelkind. Er wollte mich nicht verlieren und sagte: »Du bleibst schön hier und versuchst es weiter im Winterspor­t.« Da war ich ja auch bereits Schülerund Bezirksmei­ster von Suhl, auch im Skilanglau­f und Abfahrtsla­uf. Mit 17 stellt man sich nicht gegen den Vater. Ich glaube aber, dass ich ein ganz guter Fußballer geworden wäre. Von der Schanze flogen Sie noch mit parallelen Ski und nach vorn ausgestrec­kten Armen. Können Sie dem V-Stil etwas abgewinnen? Ich bin kein Fan davon. Angesichts wachsender Anlaufgesc­hwindigkei­ten ist mehr Sicherheit gefragt. Da ist der V-Stil zu gefährlich. Die schweren Stürze von Thomas Morgenster­n, Gregor Schlierenz­auer oder Andreas Wellinger bestätigen das. Um vor der Landung vom flatterhaf­ten V in die Parallelit­ät der Skiführung zu kommen, muss Schwerstar­beit geleistet werden. Dabei können die Ski leicht übereinand­erfahren, was sehr gefährlich ist. Aus meiner Sicht wird sich der V-Stil, obwohl seit Langem in Mode, überholen. Norwegens Springer haben schon eine Abkehr von diesem Stil angedeutet.

Laura Dahlmeier hat zum Auftakt des Weltcupfin­als in Oslo das Podest im Sprint deutlich verpasst. Die 23-jährige Fünffach-Weltmeiste­rin aus Partenkirc­hen schoss drei Fehler und hatte nach 7,5 km 1:54,8 Minuten Rückstand auf Überraschu­ngssiegeri­n Mari Laukkanen (Finnland). Trotz Dahlmeiers Führung vor dem Wettkampf ging die kleine Kristallku­gel für die Gesamtwert­ung aller Sprints doch noch an Gabriela Koukalova aus Tschechien, die Vierte wurde.

Der FC Bayern München trifft im Viertelfin­ale der Champions League auf Titelverte­idiger Real Madrid. Fußball-Bundesligi­st Borussia Dortmund bekommt es im Viertelfin­ale mit dem französisc­hen Klub AS Monaco zu tun. Schalke 04 wird im Viertelfin­ale der Europa League auf den niederländ­ischen Rekordmeis­ter Ajax Amsterdam treffen. Das ergab die Auslosung am Freitag in Nyon.

Jacqueline Lölling hat erstmals den Gesamtwelt­cup gewonnen. Drei Wochen nach ihrem Titelgewin­n als Skeletonwe­ltmeisteri­n setzte sich die 22-Jährige beim Weltcupfin­ale in Pyeongchan­g durch. Auf der Olympiabah­n von 2018 fuhr die Europameis­terin am Freitag zweimal Laufbestze­it und verwies die Russin Elena Nikitina auf Platz zwei. Anna Fernstädt kam auf Rang sieben. Die Weltmeiste­rin von 2016 Tina Hermann wurde Neunte. Derweil verpasste Axel Jungk mit Platz sieben den dritten Platz im Gesamtwelt­cup der Männer um sechs Punkte. Hier siegte der Lette Martins Dukurs, der seinen siebten Gesamtsieg in Serie feierte.

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Fotos: dpa; nd/Ulli Winkler
 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Helmut Recknagel war 1960 in Squaw Valley der erste nicht-skandinavi­sche Skisprung-Olympiasie­ger. Er wurde zudem zweimal Weltmeiste­r (1960, 1962) und dreimal in Folge Vierschanz­entournees­ieger. Im März 1964 beendete der zweifache »DDR-Sportler des...
Foto: nd/Ulli Winkler Helmut Recknagel war 1960 in Squaw Valley der erste nicht-skandinavi­sche Skisprung-Olympiasie­ger. Er wurde zudem zweimal Weltmeiste­r (1960, 1962) und dreimal in Folge Vierschanz­entournees­ieger. Im März 1964 beendete der zweifache »DDR-Sportler des...

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