Auf dem Weg nach Auschwitz
Vor 75 Jahren gab die »Aktion Reinhardt« den Auftakt zum Holocaust.
Nach ihrem siegreichen Überfall auf Polen im September 1939 teilten die nationalsozialistischen Besatzer das unterworfene Land nach ihrem Gutdünken auf: Neben den ins Deutsche Reich eingegliederten »Gauen« Danzig-Westpreußen und Wartheland entstand das »Generalgouvernement Polen«, das als »Nebenland des Reiches« firmierte. Es wurde in fünf Distrikte (Radom, Lemberg, Lublin, Warschau und Krakau) aufgeteilt und von dem in Krakau residierenden »Generalgouverneur« Hans Frank beherrscht. Die in diesem mit größter Brutalität verwalteten Protektorat noch lebenden 2 284 000 jüdischen Einwohner wurden in 342 Ghettos zusammengepfercht – manche davon mit nur rund hundert Insassen, andere, wie das in Warschau, mit fast 450 000 dort unter den schlimmsten Existenzbedingungen hausenden Menschen. Allein im Warschauer Ghetto lag die Bevölkerungsdichte bei 150 000 Personen pro Quadratkilometer!
Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 begannen die nationalsozialistischen Politiker mit ihren Planungen für eine »Endlösung der Judenfrage«, für die auf der »Wannsee-Konferenz« im Januar 1942 nach Mitteln und Wegen gesucht wurde – das Ziel stand bereits fest! Gouverneur Frank war darüber gut informiert: Schon am 16. Dezember 1941 hatte er in einer Rede mitgeteilt: »Mit den Juden, das will ich Ihnen ganz offen sagen, muss so oder so Schluss gemacht werden.« Und er fuhr fort: »Wir müssen die Juden vernichten, wo immer wir sie treffen und wo es irgend möglich ist.«
Heinrich Himmler, »Reichsführer SS« und zugleich »Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums«, beauftragte etwa zur selben Zeit den Lubliner SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik mit der Vorbereitung entsprechender Maßnahmen für das »Generalgouvernement«. Im März 1942 begann der Massenmord mit der »Umsiedlung« der Juden aus dem Bezirk Lublin ins Vernichtungslager Belzec. Im Juli besuchte Himmler Globocnik und ordnete an: »Mit dem 31. Dezember 1942 dürfen sich keinerlei Personen jüdischer Herkunft mehr im Generalgouvernement aufhalten.«
Das nun zur Umsetzung dieses Befehls anlaufende Ausrottungsprogramm betraf über zwei Millionen Menschen, denn etwa so viele Juden lebten (siehe oben) damals noch in den fünf Distrikten des von Frank regierten Generalgouvernements. Es wurde später als »Aktion Reinhardt« oder »Aktion Reinhard« bekannt – benannt nach dem am 27. Mai 1942 bei einem Attentat in Prag getöteten SS-Führer Reinhard Heydrich. Heydrichs Vorname wurde tatsächlich manchmal mit »dt« und manchmal mit »d« am Ende geschrieben – daher gibt es auch für die nach ihm benannte Mordaktion diese beiden Schreibweisen!
Unter der Regie des fanatischen Antisemiten Globocnik, der sich dabei vor allem auf Personal der Aktion »T 4«, dem 1939 bis 1941 durchgeführten Massenmord an Geisteskranken und Behinderten im Deutschen Reich, stützen konnte, wurden 1942 die drei Vernichtungslager in Belzec, Sobibor und Treblinka errichtet. Diese drei Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« benutzten im Gegensatz zu Chelmno/Kulmhof, wo Juden aus dem »Warthegau« schon seit 1941 in speziellen Lkws durch die ins Wageninnere geleiteten Abgase ermordet worden waren, stationäre Vergasungsanlagen. In Belzec wurden am 15. März 1942 die ersten polnischen Juden ermordet. Ihre Vergasung fand zunächst in einer Holzbaracke statt, die im Juli 1942 durch einen massiven Steinbau ersetzt wurde. Im Frühjahr 1943 ließ die SS das Gebäude abreißen, das Gelände einebnen und bepflanzen. Die für diese Arbeit benötigten Häftlinge wurden, als sie ihren Dienst verrichtet hatten, nach Sobibor gebracht und dort ermordet.
Das Vernichtungslager Sobibor, im April 1942 nahe der Grenze zum Reichskommissariat Ukraine errichtet, wurde nach einem Aufstand der Häftlinge des jüdischen Arbeitskommandos am 14. Oktober 1943 geschlossen und abgebrochen. Da alle Häftlinge von Sobibor – außer jenen 30, denen die Flucht gelang – zur Vergeltung von der SS erschossen wurden, musste für die Aufräumarbeiten eine Gruppe von Häftlingen aus Treblinka ankommandiert werden.
Treblinka war das größte der drei Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt«; die Vergasungen begannen dort am 23. Juli 1942 mit der Ankunft eines Transportes von etwa 5000 Juden aus Warschau. Das La- ger bestand im Wesentlichen aus einer Bahnhofsattrappe, die den Ankömmlingen den Eindruck vermitteln sollte, hier stehe ihr Weitertransport an. In Wahrheit wurden sie zum Auskleiden gezwungen und in als Duschräume getarnte Gaskammern getrieben. Dort wurden sie durch Motorenabgase getötet, die vermutlich aus einem Panzermotor stammten. Im Herbst 1943 wurden die Gebäude abgerissen und das Lager aufgelöst.
Natürlich hatten die Nationalsozialisten schon vor Beginn der »Aktion Reinhardt« Zigtausende von Juden und andere ihnen missliebige Menschen ermordet, sei es in Konzentrationslagern, sei es durch die Brutalitäten der berüchtigten »Einsatzgruppen«, sei es auf andere Weise. In ihrer auf höchste Effizienz ausgerichteten, quasi »industriell« durchgeführten Konsequenz war die »Aktion Reinhardt« jedoch einzigartig. Danach konzentrierten sich die nationalsozialistischen Bemühungen um einen systematischen Massenmord an den Juden weitgehend auf einen einzigen Ort, dessen Name seither zum Menetekel geworden ist: Auschwitz!
Das Buch unseres Autors »Auschwitz und die Auschwitz-Lüge« erschien im vergangenen Jahr bereits in 6. Auflage (C.H. Beck, 137 S., br., 12,95 €)).