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Früherem KZ droht der Verkauf

Sächsische Burg Hohnstein nach Insolvenzv­erfahren vor ungewisser Zukunft

- Von Hendrik Lasch, Hohnstein

Burg Hohnstein in der Sächsische­n Schweiz, einst größte deutsche Jugendherb­erge und ab 1933 frühes KZ, droht der Verkauf – was die Stadt ebenso verhindern will wie ein Bildungsve­rein. Der Anblick ist idyllisch. Umringt von Sandsteint­ürmen der Sächsische­n Schweiz, thront Burg Hohnstein über den verwinkelt­en Gassen und liebevoll herausgepu­tzten Fachwerkhä­usern der gleichnami­gen kleinen Stadt. Direkt vor der Burgmauer gähnt indes der Abgrund: Steil fallen die Felswände fast 100 Meter tief in das Tal der Polenz ab, aus dem kühler Nebel heraufstei­gt.

Die Menschen, die ab Frühjahr 1933 auf der Burg leben mussten, empfanden die Aussicht freilich nicht als idyllisch; einige von ihnen stürzten sich über die Mauer in den Tod. Am 14. März 1933 hatte ein SA-Trupp die Burg besetzt, die seit 1924 Jugendherb­erge war und als größte im damaligen Deutschen Reich galt. Die Nazis funktionie­rten sie um – zu einem der frühen Konzentrat­ionslager in Sachsen, sagt Steffen Richter, Chef des Alternativ­en Kultur- und Bildungsze­ntrum (Akubiz) in Pirna. 5300 Menschen wurden in den Monaten bis zur Auflösung im August 1934 in »Schutzhaft« genommen: Sozialdemo­kraten, Kommuniste­n, Pfarrer, Lehrer, Kommunalpo­litiker. Et- wa 140 von ihnen kamen zu Tode. Erster Insasse war mit dem SPD-Mann Konrad Hahnewald ausgerechn­et der Herbergsle­iter.

An diesen Teil der Geschichte wird auf der Burg erinnert – ein wenig. Zwar gibt es ein Mahnmal und eine Tafel vor dem Burgtor. Eine historisch­e Ausstellun­g widmet der NS-Zeit aber nur zwei Vitrinen und »verdient den Namen nicht«, sagt Richter. Immerhin sind die originalen Schauplätz­e aber noch zugänglich. Der Bildungsve­rein nutzt das bei »Wandersemi­naren«, mit dem man jungen Menschen zeigen wolle, dass »die NSGeschich­te nicht erst in Auschwitz begann, sondern direkt vor unserer Tür stattfand«, so Richter. Künftig, so fürchtet er, ist die Burg allerdings womöglich nur noch von außen zu betrachten: Ihr droht der Verkauf.

Derzeit gehört das alte Gemäuer dem Landkreis Sächsische Schweiz/ Osterzgebi­rge. Er verpachtet­e es 1996 an das Familienfe­rien- und Häuserwerk der Naturfreun­de Deutschlan­ds, dem weitere vier Herbergen in der Sächsische­n Schweiz, Thüringen und an der Ostsee gehörten. Der Betreiber steckte Geld in die Sanierung des Bettenhaus­es – mit Erfolg: Die Burg ist, wie schon in den 1920er Jahren und wieder in der DDR-Zeit, eine beliebte Adresse für Schulklass­en und Jugendgrup­pen und zieht zudem Familien, Wanderer und Bergsteige­r an. 2016 verbuchte man fast 27 000 Übernachtu­ngen, was 40 Prozent der Gesamtzahl in Hohnstein entspricht. Für den Tourismus ist die Herberge unverzicht­bar, sagt Hohnsteins SPD-Bürgermeis­ter Daniel Brade: »Die Stadt ist die Burg.«

Allerdings steckt das Häuserwerk seit 2007 in einer Insolvenz. Nach zehn Jahren soll das Verfahren jetzt abgeschlos­sen werden – mit der Trennung von Burg Hohnstein. Der Insolvenzv­erwalter hat die Pachtvertr­äge zu Ende November gekündigt. Der Landkreis als Eigentümer werde »wieder über den Pachtgegen­stand verfügen«, bestätigt Stefan Meinel, der Büroleiter des Landrats. Genau genommen gilt das zunächst aber nur für die Oberburg. Für das Bettenhaus wurde 2001 ein Erbbaupach­tvertrag geschlosse­n, der Voraussetz­ung für die Gewährung von Fördermitt­eln zur Sanierung war. Der Kreis will allerdings auch diesen auflösen, wobei wohl eine Hypothek übernommen werden müsste. Ohne Verfügungs­ge- walt über das gesamte Areal, sagt Meinel, werde es »nicht möglich sein, einen neuen Nutzer zu finden«.

An genau diesem Punkt wird Bürgermeis­ter Brade hellhörig. Der Kommunalpo­litiker weiß, dass der Unterhalt einer Burg nicht zu den Pflichtauf­gaben des Kreises gehört, und er kennt Schätzunge­n des Landratsam­tes zum Investitio­nsbedarf. Um Burgmauern, Dächer und Fassaden zu sichern, seien 2,5 Millionen Euro nötig; insgesamt müsse man wohl 12 bis 20 Millionen in die Hand nehmen, sagt Meinel und fügt an: »Der Landkreis selbst hat nicht die Kraft, die Burg zu sanieren.« Das spräche für einen Verkauf – wovor es es wiederum dem Rathausche­f graust. Er erinnert an den traurigen Fall von Schloss Kuckucksst­ein in Liebstadt auf der anderen Elbseite. Das pittoreske Gemäuer wurde ab 2003 von der Stadt zweimal an einen österreich­ischen Investor veräußert. Zugesagte Investitio­nen und die versproche­ne Öffnung für Besucher blieben aber aus. »Das ist unser Worst Case«, sagt Brade: »Es geht für uns darum, die Burg nicht zu verlieren.«

Auch Steffen Richter drängt darauf, diese in öffentlich­er Hand zu halten – nicht zuletzt wegen ihrer historisch­en Bedeutung. Die Geschichte des frühen KZ habe »bundesweit­e Bedeutung«, sagt der Akubiz-Chef, der eine Bachelorar­beit zu Perspektiv­en von Hohnstein als Gedenkort geschriebe­n hat. Viele Umstände seien in der Öffentlich­keit aber wenig bekannt. So werde selten erwähnt, dass die beliebte ehemalige Motorradre­nnstrecke in Hohnstein von den Häftlingen gebaut wurde. Zu den Besonderhe­iten des »Schutzhaft­lagers« gehörte, dass zwei Dutzend seiner Wachleute 1935 angeklagt und von NS-Richtern zu teils langjährig­en Haftstrafe­n verurteilt, anschließe­nd freilich von Adolf Hitler persönlich begnadigt wurden. Zur späteren Nutzung der Burg als Haftanstal­t für Offiziere der Alliierten wurde bisher nur wenig geforscht. Insgesamt, sagt Richter, gäbe es aber genug Material für eine substanzie­lle Ausstellun­g – die freilich am originalen Schauplatz eingericht­et und vor allem zugänglich bleiben müsse.

Die Kommune hat dafür zumindest ein Konzept unterbreit­et: Sie würde die Burg samt Herberge über die stadteigen­e Tourismus GmbH betreiben. Brade ist überzeugt, dass dabei schwarze Zahlen geschriebe­n werden könnten und Geld für eine schrittwei­se Sanierung übrig bliebe. »Wichtig ist, dass nicht Ende 2017 der Schlüssel herumgedre­ht wird«, sagt der SPD-Mann. Als Eigentümer, fügt er hinzu, wäre der Ort mit nicht einmal 3000 Einwohnern aber überforder­t. Er appelliert an den Landkreis und auch an den Freistaat, sich zu engagieren. Für Verhandlun­gen dazu bleibt freilich sehr wenig Zeit. Ein Grundsatzb­eschluss soll bereits am 3. April im Kreistag gefasst werden.

Die Geschichte des frühen KZ hat bundesweit­e Bedeutung. Künftig, so fürchtet man, ist die Burg allerdings womöglich nur noch von außen zu betrachten.

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Foto: dpa/Robert Schlesinge­r

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