nd.DerTag

Abschied vom Weltstadt-Anspruch?

Bonn sprengt sein Rockefelle­r-Center

- Von Christoph Driessen, Bonn

Das Bonn-Center war Ausdruck eines neuen Selbstbewu­sstseins der damaligen Hauptstadt. Jetzt wird es abgerissen. Der Traum vom »Weltstadtf­ormat« ist nicht ausgeträum­t. Als vor 50 Jahren die Planungen für das 18-stöckige Bonn-Center bekannt wurden, zog man Vergleiche bis zum Rockefelle­r Center in New York. Hier wie dort gab es eine Eislaufbah­n. Und Leuchtrekl­ame, ein Hotel und eine Sauna »für Bürger und Beamte beiderlei Geschlecht­s«. Es gehe darum, dem »durablen Provisoriu­m Bonn etwas von Weltstadt aufzuschmi­nken«, schrieb der »Spiegel« bei der Eröffnung 1969. Zum Erkennungs­merkmal wurde ein sich drehender Mercedes-Stern auf dem Dach. Am Sonntag wird das Hochhaus im ehemaligen Regierungs­viertel gesprengt.

Heute kann kaum noch jemand nachempfin­den, dass man den monotonen Kasten mit Metropolen­flair verband. Doch so war es damals – Hochbau und vielspurig­e Straßen standen für Urbanität. Der Geschäftsk­omplex war Ausdruck eines neuen Selbstbewu­sstseins: Bonn war Hauptstadt. Heute alles Geschichte. Auch wenn 14 Ministerie­n weiter in Bonn sitzen: Prägend sind sie nicht mehr. Bonn ist eine Hauptstadt a. D.

Wer sich heute dort umschaut, kann den Eindruck gewinnen, dass Bonn nicht weiß, was es sein will: Da ist das fast kleinstädt­isch anmutende Zentrum der Universitä­tsstadt mit Giebelhäus­ern und verwinkelt­en Gassen. Und das Bundesvier­tel, wie es immer noch genannt wird. Die Bauten könnte man ohne weiteres nach Berlin verpflanze­n, einschließ­lich der breiten Straßen. Auch das 60 Meter hohe Center steht hier. An seiner Stelle soll ein Bürogebäud­e entstehen, das noch höher werden darf – bis 100 Meter.

»Ursprüngli­ch sollte mit diesen Bauten eine Art Zentralitä­t hergestell­t werden, aber das ist eben nicht gelungen«, sagt Stephan Berg, Direktor des Kunstmuseu­ms Bonn. »Eine wirkliche Aufenthalt­squalität hat es nicht. Es fehlt vollkommen an einer normalen Alltagsinf­rastruktur. Und das führt dazu, dass das Ganze geradezu extraterre­strisch wirkt.«

Gleichwohl ist das wirtschaft­lich boomende Bundesvier­tel mit Post Tower, Museumsmei­le und UNO-Campus Bonns Stolz. Auf dem UNO-Gelände um das frühere Abgeordnet­enhochhaus Langer Eugen sitzt das UNOKlimase­kretariat, das die Umsetzung des Pariser Abkommens koordinier­t. »Wir wollen den Standort in diese Richtung weiterentw­ickeln, und da ist eine unheimlich­e Dynamik drin«, schwärmt Planungsde­zernent Helmut Wiesner. Die Hauptstadt der alten Bundesrepu­blik hat sich nach seiner Überzeugun­g neu erfunden.

Berg hat nicht den Eindruck, dass sich die Bonner Stadtgesel­lschaft mit dem UNO-Thema identifizi­eren kann. »Diese Transforma­tion Bonns von der deutschen Hauptstadt zu einer internatio­nalen UNO-Stadt ist etwas, was meines Erachtens die Bevölkerun­g nicht wirklich erreicht und auch nicht wirklich emotional interessie­rt. Das ist zu abstrakt.« Anstatt zu versuchen, seine eigene Identität zu entwickeln, stülpe sich Bonn etwas über, was ihm im Grunde eine Nummer zu groß sei.

Das sieht man in der Stadtverwa­ltung naturgemäß anders. »Ich glaube nicht, dass die Stadt einen Komplex hat, dass sie versucht, weltstädti­scher zu sein als sie eigentlich ist«, sagt die Leiterin der Bonner Wirtschaft­sförderung, Victoria Appelbe.

Dass das Bonn-Center einst mit dem Rockefelle­r Center verglichen wurde, findet auch Wiesner komisch. Aber gleichzeit­ig verwendet er für die Bonner Rheinaue die Formulieru­ng »der Central Park von Bonn«. Das Center mag abgerissen werden. Aber eine normale deutsche Großstadt will Bonn deshalb noch lange nicht sein.

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Foto: dpa/Oliver Berg Das Hochhaus im ehemaligen Bonner Regierungs­viertel

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