Operationsraum Weltraum
Ziele und Handlungsfelder der Bundeswehr im Orbit festgelegt
Die Aufrüstung der Bundeswehr erreicht wieder einmal kosmische Ausmaße. Selbst im Wortsinn. Einzelheiten verrät das Verteidigungsministerium in seinen »Strategischen Leitlinien Weltraum«. Die deutschen Militärausgaben sollen von derzeit rund 37 auf mehr als 42 Milliarden Euro im Jahr 2021 steigen. Das ist ein Plus von durchschnittlich vier Prozent pro Jahr. Die NATO-Zielvorgaben für 2024, laut denen zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Militär zu verballern sind, erreicht Deutschland damit noch nicht. Dafür wären – ein weiteres stabiles Wirtschaftswachstum vorausgesetzt – fast zehn Prozent zusätzliche Ausgaben pro Jahr notwendig. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist mit dem im neuen Haushaltsplan avisierten Plus dennoch zufrieden. Man brauche das Geld, denn »wir müssen nach wie vor Lücken schließen«, sagte die CDUPolitikerin.
Was eine Lücke ist, ist Definitionssache. Gewiss, es mangelt den im Weißbuch sowie auf vergangenen NATO-Gipfeln festgelegten Zielen an mancherlei. Daher bestellte von der Leyen Panzer, Gefechtsfeldbrücken, Korvetten, Hubschrauber, Raketen für den Eurofighter und für die bodengebundene Luftabwehr. Demnächst soll das Sturmgewehr ersetzt werden, hinzu kommt allerlei für die Logistik. Man versucht, Einheiten personell aufzufüllen.
Weniger sichtbar sind die »Lücken« im Bereich der Cyberkriegsfüh- rung, die nun aber geschlossen werden sollen. Eine entsprechende Strategie hat die Truppe per Tagesbefehl vor knapp einem Jahr erreicht. Nun liegt – mit dem Stempel »Verschlusssache« versehen – eine weitere strategische Leitlinie vor. Darin liest man: »Die Umstände erfordern, den Weltraum auch als militärischen Operationsraum zu verstehen und wahrzunehmen.«
Die Umstände? Zweifelsohne sind moderne Staaten extrem abhängig von Raumfahrttechnologien. Sie sichern vor allem Navigation und Kommunikation. Das ermöglicht Paketlieferungen rings um den Globus ebenso »just in time« wie denkbare Einschläge atomarer Sprengköpfe. Ohne Satelliten gebe es keine Auslandseinsätze. Daher heißt es in den Leitlinien durchaus realistisch: »Die rasante Entwicklung, stetige Verbesserung und zunehmende Verfügbarkeit von Einsatzunterstützung aus dem Weltraum und weltraumgestützte Fähigkeiten prägen die moderne Kriegsführung wesentlich.« Wohl sei der Weltraum »ein globales Gemeinschaftsgut jenseits staatlicher Hoheitsansprüche«, doch gestalte es sich »zunehmend schwierig, über verantwortliches Verhalten im Weltraum Konsens zu erzielen«.
Aus den Erfahrungen im vergangenen Kalten Krieg leitet man die zutreffende Erkenntnis ab, dass »der Transparenz der Weltraumnutzung und der Rüstungskontrolle im Weltraum eine wesentliche Bedeutung für die Vermeidung eines Rüstungswettlaufs« zukomme. Wer nun substanzielle Vorschläge zur Schaffung eines tragfähigen internationalen Vertrags- werkes über die friedliche Nutzung des Weltraumes erwartet, wird enttäuscht. Da das Konzept aus dem Verteidigungsministerium kommt, geht es vorrangig darum, die Bundeswehr zu Weltraumoperationen zu befähigen – und dies durch die »Nutzung von Weltraumsystemen zur Unterstützung von Einsatz, Übung und Grundbetrieb«. Darüber hinaus geht es um »Einsatz, Betrieb und Schutz von Weltraumsystemen«. Man sieht kosmische Anwendungsbereiche auch bei »Erdbeobachtung, Frühwarnung und Flugkörperabwehr, Kommunikation, Positions- Navigations- und Zeitsignalbestimmung«.
Vor allem in Sachen Satellitentechnik und -kontrolle haben die deutschen Streitkräfte durchaus Hightech zu bieten ebenso wie in der Planung – sei es bei der Aufklärung, bei der metergenauen Vermessung der Erdoberfläche oder der Kommunikation. Die Achillesferse ist, dass man Raumflugkörper nicht selbst in die Umlaufbahn bringen kann. Man braucht die Hilfe der westeuropäischen Weltraumbehörde ESA, die wiederum nicht ohne russische Trägerraketen auskommt.
Doch nur wenige, hoch entwickelte Länder nutzen den Weltraum intensiv. Eben diese »stark unterschiedliche Betroffenheit« von Staaten erschwert die Konsensfindung. Und so halten Regulierungsinstrumente mit der unaufhaltsam voranschreitenden technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung bei der Nutzung des Weltraumes nicht mit. Also will die Bundesrepublik »zunächst in einem Kreis von gleichgesinnten Akteuren wirksame Methoden und Regularien zur Gestaltung insbesondere sicherheitspolitisch relevanter Aspekte« entwickeln, heißt es schwammig. Die Welt und auch Europa in zwei Geschwindigkeiten? Nicht angestrebt wird derzeit der Aufbau »umfassender NATOoder EU-eigener militärischer Weltraumfähigkeiten und -strukturen«, heißt es in dem Bundeswehrkonzept. Wohl aber sucht man nach »geeigneten strategischen Partnern«. Davon gebe es jedoch nur wenige. Zugleich sieht man sich in der Rolle »als Anlehnungspartner«, also als Staat, der anderen die Mitarbeit an bestimmten Projekten gewähren kann. Diesen Grundsatz vertritt man auch bei der irdischen militärischen Zusammenarbeit. So lehnen sich Staaten wie die Niederlande, Belgien, Kroatien, Luxemburg und Tschechien tatsächlich an die Bundeswehrtruppe an, die derzeit an der Ostgrenze des Bündnisses in Litauen stationiert wird. Grundsätzlich wolle man auch auf kosmischen Ebenen das »Netzwerk bilateraler Daten- und Leistungsaustauschvereinbarungen« weiter ausbauen.
In Rechnung gestellt wird, dass die EU-Raumfahrtaktivitäten vor allem ziviler und wissenschaftlicher Natur sind. Doch das gereicht den Militärs zum Vorteil, denn es treten »sicherheits- und verteidigungsrelevante Aspekte auch für die zivilen Programme wie GALILEO, EGNOS, COPERNICUS, EU SST SP sowie für Aktivitäten von ESA und EUMETSAT immer deutlicher zutage«. Es geht – wie auf Erden – um Dual-use-Programme, also solche Projekte, die zivil wie militärisch nutzbar sind. Beispiel: Der geostationäre Telekommunikationssatellit SmalGEO: Erstmals wurde er Ende Januar 2017 im Rahmen des ARTES-Programm der Europäischen Raumfahrtagentur ESA gestartet. An Bord ist eine Nutzlast für das SATCOMBw-System des Militärs.
Gerade wenn es um die Kooperation mit dem zivilen Bereich geht, kommt das Thema Schlüsseltechnologien ins Spiel. In dem Strategieprogramm werden unter anderem abbildende Radar- und Hyperspektralsensorik, Laserkommunikation und Robotik genannt. Wegen vorangegangener Vertragspleiten macht man sich im Verteidigungsministerium auch Gedanken über die künftige Haushalts- und Finanzplanung sowie die Auslastung von Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten. Gleiches gilt für neuartige Betreibermodelle.