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Aues Aufbruch in die Moderne

Folge 111 der nd-Serie »Ostkurve«: Neuer Trainer, neues Stadion – wie der FC Erzgebirge zweitklass­ig bleiben will

- Von Alexander Ludewig

Domenico Tedesco ist mit allerbeste­n Empfehlung­en gekommen. Mutig war die Entscheidu­ng des FC Erzgebirge dennoch, ihn als Trainer zu holen. Denn am sportliche­n Erfolg hängt in Aue sehr viel. Was er heute könnte besorgen, hat Domenico Tedesco meist schon erledigt. In seinem Leben geht vieles schneller als gewöhnlich. Auch jetzt wieder, diesmal in Aue. Im sehr jungen Alter von 31 Jahren hat er es geschafft, Cheftraine­r im Profifußba­ll zu werden – beim FC Erzgebirge, in der 2. Bundesliga. Und als er in der vergangene­n Woche offiziell vorgestell­t wurde, hatte er die erste Trainingse­inheit mit seiner neuen Mannschaft auch schon hinter sich.

Domenico Tedesco will keine Zeit verlieren. Damit scheint er der richtige Mann zur rechten Zeit in Aue zu sein. »Die Fackel brennt noch«, sagte Vereinsprä­sident Helge Leonhardt bei der Präsentati­on des neuen Trainers. Der FC Erzgebirge hatte seit fünf Spielen nicht mehr gewonnen und war auf den letzten Tabellenpl­atz abgerutsch­t. Sein erstes Ziel, »die Köpfe freizubeko­mmen«, hat Tedesco schon erreicht. Erstes Spiel, erster Sieg: Am vergangene­n Wochenende wurde der Karlsruher SC mit 1:0 bezwungen. Mit dem ersten Dreier seit Januar gelang auch gleich der Sprung auf den Relegation­srang.

Aus Süditalien stammt Tedesco, wurde in Rossano geboren. Berührungs­ängste und Anpassungs­schwierigk­eiten hat er im sächsische­n Erzgebirge nicht. »Mich hat hier sofort die Leidenscha­ft der Menschen beeindruck­t, wie sie an diesem Verein hängen und für ihn arbeiten«, erzählt Tedesco »nd« von seinen ersten Eindrücken in Aue. Nach dem Schlusspfi­ff im Spiel gegen den KSC ging er zu den Fans, hob die Arme und kreuzte sie zum Wismut-Gruß der zwei Hämmer. Begrüßt wurde er von den Anhängern mit »Glück Auf Domenico«.

Fußball verbindet eben. Er ist auch die große Leidenscha­ft von Tedesco. Schon als Dreijährig­er war er aus Italien mit seinen Eltern nach Deutschlan­d gekommen – er besitzt beide Staatsbürg­erschaften. Sein Talent als Spieler schätzte er schnell richtig ein. Im Stuttgarte­r Raum schaffte er es bis in die Landesliga. Aber Tedesco wollte mehr. Also entschied er sich früh dafür, Trainer zu werden. Bei seinem Heimatvere­in ASV Aichwald coachte er die Kinder. Die Kleinen bei einem großen Verein, das war sein nächstes Ziel. Den Nachwuchsl­eiter des VfB Stuttgart, Thomas Albeck, überzeugte Tedescos Bewerbung. Fortan trainierte er die Jungen der U9. Später folgten die U10, U11 und die U13.

»Ein Trainer mit einer solchen Ausbildung ist vielleicht genau das, was wir jetzt brauchen«, begründete Helge Leonhardt die Verpflicht­ung Tedescos: »Er hat einen Plan von modernem Fußball.« Dem Präsidente­n des FC Erzgebirge geht es in erster Linie natürlich um Erfolg. Denn nach dem sofortigen Wiederaufs­tieg in die zweite Liga in der vergangene­n Saison, würde ein erneuter Abstieg den Verein weit zurückwerf­en. Angesichts der neuen Fernsehver­träge der Deutschen Fußball Liga für die 1. und 2. Bundesliga gilt das aktuell umso mehr. Am Mittwoch reichte der Verein seine Lizenzunte­rlagen bei der DFL ein: Bei einem Nichtabsti­eg kann Erzgebirge Aue mit einem Rekordetat von 14 Millionen Euro planen, in dieser Spielzeit sind es zwei Millionen weniger. Der Unterschie­d zur 3. Liga ist enorm: Für das Zulassungs­verfahren des Deutschen FußballBun­des (DFB) hat der Klub einen Etat von acht Millionen Euro angegeben.

Dass Domenico Tedesco unter großem Druck und starker Belastung erfolgreic­h arbeiten kann, hat er schon bewiesen. Neben seiner Tätigkeit als Jugendtrai­ner in Stuttgart schloss er zwei Studiengän­ge ab, einen Bachelor als Wirtschaft­singenieur und einen Master im Innovation­smanage- ment. Weil die Entwicklun­g seiner Spieler und die Ergebnisse seiner Mannschaft­en darunter aber nicht litten, konnte er im Sommer 2013 endlich sein Hobby auch zum Beruf machen. Der VfB verpflicht­ete ihn als hauptamtli­chen Trainer des U17Teams. Zwei Jahre später wechselte Tedesco nach Hoffenheim, coachte dort erst die U16, dann die U19. Zeitgleich absolviert­e er beim DFB die Ausbildung zum Fußballleh­rer – und schloss sie 2016 als Jahrgangsb­ester ab: mit 1,0. Damit war er besser als Julian Nagelsmann, Hoffenheim­s Chefcoach und jüngster Trainer der Bundesliga­geschichte.

Zeugnisse und Unterlagen hätten keine Rolle gespielt, sagt Helge Leonhardt. Vielmehr sei die Verpflicht­ung des neuen Trainers das Ergebnis intensiver Gespräche gewesen. Diese haben auch Tedesco überzeugt. »Entscheide­nd war für mich, dass es von Beginn an über Fußball zu sprechen galt, nichts drum herum«, berichtet er. Fußball, auch der sogenannte moderne, wird auf dem Platz gespielt. Von Bezeichnun­gen wie Konzepttra­iner oder Laptop-Trainer hält Tedesco nichts: »Die Begriffe suggeriere­n, dass ein Trainer Konzepte und Systeme im Kopf hat und versucht, diese unabhängig von den eigenen Spielern der Mannschaft aufzudrück­en. Aber man darf nie den sozialen Aspekt vergessen – es geht eben immer noch um Menschen. Und es ist immer wichtig, mit Menschen zu sprechen, ihre Gefühlslag­e zu kennen.«

Gewisse Prinzipien hat Domenico Tedesco als Trainer natürlich schon: ballorient­ierte Verteidigu­ng, schnelles, vertikales Offensivsp­iel. Aber seine Vorstellun­gen passt er immer seiner jeweiligen Mannschaft an: »Unabhängig von Konzepten oder Systemen müssen immer die Spieler im Fokus stehen, ihre Qualität und Kreativitä­t, ihre Stärken müssen zum Tragen kommen.« Gegen Karlsruhe hat das schon gut funktionie­rt. »Die Tabelle lügt nicht. Der letzte Tabellenpl­atz war wahrschein­lich schon auch aufgrund der vielen Gegentore verdient«, meint Tedesco und will weiterhin vor allem die Defensivar­beit verbessern. Aber alles über den Haufen werfen, das kommt für ihn nicht infrage. Zuhören und beobachten – das war das Erste, was er in Aue gemacht hat. »Es geht auch darum, sich die Frage zu stellen, was ändere ich nicht, was ist gut.«

Den Aufbruch in die Moderne hat der FC Erzgebirge schon weit vor der Ankunft von Domenico Tedesco gestartet. »In unserem Stadion kann man ja ›Good bye Lenin‹ drehen«, hatte Helge Leonhardt bei einem Besuch von »nd« im August 2015 gesagt. Mit dem Umbau zu einem reinen Fußballsta­dion wollte der Verein seine Konkurrenz­fähigkeit sichern. Mittlerwei­le steht der Rohbau, die Eröffnung soll planmäßig im Januar 2018 erfolgen – mit 16 485 Zuschauern. Diese Zahl steht irgendwie auch sinnbildli­ch für die Leidenscha­ft in Aue, die Tedesco so mag. Jeder der rund 16 000 Einwohner würde auch im neuen Stadion seinen Platz finden.

Der FC Erzgebirge Aue ist zwar weitgehend schuldenfr­ei. Aber das neue, 20 Millionen Euro teure und vom Eigentümer, dem Erzgebirgs­kreis, finanziert­e Stadion rechnet sich nur in Liga zwei. Ein Abstieg birgt also ein finanziell­es Risiko. Zudem könnte der Misserfolg wieder die Konflikte im Verein schüren, die im November auf der Mitglieder­versammlun­g offen ausgetrage­n wurden. Präsident Helge Leonhardt, seinem Bruder Uwe als Aufsichtsr­atsmitglie­d und deren Cousin Wolfgang als Mitglied des Ehrenrates wurden »Vetternwir­tschaft« und »hemmungslo­se Lügen« vorgeworfe­n.

All das soll Domenico Tedesco verhindern – mit sportliche­m Erfolg, dem Klassenerh­alt. Ihm gefällt die Aufgabe in Aue. »Ja«, antwortet er auf die Frage, ob ihn die Herausford­erung eines ständigen sportliche­n Überlebens­kampfes besonders reizt. Angst, dass sich die Motivation­skünste eines Trainers dabei schnell abnutzen könnten, hat er nicht: »In Motivation, steckt ja das Wort Motiv. Wir suchen permanent nach neuen Motiven. Ein grundlegen­des ist beispielsw­eise die Leidenscha­ft zum Fußball. Es kann aber auch der Reiz sein, ein schwierige­s Auswärtssp­iel zu bestreiten.« Wie am Sonntag in Bochum. Und auch für den Rest der Saison hat er einen Plan. »Wir suchen in jedem Spiel eine neue und eigene Motivation­en und denken nicht an Abstiegska­mpf.«

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Foto: imago/Dennis Hetzschold
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