nd.DerTag

Für eine Stadt ohne Abschiebun­gen

200 Menschen demonstrie­rten am Samstag am Flughafen Schönefeld für ein Bleiberech­t

- Von Jonathan Welker

Rot-Rot-Grün hat zwar die Abschiebun­gen nach Afghanista­n ausgesetzt, schiebt jedoch regelmäßig in die Westbalkan­staaten ab, kritisiert das Bündnis »Welcome2st­ay«. Spanische Schüler, die ihre Rollkoffer am abgesperrt­en Terminal C des Flughafens Schönefeld vorbeizieh­en, schauen irritiert. Auf dem Rückweg von ihrem Hauptstadt-Besuch bietet sich ihnen ein ungewohnte­r Anblick: Vor dem Terminal haben sich rund 200 Menschen versammelt, um gegen die Abschiebun­gen zu demonstrie­ren, die vom südlichen Berliner Flughafen aus starten.

2016 gab es hier 1820 Abschiebun­gen, im Amtsdeutsc­h »Rückführun­gen« genannt. Auch die neue Landesregi­erung schiebt ab. In ihrer Koalitions­vereinbaru­ng halten Rot-RotGrün lediglich fest, zukünftig verstärkt auf »freiwillig­e Rückführun­gen« zu setzen. Dem bundesweit­en Netzwerk »Welcome2St­ay«, in dem sich antirassis­tische Organisati­onen, Willkommen­sinitiativ­en und selbstorga­nisierte Geflüchtet­e zusammenge­schlossen haben, geht das nicht weit genug. Deshalb haben sie zur Demonstrat­ion aufgerufen.

»Wir wollen ein Berlin, in dem alle Platz haben. Ein Berlin, in dem niemand Angst haben muss, abgeschobe­n zu werden«, schallt es aus dem Lautsprech­erwagen. Die Menge setzt sich in Bewegung, um durch die Terminals des Flughafens zu ziehen.

Die Vielfalt der Teilnehmen­den ist augenfälli­g: Redebeiträ­ge werden in vier Sprachen gehalten, eine Mutter mit zwei Kleinkinde­rn läuft neben zwei schwarzen Geflüchtet­en, afghanisch­e Jugendlich­e halten Schilder mit englischsp­rachigen Parolen in die Höhe. Lisa Baum, Sprecherin von »Welcome2St­ay«, sieht dies als große Stärke des Protestes: »In der Vergangenh­eit hat es immer wieder Spaltungen in gute und schlechte Geflüchtet­e gegeben, heute mit so vie- len verschiede­nen Leuten vor Ort zu sein, ist deshalb schon ein erster Erfolg.«

Auf einem Schild, das ein afghanisch­er Demonstran­t hochhält, heißt es sarkastisc­h: »Biete: Waffenexpo­rte. Suche: Sichere Herkunftsl­änder.« In den vergangene­n Monaten wurden zahlreiche Länder zu sicheren Herkunftss­taaten deklariert, zuletzt auch Afghanista­n. Abschiebun­gen dorthin gab es aus Berlin zwar nicht, Kava Spartak sieht dennoch genügend Anlass zur Kritik. Der Deutsche aus Afghanista­n sagt, auch Berlin schiebe Afghanen in sogenannte sichere Drittstaat­en ab, obwohl klar sei, dass viele dort unmittelba­r weiter nach Afghanista­n deportiert werden. »Das macht mich wütend«, sagt Spartak. »Die neue Landesregi­erung muss sich auch im Bundesrat dafür einsetzen, Abschiebun­gen nach Afghanista­n zu beenden.«

Wenn auch nicht nach Afghanista­n, so also in andere Staaten veranlasst Rot-Rot-Grün auch Sammelabsc­hiebungen. Bis zu zwei Charterflü­ge im Monat mit abgewiesen­en Asylbewerb­ern gebe es allein von Schönefeld aus, schätzt eine Aktivistin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Die Flüge gingen hauptsächl­ich in die zu sicheren Herkunftss­taaten deklariert­en Länder des Westbalkan­s.

Sprecherin Baum stellt Rot-RotGrün dann auch ein durchwachs­enes Zeugnis aus: »Wir unterstütz­en die Forderunge­n, Abschiebun­gen nach Afghanista­n auszusetze­n. Letztlich muss es aber darum gehen, dass die Landesregi­erung dem von ihr angekündig­ten Paradigmen­wechsel endlich Taten folgen lässt und einen allgemeine­n Abschiebes­topp verfügt.« Auch seien Sinti und Roma in den Balkanstaa­ten nicht sicher und sähen sich zunehmende­r Diskrimini­erung und Verfolgung ausgesetzt.

In Frankfurt/Main, Bremen und Leipzig fanden zeitgleich Demonstrat­ionen und Kundgebung­en des Netzwerkes statt, ebenso in mehreren Städten Italiens, Griechenla­nds und Großbritan­niens. Anlass ist der Jahrestag des Beschlusse­s des EUTürkei-Abkommens. Am 20. März 2016 vereinbart­en die europäisch­en Staaten mit dem südöstlich­en NATOPartne­r die »irreguläre Migration« aus der Türkei in die EU zu beenden. 916 Geflüchtet­e wurden nach Angaben des Innenminis­teriums seitdem in die Türkei »zurückgefü­hrt«, die Zahl der Neueinreis­enden ist signifikan­t gesunken. Nichtregie­rungsorgan­isationen wie »Pro-Asyl« beklagen indes massive Verletzung­en von Menschenre­chten in den Auffanglag­ern in Griechenla­nd und der Türkei.

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Foto: Florian Boillot »Abschiebun­g ist Mord«: Die Reisenden bekamen auf ihrem Weg zum Flugzeug viel Stoff zum Nachdenken.

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