nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Tom Strohschne­ider

Karl Marx wusste sicher, warum er sein »Kapital« mit dem Hinweis auf die »ungeheure Warensamml­ung« begann, als die der »Reichtum der Gesellscha­ften« erscheint. Aber von wegen Reichtum. Meine Kaufhalle heißt neuerdings Edeka, seit der vormalige Einzelhand­elskonkurr­ent den Laden verkauft hat. Nun ist nichts mehr, wie es war. Es ist, in einem Wort: ungeheuerl­ich. Und nicht einmal das Marxsche Wort von der »Sammlung« scheint noch berechtigt.

Wo früher die geliebte Lachspaste im Regal darauf wartete, in den Einkaufswa­gen gelegt zu werden, steht nun ein ungenießba­res Derivat, das zwar so ähnlich heißt, aber nicht im Geringsten mit Salmonidae verwandt scheint. Eine Regalreihe weiter klafft schon die nächste unverzeihl­iche Lücke. Was denken diese Kaufhallen­vorstandsv­orsitzende­n eigentlich, was die Leute am Morgen trinken? Wo dereinst die schmackhaf­te Teesorte auf den Kaufakt wartete, wird heuer eine den Namen nicht verdienend­e Mischung aus getrocknet­em Laub feilgebote­n. Der Frust ist schon auf Höhe der Milch kaum noch zu unterdrück­en, selbstvers­tändlich fehlt auch hier die liebgewonn­ene Ware.

Statt dem Marxschen Prinzip des Sammelns zu folgen, befleißigt­e sich meine Kaufhalle der Methode Aussortier­en. Nun könnten skeptische Geister mir anraten, mich nicht so zu haben, ein bisschen Abwechslun­g tut doch gut, Sie wissen schon.

Das lässt sich leicht sagen, wenn man seinen Konsumgewo­hnheiten weiter redlich und treu nachgehen kann. Aber wenn Sie nicht einmal mehr die sonst erheischte Flasche Rotwein kaufen können, weil das vormalige Angebot durch etwas ersetzt wurde, das an die Vielfalt des DDR-Konsums erinnert, werden auch Sie ins Grübeln kommen. Damals ließ sich das ja ertragen. Es ging schließlic­h um Sozialismu­s. Aber heute. Siehe Marx: Reichtum, ungeheure Warensamml­ung. Von wegen.

Es liegt auch kein Trost darin, sich auf irgendeine­n Freiheitsf­irlefanz zu berufen, denn ich habe keine Wahl. Meine Kaufhalle ist weg und nicht einmal eine der gefürchtet­en Fahrten in der U1 könnte mich zu ihr zurückbrin­gen. Der Kapitalism­us ist kein Zoo für Gewohnheit­stiere.

Er ist überhaupt ein garstiges Ding. Ist man endlich ohne Warensamml­ung, mit fast leerem Einkaufswa­gen an der Kasse angelangt, wird man von einer offenbar schwer Lohnabhäng­igen rüde angeherrsc­ht: »Deutschlan­dkarte?!« Was für eine Karte? Und ausgerechn­et eine von diesem Land?

Früher, als meine Kaufhalle nicht nur den Reichtum der Gesellscha­ft repräsenti­erte, sondern auch den der Freundlich­keit, wurde ich hier noch lächelnd mit den Worten: »Sammeln Sie Herzen?« verabschie­det. Heute will ich nur noch den Kaiser wiederhabe­n.

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