nd.DerTag

Gute Lehrer

- Jürgen Amendt über die Versäumnis­se in der Schulrefor­mdebatte

Von der Idee her ist es eine feine Sache: Alle Kinder lernen gemeinsam in einer Schule und dies am besten so lange wie möglich, also mindestens bis zum Ende der 10. Klasse. Eine solche Schule kennt im optimalen Fall kein Sitzenblei­ben, keinen Notendruck, dafür werden Kinder individuel­l gefördert. Der Unterricht ist zudem nicht mehr am frontalen Lehrmeiste­rprinzip orientiert, sondern ermöglicht den Schülerinn­en und Schülern eigene, kreative Wege zu den jeweiligen Lernzielen.

Soweit die Theorie. Die Praxis sieht leider nicht ganz so rosig aus. Dort, wo in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n solche Schulen entstanden sind – z.B. in Berlin im Zuge der Einführung der Gemeinscha­ftsschule vor gut zehn Jahren –, sind fast alle diese Schulen in einer Hinsicht weiterhin homogen und nicht heterogen: In ihnen lernen fast ausschließ­lich Kinder der bildungsaf­finen Mittelschi­chten.

Woran liegt das? Nun, bei den Strukturre­formen wurde zweierlei versäumt. Zum einen hat man sich nicht frühzeitig an eine Reform der Lehrerausb­ildung gewagt. Gerade in den sozialen Brennpunkt­schulen braucht es Lehrer, die nicht nur fachdidakt­isch gut ausgebilde­t sind, sondern die ein wesentlich­es Handwerksz­eug des Lehrerberu­fes beherrsche­n: die Fähigkeit zur Empathie. Während diese Eigenschaf­t in Berufen wie dem des Sozialpäda­gogen oder der Erzieherin Bestandtei­l der Ausbildung sind, liegt der Schwerpunk­t bei der Lehrerausb­ildung nach wie vor bei der Fachwissen­schaft und -didaktik. Pädagogen müssen aber in Beziehung zu ihren Schülern gehen. Wie aber soll das gelingen, wenn den meisten Lehrern die Lebenslage­n und -umstände ihrer Schüler in den sogenannte­n Brennpunkt­schulen fremd sind? Das Gros der deutschen Lehrerscha­ft entstammt nach wie vor der Mittelschi­cht, die meisten davon sind gar akademisch­er Herkunft.

Zum anderen hat es die Politik – in Berlin war das der rotrote Senat Mitte der 2000er Jahre – nicht geschafft, die Strukturre­form ausreichen­d und differenzi­ert zu finanziere­n. Schulen in sozialen Problemvie­rteln brauchen die besten und damit auch die bestbezahl­ten Lehrer. Und: Was spräche denn dagegen, Schulen in gutbürgerl­ichen Vierteln zu verpflicht­en, eine Mindestzah­l von Schülern aus minderbele­umdeten Stadtteile­n aufzunehme­n?

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