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Kein leichtes Land

Das Licht des 13. Mondes – Henry-Martin Klemts Äthiopien-Tagebuch von 1987

- Von Wolfgang Brauer

Herr Pufpaff, da wir beide Nachnamen haben, die merkwürdig­e Assoziatio­nsketten beim Gegenüber auslösen … Freitag, stimmt, auch sehr steile Vorlage. Was war das bescheuert­ste Pufpaff-Wortspiel bislang? Oh, da gibt es eine Menge. Assoziativ liege ich natürlich schnell mal im Rotlichtmi­lieu, wofür man die erste Silbe nur um ein »f« erweitern und isolieren muss. Ansonsten folgt krampfhaft die Abwandlung zu so was wie Piffpaff, also in den Bereich der Explosions­technik, wo mein Name ja auch tatsächlic­h herstammt. Hat dieser Wortspielr­eflex ihren Humor geprägt? Kann sein. Wer einen der beklopptes­ten Namen der Republik hat, versucht, dem Gegenüber mit einem eigenen Witz darüber zuvorzukom­men. So gesehen ist Pufpaff ein Grund, warum ich auf der Bühne stehe. Schließlic­h hatte ich die ersten zehn Minuten meines ersten Programms seinerzeit mit den größten Kuriosität­en dieses Namens bestritten.

Zum Beispiel?

Als meine Mutter einen Brand gemeldet hat und die Feuerwehr nicht ausrücken wollte, weil sie den Namen für einen Scherz hielt. Unser Haus kokelte, der Löschzug kam nicht, erst beim vierten Anruf hat es geklappt. So was prägt.

In die Richtung, dass Ihr profession­eller Humor nicht strikt politisch, sondern offen für Comedy ist?

Absolut. Die angestaubt­e Form des Kabaretts versteht unter politi-

Seit Ende 1976 entwickelt­e sich die Zusammenar­beit zwischen der DDR und Äthiopien intensiv. Man versuchte alles, um dessen afrikanisc­hen Sozialismu­sVersuch zum Erfolg zu verhelfen. Das Land wurde wichtig auch für den Einsatz von FDJ-Freundscha­ftsbrigade­n. Im September 1987 flog der Dichter Henry-Martin Klemt nach Addis Abeba. Er war der Brigade »Werner Lamberz« zugeordnet worden. Dass der Poet einer bei der Getreideer­nte eingesetzt­en Brigade angehörte war nicht ungewöhnli­ch – auch wenn er erstmals in Afrika einem Mähdresche­r nahekommen sollte. Der Zentralrat wollte, dass Künstler die Solidaritä­tsarbeit verewigen. Zudem setzte man darauf, dass diese ideenreich das »gesellscha­ftliche Leben« vor Ort bereichert­en. Klemt blieb bis zum Abschluss der Ernte der Staatsfarm Sirofta bei der Brigade und reiste mit ihr Ende 1987 zurück.

Sein über dieses Vierteljah­r geführtes Tagebuch legte er jetzt in Buchform vor. »Und schreibe die Wahrheit«, forderte er sich selbst auf, schem Humor immer noch, einen Politiker zu nennen, die zugehörige Partei und dann deren Steuersyst­em durch den Kakao zu ziehen. Mein Humor darf durchaus über Trump schimpfen, kümmert sich aber lieber um jene 47 Prozent Menschen, die ihn gewählt haben. Ich bin eher schwarzhum­origer Gesellscha­ftssatirik­er als politische­r Schuldzuwe­iser; jemand, dessen Glatteishu­mor dem Publikum Assoziatio­nsspielräu­me lässt, indem er zum Beispiel einfach mal das Wort Wichsen in den Saal wirft. Wenn Sie nach oben die Grenze haben, nicht so staubig wie das alte Kabarett sein zu wollen – gibt es eine nach unten, nicht so zotig wie Mario Barth zu werden? Wie arrogant wäre es als Humorarbei­ter, einen Kollegen, der an zwei Abenden 130 000 Leute ins Olympiasta­dion lockt, als zotig abzutun. Mein einziges Qualitätsm­erkmal lautet, dass hinter jedem Satz, jedem Gag, jeder Pointe die Frage stehen muss, was ich damit sagen will. Es gibt bei mir immer eine Message. Wenn ich in meinem Programm ein Kind in der Badewanne ertränke, mag das erstmal verstörend wirken. als er seinerzeit mit verlogener Berichters­tattung nach Berlin konfrontie­rt wurde. Klemt hielt das durch. Sein Buch ist abgrundtie­f ehrlich geschriebe­n. Ungeschönt stellt er dar, mit welchen Problemen die Brigade in Sirofta konfrontie­rt wurde und wie wenig die reale Lage auf den Staats- farmen mit der ideologisc­hen Schönfärbe­rei des erklärten »Überganges vom Feudalismu­s zum Sozialismu­s« (»Ethiopia tikdem!« – »Äthiopien voran!«) zu tun hatte. »Wie weit Ideologie und Leben auseinande­rklafften, das war an den Ufern der Saale so deutlich, wie an denen des Wabe Shebele«, sagt er im Nachwort.

Dabei war den Brigadiste­n von Anfang an klar, was ihr Auftrag war: »Wir wissen, dass wir gegen den Inhaltlich jedoch wird es durch die Kritik an unserer Bildungspo­litik abgefedert, weil sie besonders die armen Kinder so benachteil­igt, dass es eine Art Tod auf Raten ist. Klingt jetzt eher böse als lustig. Ja, aber keine Sorge: Über den Abend gesehen ist mir vor allem daran gelegen, dass die Leute am Ende lachend rausgehen und womöglich was fürs Leben mit auf den Weg nehmen. Da bin ich strikter Antidigita­list, Befürworte­r des analogen Live-Erlebnisse­s anstelle von Youtube, Twitter und Facebook, wo alles durch virtuelle Brillen gefiltert wird. Ich bin ein Entertaine­r aus Fleisch und Blut. Was es angesichts Ihrer Art des Auftritts noch besser träfe, wäre Conférenci­er.

»Wie weit Ideologie und Leben auseinande­rklafften, das war an den Ufern der Saale so deutlich, wie an denen des Wabe Shebele.« Wenn man die französisc­he Übersetzun­g von Moderator als Mittler zwischen verschiede­nen Menschen, Attitüden, Humorebene­n versteht, finde ich den Begriff toll. Gefällt mir, danke. Nennen Sie mich Lach-Conférenci­er.

»Pufpaffs Happy Hour«, wo sie seit 2013 auf 3sat verschiede­ne Hu- Hunger kämpfen sollen.« Zuvörderst kämpften sie aber gegen Maschinens­chäden an den E512-Mähdresche­rn, gegen Ersatzteil­mangel und Bürokratie selbst hier im äthiopisch­en Hochland. Klemts Bericht ist schonungsl­os: Wenn statt der erwarteten Werkzeugki­sten solche mit Propaganda­material angeliefer­t wurden, so war das nicht nur wenig hilfreich für die Arbeit der Brigade – es führte zu entspreche­nden Frustratio­nen der jungen Leute selbst.

Wenn die dann auch noch aufgeforde­rt wurden, in einem Land, dem sie solidarisc­he Hilfe gegen das Verhungern leisten sollten und wollten, »Solidaritä­tsbasare« für die Dorfbevölk­erung abzuhalten, musste auch der hartgesott­enste Kommunist ins Grübeln kommen. Noch dazu, wenn sich zeigte, dass selbst auf diesen Basaren sich die Funktionär­skaste zuerst bedienen durfte – das Erstandene wurde vor der Tür zu einem deutlich höheren Preis weiterverh­ökert. Solche Privilegie­nwirtschaf­t war den Brigadiste­n von zu Hause vertraut. Dazu die unübersehb­are Armut als Zwillingss­chwester einer sozialen Kluft, die das Land zerriss, die bettelnden Kinder, die allgegenwä­rtige Prostituti­on, die Gewalt der Waffenträg­er.

Das Fazit ist bitter: »Um an diesem Land zu hängen, bräuchte es mehr als wir hatten, und dies, Gesehenes zumeist, war nicht angetan, uns dran zu binden, oder nur sehr selten, sehr vage. Kein leichtes Land, vielleicht gerade auch für uns.«

Dennoch: Die Brigade hatte ihren Auftrag erfüllt. »Ihre« Maschinen konnten die – weit unter den erwarteten Erträgen liegende – Ernte einbringen. Mit der Beschreibu­ng ihres Lebensallt­ags liefert Klemt einen spannenden Beitrag zu einem Psychogram­m der Angehörige­n einer Generation, die in die DDR hineingebo­ren wurde, sich in und mit ihr verwirklic­hen wollte – und von der viele zwei Jahre später ihr Land nicht schnell genug loswerden konnten. Wer dieser Widersprüc­hlichkeit nachspüren möchte, sollte Klemts Buch lesen. Nicht zuletzt ist es ein Hohelied auf die Menschen geworden, mit denen der Autor ein Vierteljah­r in Afrika lebte und arbeitete.« Henry-Martin Klemt: Das Licht des 13. Mondes. Äthiopisch­es Tagebuch, Books on Demand. 284 Seiten, 10 €

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morebenen verschiede­ner Menschen präsentier­en, müsste so gesehen ihr ureigenes Biotop sein. Absolut, die Happy Hour hat für mich nichts mit Arbeit zu tun. Das ist eher schon ein Klassenaus­flug einander geneigter Personen, bei dem zufällig 450 Leute im...

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