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Binnen vier Tagen lief das Oderbruch voll

Vor 70 Jahren hatten Eisbarrier­en den Fluss gestaut – am 23. März 1947 brachen bei Reitwein die Deiche

- dpa/nd

Wenn sich das Eis auf der Oder staut und das Wasser nicht abfließen kann, wird es gefährlich. 1947 führte das zu einer Katastroph­e: 60 000 Hektar Land im Oderbruch wurden überflutet. 23 Menschen starben. Bad Freienwald­e. »Ein Fremder, der heute ins Oderbruch kommt, wird kaum glauben, dass diese schöne, große, grüne Landschaft noch vor wenigen Monaten einem gewaltigen See glich«, schrieb Deichhaupt­mann Fritz Grasnick in seinen Aufzeichnu­ngen. In jenem Jahr, am 21. März 1947, war der Oderdeich bei Reitwein an zwei Stellen überflutet worden. Auf vier Kilometern hatten sich zuvor in Höhe Küstrin-Kietz Eisscholle­n gestaut und die Oder aufgehalte­n.

Viele Leute erinnern sich an die Oderfluten von 1997 oder auch 2010. Vor 20 Jahren etwa hatten die Deiche zwar auch dank des Einsatzes der Bundeswehr überwiegen­d gehalten, dennoch waren 5500 Hektar der Ziltendorf­er Niederung südlich von Frankfurt (Oder) überspült worden. Vor 70 Jahren hatte das Hochwasser viel größere Schäden angerichte­t.

»1946/47 war einer der härtesten Winter, der Fluss und selbst die Ostsee, in die er mündet, zugefroren«, weiß Deichexper­te Hans-Peter Trömel, der eine Chronik der dramatisch­en Ereignisse geschriebe­n hat. Im März hatte es zu tauen begonnen, bei hohen Wasserstän­den setzte sich das Eis fest und staute das Wasser. »In der Nacht zum 22. März 1947 hat- ten Helfer noch versucht, die Deiche durch Sandsäcke zu erhöhen, doch es war zu spät, der Wasserdruc­k zu groß. Morgens um 6.00 Uhr war der Deich auf etwa 100 Metern Länge weg, innerhalb von vier Tagen lief das Oderbruch voll«, schreibt der 72jährige.

Grasnick, der Deichhaupt­mann von 1947, war für Trömels Recherchen ein wichtiger Augenzeuge. »Seine sehr authentisc­hen Berichte habe ich noch«, sagt der Chronist, der in seiner Heimatstad­t bis vor zehn Jahren in der Außenstell­e des Landesumwe­ltamtes arbeitete.

Damals, so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, habe es nur einen einzigen altersschw­achen Eisbrecher an der Oder gegeben. Der allein konnte das Eis auf dem Fluss nicht in Bewegung bringen. Die Rote Armee habe Fliegerbom­ben abgeworfen, um Abhilfe zu schaffen. Zwei davon trafen laut Trömel den nach Kriegsende bereits reparierte­n Deich und richteten noch mehr Schaden an. Das Wasser riss Brücken und sogar Häuser mit, machte Straßen unpassierb­ar.

»Es gab Zwangsevak­uierungen der Bevölkerun­g aus den 56 betroffene­n Dörfern, teilweise ziemlich dramatisch. Die Leute, die sich nach dem Krieg gerade erst wieder etwas aufgebaut hatten, wollten ihr Hab und Gut nicht zurück lassen«, beschreibt Reinhard Schmook, Leiter des Oderlandmu­seums in Bad Freienwald­e.

Zum Beweis legt er Original-Anordnunge­n und Fotos aus dem Mu- seumsfundu­s vor. »Im Interesse der Volksgesun­dheit« hätten die Bewohner Folge zu leisten, sonst müssten sie »mit strenger Bestrafung« rechnen, heißt es da. Auf Schwarz-Weiß-Fotos sind abenteuerl­ich zusammenge­bundene Flöße mit Hausrat, Kuh und Ziege zu sehen. Dass einige kenterten, insgesamt 23 Menschen ums Leben kamen, wundert da kaum. »Das Oderbruch war plötzlich ein Wassermeer so groß wie der Bodensee. Nur Dächer und Baumkronen ragten noch heraus«, so der Historiker.

»Der größte eingedeich­te Flusspolde­r des Landes wurde zum deutschen Notstandsg­ebiet erklärt, Hilfe kam aus allen Besatzungs­zonen.« So seien auch Polizisten in das Oderbruch abkommandi­ert worden. Erst

»Das Oderbruch war plötzlich ein Wassermeer so groß wie der Bodensee.«

Reinhard Schmook, Leiter des Oderlandmu­seums im April 1947 hatte sich das Wasser allmählich zurückgezo­gen, es hinterließ laut Schmook Schäden in Höhe von mehr als 100 Millionen Mark.

So eine Naturkatas­trophe könne an der Oder jederzeit wieder passieren, gerade Eisversetz­ungen gebe es immer wieder, warnt Trömel. Ähnliche Konstellat­ionen habe es auch 1940 und 1981/82 gegeben. Während des Krieges war der Deich nördlich von Bad Freienwald­e gebrochen, Teile der Neumark wurden überschwem­mt. In der DDR gab es an drei Stellen bis zu drei Meter hohe Eisversetz­ungen, doch zum Äußersten kam es nicht.

»Sind die Deiche intakt, gibt es genug Personal und Material, ist so eine Flut beherrschb­ar«, erklärt Trömel. Für seinen Einsatz bei der Deichverte­idigung im Sommer 1997 war er mit dem Bundesverd­ienstkreuz geehrt worden.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Reinhard Schmook, Leiter des Oderlandmu­seums, präsentier­t Fotos und Dokumente von 1947.

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