Wohnungsantrag? Nie gehört!
Am Flüchtlingsamt in Berlin soll sich vieles verbessert haben – ein Praxistest
Lange Schlangen vor dem Berliner Flüchtlingsamt – das war 2015. Mittlerweile kommen Geflüchtete am neuen Standort innerhalb eines Vormittags zum Zuge. Optimal läuft es trotzdem noch nicht. Morgens 8 Uhr. Ich stehe vor dem ehemaligen Kongresszentrum ICC in Charlottenburg und begleite einen somalischen Geflüchteten zu seinem Termin beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). 2015 hatte das Berliner Verwaltungschaos für Negativschlagzeilen gesorgt. Geflüchtete hatten Tage und Nächte vor dem Amt ausgeharrt, dort bei Hitze und Kälte geschlafen, um abgefertigt zu werden. Neu anreisende Geflüchtete waren nicht mit Unterkünften versorgt worden. Asylbewerber, die schon länger in Berlin lebten, bekamen zeitweise kein Geld vom Amt, weil die Mitarbeiter es nicht schafften, alle zu versorgen. Vieles soll sich seitdem verbessert haben. Ich mache den Praxistest.
Seleban Ahmed Abdulahi, der Somali, den ich begleite, hat erst um 10.30 Uhr seinen Termin. Die Kostenübernahme für seinen Wohnheimplatz muss verlängert werden. Das Amt soll ihm Sozialhilfe und Krankenkassenbeiträge überweisen. Etwa alle zwei Monate muss jeder Geflüchtete deswegen zum Amt. Ahmed Abdulahi ist früher als bestellt gekommen, weil er auch eine Wohnung braucht. Aus gesundheitlichen Gründen kann er nicht länger im Wohnheim auf engstem Raum mit vielen anderen Menschen leben. Er braucht Ruhe. Darüber hat er auch ein ärztliches Attest, vom August letzten Jahres. Er hatte es bereits damals vorgelegt. Doch die Zuständigkeit für die Wohnungsvergabe änderte sich im Januar, und offensichtlich waren die Akten nicht weitergeleitet worden. Darum will er das Attest noch einmal vorzeigen und wiederum um eine Wohnung bitten. Für Härtefälle wie Ahmed Abdulahi stellen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften dem LAF rund 300 Wohnungen pro Jahr zur Verfügung.
Weil Ahmed Abdulahi vorweisen kann, dass er einen Termin hat, lässt uns der Wachschutz ins Gebäude. Mehr als 1000 Menschen sprechen hier jeden Tag vor. Ein weiterer Wachmann verweist uns an einen Schalter, der der Abfertigung am Flughafen ähnelt. Drei Antragsteller stehen noch vor uns. Ein Mann aus Moldawien ist an der Reihe. Wie an einem Flughafenschalter kann man alles hören, was die Angestellte mit ihm spricht. »Russisch«, ruft sie in den Raum hinter sich. Ein russischer Sprachmittler kommt. Der Moldawier hätte am Vortag seinen Termin gehabt. Doch er konnte nicht kommen, weil er seine Frau plötzlich ins Krankenhaus bringen musste. Er bekommt einen neuen Termin. Zehn Minuten Bearbeitungszeit, dann kann der Moldawier wieder gehen. Für das LAF ist das rekordverdächtig. Selbst wegen so einer simplen Terminverschiebung hätte man vor einem oder zwei Jahren noch Tage und Nächte warten müssen. Doch eigentlich sollten sich solche Terminverschiebungen auch per Fax oder Mail klären lassen.
Ahmed Abdulahi ist an der Reihe. Die Angestellte tippt seine Daten in den Computer und händigt ihm und mir ein schwarzes Armband aus. Damit sollen wir mit dem Bus in die Turmstraße fahren, wo sein Anliegen bearbeitet werden soll. Doch bevor wir den Bus suchen, frage ich die Angestellte noch nach dem Wohnungsantrag. Sie schickt uns zu einem Schalter gegenüber. Dort legen wir das Attest vor. »Sie müssen in die Turmstraße«, sagt der dortige Mitarbeiter. Ich bin erstaunt, hatte ich doch im Vorfeld recherchiert, dass das Wohnungssachgebiet im ICC sitzt.
»Sucht ihr den Bus?«, fragt ein Wachmann. Die Wachmänner duzen hier jeden. Das stört nicht weiter, denn sie sind ausgesprochen freundlich. Irrt jemand durch die langen Gänge, bieten sie Hilfe an. Ende 2015 hatte es Schlagzeilen gegeben von Wachmännern beim Amt, die wartende Geflüchtete verprügelten und Nazijargon sprachen. Der betroffe- nen Firma wurde gekündigt. Wer heute hier Security macht, hat aber auch einen anderen Job als 2015: Es geht nicht mehr darum, drängende Wartende mit körperlichem Einsatz zu bändigen. Statt Bodyguards sind freundliche und umsichtige Servicekräfte gefragt.
Im Bus, der uns quer durch die City West fährt, sitze ich neben Shergo Issa, einem Syrer. Er lobt die Änderungen am LAF. »Vieles geht jetzt schneller als vor wenigen Monaten. Ich schaffe es jetzt sogar, nach meinem Behördentermin zum Deutschunterricht zu gehen.« Der Syrer hat nachmittags Schule.
10 Uhr. Wir sind in der Turmstraße, dem Hauptsitz des LAF, angekommen. Von hier gingen 2015 Bilder von einem völlig überforderten Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo), das damals noch für Geflüchtete zuständig war, durch die Weltpresse. Eine der Verbesserungen 2017 liegt darin, dass sich Wartende nicht mehr im Freien vor diesem Gebäude drängen müssen. Dafür hat sich das LAF auf zwei Gebäude verteilt: das ICC und das alte Gebäude in der Turmstraße. Doch die meisten Geflüchteten müssen ihr Anliegen jetzt an beiden Standorten vortragen. Optimal ist die Stadtrundfahrt mit behördeneigenen Bussen durch die City West nicht. Das LAF bereitet derzeit ein neues Gebäude vor, das alle bisherigen ersetzen soll. Wann es soweit ist, kann Behördensprecherin Stephanie Reisinger nicht sagen. »Wichtig ist uns, dass erst dann alles an einen Ort zusammengeführt wird, wenn eine reibungslose Bearbeitung gewährleistet ist.« Die grüne Flüchtlingspolitikerin Canan Bayram mahnt zur Eile. »Dass es derzeit relativ entspannt ist im Flüchtlingsamt, liegt an den geringen Zahlen neu ankommender Flüchtlinge. Das Amt muss diese Zeit nutzen, um Behördenabläufe zu optimieren.« Neben dem Umzug gehört ihrer Meinung nach dazu, endlich elektronische Akten einzuführen, damit man die Papiere nicht mehr über Stunden sucht. Katina Schubert, Flüchtlingspolitikerin der LINKEN, sagt: »Das Personal muss dringend aufgestockt und die neuen Kräfte müssen fachgerecht eingearbeitet werden.« Derzeit sind im Flüchtlingsamt 80 dauerhafte und 74 befristete Stellen nicht besetzt.
An der Pforte in der Turmstraße geben wir unsere Armbänder ab und bekommen eine Wartenummer. Mit unserem Wohnungsanliegen kann die Pförtnerin nichts anfangen. »Das Wohnungssachgebiet ist doch im ICC. Sie müssen dorthin zurück«, sagt sie. Spätestens hier hätte Ahmed Abdulahi ohne meine Hilfe nicht weiter gewusst. Ich einige mich mit der Pförtnerin, dass ich seinen Sachbearbeiter danach frage. Im Warteraum stillt eine Albanerin ihr Neugeborenes. Es ist gerade sechs Tage auf der Welt, dennoch muss seine Mutter beim Amt vorsprechen, sonst erhält das Baby keine Sozialhilfe und keine Krankenversicherung. Neben ihr sitzt eine Vietnamesin mit ihrem knapp einem Jahr alten Sohn. Der Junge schreit. Er hat hohes Fieber. Aber auch seine Mutter hat heute einen Termin im Sozialamt. Würde sie den nicht wahrnehmen, würde der Rauswurf aus dem Wohnheim drohen und sie bekäme kein Geld. Auch so ein Anliegen ließe sich per Fax erledigen.
Ahmed Abdulahi raucht eine Zigarette vor der Tür, als seine Wartenummer aufblinkt. Wir gehen in den zweiten Stock und überreichen dem freundlichen Angestellten die Papiere. Mit dem Wohnungsanliegen weiß auch er nichts anzufangen. »Sie müssen dazu ins ICC.« Jetzt ist der Moment gekommen, an dem ich mich als Journalistin vorstelle. Ich bitte den Mann, am Telefon zu klären, wo Ahmed Abdulahi seinen Wohnungsantrag stellen kann. Ich weiß, dass das normalerweise nicht funktioniert. Der Flüchtlingsrat hat kürzlich kritisiert, dass bei Wohnungsanträgen nicht einmal fehlende Dokumente per Mail nachgereicht werden dürfen. Die Antragstellenden müssen erneut persönlich erscheinen.
Aber immerhin: Der Mann kommt uns entgegen. Wir werden in einen anderen Warteraum geschickt. Auch dieser ist gut gefüllt. Wer seine Dokumente abgegeben hat, muss hier warten, bis der Sachbearbeiter die Papierakte gefunden und bearbeitet hat. Es gibt Menschen in der Behörde, deren Job das Aktensuchen ist. Die Wartenden hier sind schon müde. Männer spielen auf ihren Handys. Eine Frau fällt in den Minutenschlaf. Ich bin auch müde. Bis ich einen Wachmann sehe, der auf die Damentoilette geht. Ich stutze. Ahmed Abdulahi erklärt, dass die Herrentoilette hier so schmutzig ist, dass die niemand freiwillig benutzt. Und tatsächlich: Wer die Herrentoilette betritt, ist sofort wieder draußen.
Als wir aufgerufen werden, geht dann alles ganz schnell. Sozialhilfe, Krankenkasse und Wohnheimplatz werden weiter gewährt. Und der Wohnungsantrag? Der Sachbearbeiter erklärt, dass normalerweise der Sozialdienst in der Turmstraße ärztliche Atteste prüft und die Wohnungssuchenden dann zurück ins ICC schickt. Nur wusste das offenbar niemand in der Behörde. Uns erspart er das Prozedere. Er will das Attest mit der Hauspost an den Sozialdienst schicken. Und den Wohnungsantrag sollen wir doch im Wartezimmer zu Papier bringen. Den schickt er dann ebenfalls mit der Hauspost ins ICC. Ob meine deutschen Sprachkenntnisse oder mein Presseausweis hier Wunder wirkten, bleibt offen.
Um 11.30 Uhr verlassen wir das LAF. Dreieinhalb Stunden waren wir auf den Behörde. Verglichen mit 2015 eine sehr kurze Zeit. Doch es gibt noch viel zu optimieren am Berliner Flüchtlingsamt.
»Vieles geht jetzt schneller als vor wenigen Monaten. Ich schaffe es jetzt sogar, nach meinem Behördentermin zum Deutschunterricht zu gehen.« Shergo Issa, syrischer Geflüchteter »Dass es derzeit relativ entspannt ist im Flüchtlingsamt, liegt an den geringen Zahlen neu ankommender Flüchtlinge. Das Amt muss diese Zeit nutzen, um Behördenabläufe zu optimieren.« Canan Bayran, Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Grünen