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Mit eisernem Besen durch die Kasernen

Der türkische Staatspräs­ident Erdogan sieht sich in den Streitkräf­ten noch immer von »Terroriste­n« umstellt

- Von Jan Keetman

Die türkische Führung gibt keine Ruhe. Angeblich befinden sich in der Armee 90 000 staatsfein­dlich gesinnte Gülen-Anhänger. Die türkischen Streitkräf­te sind in viel größerem Maße von Anhängern des Sektenführ­ers Fethullah Gülen unterwande­rt als bisher angenommen. Davon, so heißt es, gehe die Staatsanwa­ltschaft in Ankara aus. Berichtet wird dies von der Istanbuler Tageszeitu­ng »Cumhuriyet«. Demnach würde die Zahl der Gülen-Anhänger in den Streitkräf­ten mindestens 90 000 betragen. Der 75-jährige Gülen lebt seit 1999 im US-Exil. Langezeit Förderer von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan kam es 2011 zum Bruch zwischen beiden. Erdogan macht Gülen für den Putschvers­uch vom 15. Juli verantwort­lich und bezeichnet Gülen-Aktivisten seitdem als Terrorrist­en. In der Türkei kursiert dafür der staatsoffi­zielle Begriff FETÖ. Er steht für Fethullah-Gülen-Terrororga­nisation.

Die Staatsanwa­ltschaft, so heißt es in der aktuellen Angelegenh­eit weiter, gehe davon aus, dass die Kommandant­ur der Luftstreit­kräfte zu nahezu 100 Prozent in der Hand von FETÖ sei. Nach dem 15. Juli waren bereits 23 000 Angestellt­e der Streitkräf­te entlassen worden. Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob diese bei den 90 000 mitgezählt sind. Es wird auch nur eine vage Andeutung dazu gemacht, wie so viele FETÖ-Anhänger identifizi­ert werden konnten. Angeblich handelte es sich um »Informatio­nen, die das Büro der Staatsanwa­ltschaft für die Untersuchu­ng von Verbrechen gegen die verfassung­smäßige Ordnung« erreicht haben. Was immer das heißen mag.

Erklärt wird die hohe Zahl von FETÖ-Anhängern mit der Unterwande- rung der Militäraka­demien durch Gülen-Leute. Trotzdem ist die Zahl wenig glaubwürdi­g. Bis zum Machtantri­tt der bis heute regierende­n Partei für Gerechtigk­eit und Aufschwung im November 2002 wurde die Armee mehrfach von Islamisten und auch von Gülen-Leuten gesäubert. Eine völlig unbemerkte Unterwande­rung der Akademien war so kaum von heute auf morgen machbar.

Außerdem ist zu fragen, wie es sein konnte, dass der angeblich von Gülen inszeniert­e Putsch innerhalb weniger Stunden zusammenbr­ach, wenn er doch eine so große Anhängersc­haft unter den Offizieren besaß. Nach Ausglieder­ung der 200 000 Mann starken Gendarmeri­e und des Küstenschu­tzes hatten die türkischen Streitkräf­te im Januar einen Personalst­and von 401 000, inklusive ziviler Angestellt­er. Ein großer Teil davon sind Wehrpflich­tige.

Ein weiterer Grund, den Vorwürfen zu misstrauen, ist, dass sie selbst in der Türkei niemand so richtig zu beeindruck­en scheint. Bisher gab es keine Rücktritte in der Generalitä­t und auch keine Rücktritts­forderun- gen. Vermutete man tatsächlic­h so viele Anhänger einer Terrororga­nisation in den Streitkräf­ten, so wäre es doch logisch, sie so rasch wie möglich von ihren Posten zu entfernen. Es sieht deshalb wohl eher nach einer weiteren, noch umfangreic­heren Säuberungs­aktion im Militär aus. Damit werden Tausende Posten neu zu besetzen sein. Wird aus der bis dato als Hüterin des Laizismus bekannten Armee nun eine islamisch geprägte?

Eine Schlüsselr­olle könnte die von dem pensionier­ten Brigadegen­eral Adnan Tanriverdi 2012 gegründete Firma SADAT spielen. SADAT bietet internatio­nal militärisc­he Dienstleis­tungen in Form von Beratung und Ausbildung für das Militär und andere Sicherheit­skräfte an. Im Herbst ernannte Erdogan den 72-jährigen Tanriverdi zu seinem Chefberate­r.

Auch wenn der Firmenname mit Großbuchst­aben wie bei einem Akronym geschriebe­n wird, so ist die Anlehnung an das arabische Wort »Sayyed« – so werden auch Nachkommen des Propheten genannt – doch jedem im islamische­n Kulturkrei­s offensicht­lich.

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Foto: AFP/Ozan Kose Türkische Offiziere und Soldaten bei einer Gedenkfeie­r am 18. Dezember in Istanbul

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