Große Show und kleiner Trick
Im Radsportklassiker Mailand-Sanremo schlägt Michal Kwiatkowski den großen Favoriten Peter Sagan
Michal Kwiatkowski gewinnt Mailand-Sanremo. Der Pole besiegte im Sprint einer Dreiergruppe Weltmeister Peter Sagan und den Franzosen Julian Alaphilippe. Peter Sagan wollte es nicht glauben. Immer wieder schaute er sich im Journalistenbereich im Ziel die Fernsehwiederholung des Sprints an. Er war der große Favorit. Er hatte die entscheidende Attacke gesetzt. Er war sichtlich der stärkste Fahrer im Peloton. Im Sprint aus einer Dreiergruppe hatte ihn aber der Pole Michal Kwiatkowski besiegt.
Schweigend blickte Sagan auf die TV-Bilder. Was sie ihm sagten, verriet er nicht. »Ich gab alles, um MailandSanremo zu gewinnen. Ich wäre auf der Zielgeraden sogar fast gestürzt. Ich glaube, mit meiner Attacke am Poggio habe ich ein gutes Spektakel geliefert, und das ist wichtig für die Zuschauer«, meinte er später.
Ein Spektakel bot er tatsächlich. Am Poggio, dem letzten Hügel vor dem Ziel, trat er mit Urgewalt an. Jeder wusste, dass genau dort die Attacke kommen musste. Unzählige Fahrer hatten es in den letzten Jahren genau dort probiert – und waren gescheitert. Sagan aber, der seit seinem zweiten WM-Sieg in Doha im letzten Jahr endgültig den Spitznamen »Kannibale« – in Anlehnung an den legendären Eddy Merckx – verliehen bekam, dieser Teufelskerl Peter Sagan riss sofort eine Lücke. Und er baute, als Zugmaschine für die nur mitfahrenden Kwiatkowski und Alaphilippe, den Vorsprung auch noch aus. Der Rest des Feldes war einfach machtlos.
»Am Ende musste er es so machen, wenn er es nicht auf einen Sprint ankommen lassen wollte. Ich finde es gut, dass er es probierte. Das macht den Radsport auch spannend«, zollte der geschlagene John Degenkolb seinem Konkurrenten Applaus.
Bei Sagans Team Bora überwog der Stolz darauf, einem großen Rennen den Stempel aufgedrückt zu haben über die Enttäuschung, das Rennen nicht auch noch gewonnen zu haben. »Wir wollten hier in weltmeisterlicher Manier gewinnen. Und ich denke, dass Peter ein Rennen gezeigt hat, das seinen Marktwert sicherlich nicht senkt«, meinte Boras Teamchef Ralph Denk, und ein Lächeln erhellte seine Züge. Fehler mochte er seinem Schützling nicht vorwerfen. Sagan konnte auf der wilden Jagd den Poggio hinab und auf dem finalen Flachstück keine Kräfte sparen. »Wir waren die einzige Mannschaft mit nur einer Option. Sky und Quick Step hatten mehr Optionen. Es war für Peter ein Ritt auf Messers Schneide. Es gab das Risiko, dass die Gruppe zurückgeholt wird. Am Ende hat er vielleicht etwas zu viel gemacht, aber es war eine schwierige Entscheidung«, meinte Denk.
Einen kleinen Fehler machte Sagan wohl aber doch. »Er kann mit seiner Explosivität immer eine Lücke reißen. Hätte er dies 50 Meter vor dem Ziel versucht, hätte es für ihn si- cher gereicht«, meinte Rolf Aldag. Der Leistungsdirektor vom Team Dimension Data hatte sich das Finale entspannt anschauen müssen. Sein Schützling Mark Cavendish, 2009 Sieger in Sanremo, hatte schon am vorletzten Berg, der Cipressa, wegen des furiosen Tempos des Pelotons abreißen lassen müssen.
Sagan indes fiel auf eine Finte des späteren Siegers Kwiatkowski herein. »Ich ließ eine kleine Lücke zu Peter und hoffte, dass er dadurch in Versuchung kommt, zu früh den Sprint anzuziehen«, plauderte der Pole später aus dem Nähkästchen. »Wir beide kennen uns seit den Juniorenrennen. Ich bin vielleicht der Fahrer, der Peter am besten kennt. Ich weiß, wie er zu schlagen ist. Und das hat mir heute sicher geholfen«, meinte er.
Mit Kwiatkowski siegte der schlauere Fahrer vor dem stärksten Mann im Peloton. Nur eine Nebenrolle in der Sagan-Show spielte Trek-Profi John Degenkolb. Der Sieger von 2015 wurde Siebter.