Für eine Stadt ohne Abschiebungen
200 Menschen demonstrierten am Samstag am Flughafen Schönefeld für ein Bleiberecht
Rot-Rot-Grün hat zwar die Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt, schiebt jedoch regelmäßig in die Westbalkanstaaten ab, kritisiert das Bündnis »Welcome2stay«. Spanische Schüler, die ihre Rollkoffer am abgesperrten Terminal C des Flughafens Schönefeld vorbeiziehen, schauen irritiert. Auf dem Rückweg von ihrem Hauptstadt-Besuch bietet sich ihnen ein ungewohnter Anblick: Vor dem Terminal haben sich rund 200 Menschen versammelt, um gegen die Abschiebungen zu demonstrieren, die vom südlichen Berliner Flughafen aus starten.
2016 gab es hier 1820 Abschiebungen, im Amtsdeutsch »Rückführungen« genannt. Auch die neue Landesregierung schiebt ab. In ihrer Koalitionsvereinbarung halten Rot-RotGrün lediglich fest, zukünftig verstärkt auf »freiwillige Rückführungen« zu setzen. Dem bundesweiten Netzwerk »Welcome2Stay«, in dem sich antirassistische Organisationen, Willkommensinitiativen und selbstorganisierte Geflüchtete zusammengeschlossen haben, geht das nicht weit genug. Deshalb haben sie zur Demonstration aufgerufen.
»Wir wollen ein Berlin, in dem alle Platz haben. Ein Berlin, in dem niemand Angst haben muss, abgeschoben zu werden«, schallt es aus dem Lautsprecherwagen. Die Menge setzt sich in Bewegung, um durch die Terminals des Flughafens zu ziehen.
Die Vielfalt der Teilnehmenden ist augenfällig: Redebeiträge werden in vier Sprachen gehalten, eine Mutter mit zwei Kleinkindern läuft neben zwei schwarzen Geflüchteten, afghanische Jugendliche halten Schilder mit englischsprachigen Parolen in die Höhe. Lisa Baum, Sprecherin von »Welcome2Stay«, sieht dies als große Stärke des Protestes: »In der Vergangenheit hat es immer wieder Spaltungen in gute und schlechte Geflüchtete gegeben, heute mit so vie- len verschiedenen Leuten vor Ort zu sein, ist deshalb schon ein erster Erfolg.«
Auf einem Schild, das ein afghanischer Demonstrant hochhält, heißt es sarkastisch: »Biete: Waffenexporte. Suche: Sichere Herkunftsländer.« In den vergangenen Monaten wurden zahlreiche Länder zu sicheren Herkunftsstaaten deklariert, zuletzt auch Afghanistan. Abschiebungen dorthin gab es aus Berlin zwar nicht, Kava Spartak sieht dennoch genügend Anlass zur Kritik. Der Deutsche aus Afghanistan sagt, auch Berlin schiebe Afghanen in sogenannte sichere Drittstaaten ab, obwohl klar sei, dass viele dort unmittelbar weiter nach Afghanistan deportiert werden. »Das macht mich wütend«, sagt Spartak. »Die neue Landesregierung muss sich auch im Bundesrat dafür einsetzen, Abschiebungen nach Afghanistan zu beenden.«
Wenn auch nicht nach Afghanistan, so also in andere Staaten veranlasst Rot-Rot-Grün auch Sammelabschiebungen. Bis zu zwei Charterflüge im Monat mit abgewiesenen Asylbewerbern gebe es allein von Schönefeld aus, schätzt eine Aktivistin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Die Flüge gingen hauptsächlich in die zu sicheren Herkunftsstaaten deklarierten Länder des Westbalkans.
Sprecherin Baum stellt Rot-RotGrün dann auch ein durchwachsenes Zeugnis aus: »Wir unterstützen die Forderungen, Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen. Letztlich muss es aber darum gehen, dass die Landesregierung dem von ihr angekündigten Paradigmenwechsel endlich Taten folgen lässt und einen allgemeinen Abschiebestopp verfügt.« Auch seien Sinti und Roma in den Balkanstaaten nicht sicher und sähen sich zunehmender Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt.
In Frankfurt/Main, Bremen und Leipzig fanden zeitgleich Demonstrationen und Kundgebungen des Netzwerkes statt, ebenso in mehreren Städten Italiens, Griechenlands und Großbritanniens. Anlass ist der Jahrestag des Beschlusses des EUTürkei-Abkommens. Am 20. März 2016 vereinbarten die europäischen Staaten mit dem südöstlichen NATOPartner die »irreguläre Migration« aus der Türkei in die EU zu beenden. 916 Geflüchtete wurden nach Angaben des Innenministeriums seitdem in die Türkei »zurückgeführt«, die Zahl der Neueinreisenden ist signifikant gesunken. Nichtregierungsorganisationen wie »Pro-Asyl« beklagen indes massive Verletzungen von Menschenrechten in den Auffanglagern in Griechenland und der Türkei.