Hefe aus dem Baukasten
Sechs Chromosomen des beliebten Modellorganismus wurden inzwischen künstlich hergestellt – maßgeschneiderte Zellen für Biotechnologen, aber kein synthetisches Leben.
»Das Schöne an der Hefe ist, dass sie Erbanlagen so gut zusammenbaut.« Craig Venter, Biochemiker
Seit Jahrtausenden nutzen Menschen gezielt zwei Mikroorganismen, um Lebensund Genussmittel herzustellen: die Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) und Milchsäurebakterien. Die Herstellung von Bier, Wein, Brot, Käse oder Joghurt ist gewissermaßen der Ausgangspunkt der modernen Biotechnologie. Biochemikern und Genetikern hat es besonders die Hefe angetan. Denn dieser einzellige Pilz ist ein relativ naher Verwandter von Menschen und Tieren. Die Hefen zählen ebenso wie Pflanzen und Tiere zu den sogenannten Eukaryoten. In ihren Zellen befindet sich das Erbgut auf mehrere Chromosomen verteilt in einem Zellkern, und die Zellen besitzen verschiedene spezialisierte Teile (Organellen). Damit sind sie als Modellorganismus besser geeignet als andere Einzeller. Überdies dient die Hefe auch in der heutigen Biotechnologie als kleine Chemiefabrik. Das Malaria-Medikament Artemisinin etwa und ein Hepatitis-BImpfstoff werden inzwischen mit Hilfe von Hefekulturen produziert.
Und nicht nur das. Anfangs nutzten Genetiker im Humangenomprojekt Hefezellen zur Vervielfältigung von Gensequenzen des menschlichen Erbgutes, indem sie ihnen diese DNAAbschnitte als künstliches Chromosom unterschoben. Diese nach dem englischen Wort für Hefe Yeast Artificial Chromosome (YAC) genannten Schnipsel wurden von den Hefezellen mit dem eigenen Erbgut bei der Zellteilung weitergegeben. Auch wenn die YACs sich für das Projekt als zu instabil erwiesen, zeigte die Technik doch die Möglichkeit auf, Chromosomen höherer Organismen synthetisch herzustellen.
Folgerichtig versuchten sich USWissenschaftler um Huntington F. Willard von der Case Western University Cleveland bereits 1997 daran, ein menschliches Mikrochromosom zu erzeugen. Tatsächlich konnten sie menschliche Zellen in einer Kultur- lösung mit einem Mix von DNASchnipseln dazu bringen, diese in ein Chromosom umzubauen. Allerdings handelte es sich dabei um ein undefinierbares Gemenge von DNA, das in einigen Zellen das natürliche Erbgut massiv störte.
Der US-Gentechniker Craig Venter kam da im Jahr 2010 deutlich weiter. Er schuf erstmals einen minimalistischen Organismus, indem er das Chromosom des Bakteriums Mycoplasma capricolum durch ein im Labor hergestelltes, reduziertes synthetisches Chromosom, basierend auf der Art Mycoplasma mycoides, ersetzte. Heraus kam ein lebensfähiges »synthetisches« Bakterium: Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0. Das maßge- schneiderte Erbgut wurde dabei mit Hilfe von Hefezellen hergestellt. Wenn Venter in seiner Pressemitteilung von einer »synthetischen Zelle« schrieb, und nicht wenige Schlagzeilen das übernahmen, war das allerdings übertrieben. Denn auch Venters Reißbrett-Genom bedurfte einer lebenden Bakterienzelle, um daraus ein funktionstüchtiges Chromosom zu machen.
Dennoch gilt Venters Mycoplasma mycoides als Beginn der »synthetischen Biologie«. Mit seinem Erbgut von reichlich einer Million Basenpaaren (die genetischen »Buchstaben«) ist dieses Bakterium im Vergleich zu Hefe oder gar Menschenzellen ziemlich einfach gestrickt. Bei der Bäckerhefe sind es immerhin bereits 12 Millionen Basenpaare auf 16 Chromosomen, beim Menschen sogar 3,3 Milliarden und 24 Chromosomen. Überdies besitzen Hefe und andere höhere Organismen in der Regel einen doppelten Chromosomensatz.
Seit 1996 ist das Erbgut der Bäckerhefe komplett entziffert. Seit 2007 arbeitet ein internationales Team von Wissenschaftlern aus den USA, Großbritannien, China, Australien, Frankreich und Singapur daran, eine synthetische Hefe herzustellen. Im Jahre 2014 hatten sie nach siebenjähriger Arbeit das kleinste Hefechromosom synthetisiert und in Hefezellen eingebaut. Nun stellten mehr als 200 am Projekt »Synthetic Yeast 2.0« (Sc2.0) beteiligte Wissenschaftler um Initiator Jef Boeke vom New York University Langone Medical Center im Fachblatt »Science« (Bd. 355, S. 1040-1050) weitere fünf synthetische Hefechromosomen und das Design für die noch fehlenden zehn Chromosomen vor.
Dabei kopierten sie nicht einfach die natürlichen Chromosomen. Bevor ein synthetisches Chromosom hergestellt wurde, plante das Team mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms die jeweilige DNA-Sequenz. So wurden einzelne Gene umgruppiert, andere Abschnitte entfernt, von denen man nach derzeitigem Kenntnisstand annimmt, dass sie bei der Hefe ohne Funktion sind, die sogenannten Introns. Statt dessen bauten die Genetiker kurze DNAAbschnitte als Kennmarken für Werkzeuge zum Ausschneiden von Genen ein. Um rund acht Prozent schrumpft das künstliche Genom gegenüber dem natürlichen Vorbild durch diese Änderungen. Zum Teil führten die Eingriffe in das Hefegenom zu dramatischen Veränderungen der Zellkernstruktur, wie ein Team herausfand, das von Forschern des Pariser Pasteur Instituts geleitet wurde. Dennoch funktionierte der Stoffwechsel der Hefe bei den meisten Zellen ganz normal weiter. Ein Kommentar zu den sieben »Science«-Artikeln verweist aller- dings darauf, dass die neu eingebauten Kennmarken in einigen Fällen das Ablesen der Gene störten.
Um ein Chromosom herzustellen, mussten die Wissenschaftler einige Umwege in Kauf nehmen. Denn bei Eukaryoten besteht das Chromosom nur zum Teil aus dem eigentlichen Erbmaterial, dem doppelsträngigen DNA-Molekül. Der lange Faden der DNA ist im Chromosom in mehreren Stufen um andere Eiweißmoleküle gewickelt und so zusätzlich vor äußeren Einflüssen geschützt. Wie dieser Prozess des Einwickelns funktioniert, ist bislang noch unbekannt. Infolgedessen nutzen die Forscher des Sc2.0-Projekts einen zelleigenen Reparaturmechanismus. Der nicht am Projekt beteiligte Biophysiker Hannes Mutschler vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München erläutert gegenüber »nd«: »Sie geben der Hefezelle größere Stücke der DNA und die baut sie dann selbst ein.« Schon Craig Venter befand: »Das Schöne an der Hefe ist, dass sie Erbanlagen so gut zusammenbaut. Wenn die Erbmoleküle einander überlappen, baut die Hefe sie effizient zusammen.« Mutschler sieht einen wesentlichen Vorteil des stückweisen Einbaus der synthetischen DNA darin, dass man auf diese Weise schneller sieht, welche Veränderung der Zelle nicht bekommt. Wenn es der Zelle schlecht geht, dann könnte man den letzten Schritt zurücknehmen.
Das gilt insbesondere für jene Abschnitte, die bislang für überflüssig gewordene Überreste der Evolution hielt, die sogenannte Junk(Müll-)DNA. Das stückweise Vorgehen erlaubt herauszufinden, was wirklich essenziell ist für die Zelle und was nicht.
Die Baukastenmethode hatte noch einen weiteren praktischen Vorteil. Die einzelnen Bausteine mussten nicht streng hintereinander hergestellt werden, so dass freie Kapazitäten bei einzelnen Projektteilnehmern effektiv genutzt werden konnten. Projekt-Initiator Boeke erwartet, dass bis Ende dieses Jahres auch die noch fehlenden zehn Chromosomen der Hefe in der redigierten Form nachgebaut sein werden.
Neben der Synthese der restlichen Chromosomen sind allerdings noch weitere Hürden zu nehmen. Bisher wurde immer jeweils ein künstliches Chromosom in einer Zelle hergestellt. Um mehrere davon in eine Zelle zu bekommen, wurden diese gewissermaßen gekreuzt. Dabei verhinderte man durch einen Trick, dass sich jeweils die natürlichen Chromosomen durchsetzen. Max-Planck-Forscher Mutschler verweist darauf, dass auf diese Weise bisher nur drei der synthetischen Chromosomen gleichzeitig in eine Hefezelle eingebaut werden konnten. Und selbst diese Hefe habe bereits einige Defekte. »Die Frage ist, wie das dann mit 16 ist, ob das überhaupt geht.« Der Sprung von drei Chromosomen zu 16 in einer Zelle sei noch mal ein großer Schritt.
Boekes Kollege Joel Bader von der Johns Hopkins University in Baltimore rechnet erst Ende 2018 mit der Vollendung aller Chromosomen und mit zwei bis drei weiteren Jahren, um daraus einen komplett synthetischen Hefestamm zu züchten.
Von der ursprünglichen Idee der synthetischen Biologie, künstliches Leben zu erzeugen, ist das Sc2.0-Projekt noch weit entfernt. Ausgangspunkt ist immer eine lebende Zelle. Boeke verglich seine Arbeit gegenüber dem Berliner »Tagesspiegel« mit der Computertechnik: »Wir bauen keine Computer, sondern verpassen den Zellen nur eine neue, optimierte Version des Betriebssystems.«
Ob das die mit dem Projekt gewachsene neue Generation von Biotechnologen genau so sieht, bleibt abzuwarten – die Laborarbeit bei der Herstellung der Chromosomen wurde größtenteils von Studenten im Rahmen von Build-A-Genome-Kursen erledigt.