Dresdner Monumente
Der Künstler Manaf Halbouni hat mit seinem »Monument« die Dresdner gespalten – und zum Reden gebracht
Manaf Halbounis Kunstwerk hat die Dresdner gespalten – und zum Reden gebracht. Kurz vor dem Abbau zieht der Künstler eine positive Bilanz.
An den ersten Vorfrühlingstagen gibt es um das »Monument« keine Tumulte mehr; vielmehr ist es ein ebenso häufiges Fotomotiv wie die Kirche dahinter. Passanten studieren Botschaften, die an der Installation angebracht wurden. »Nie wieder Krieg. Hier. Dort. Überall«, ist beispielsweise zu lesen, versehen mit dem Zusatz: »Danke für dieses Denkmal!«
Eine Barrikade aus Schrottbussen in Dresdens guter Stube: Manaf Halbounis »Monument« war ein Stich in ein Wespennest. Kurz vor dem Abbau zieht der Künstler aber eine positive Bilanz – und ist dann mal weg.
Beim ersten Versuch kam die provokante Botschaft nicht ganz an. Im Januar 2015 parkte Manaf Halbouni ein Auto am Theaterplatz in Dresden, auf dem allmontäglich »besorgte Bürger« ihrem Hass auf Fremde, Zuwanderer und den Islam Luft machen. Auf dem Dach des blauen Autos lugten zwei Gartenzwerge aus einem Kasten »Radeberger«. Auch ein TV-Gerät und ein Fahrrad waren auf dem Dachgepäckträger verzurrt, zudem Bücher – in arabischer Sprache, die Halbouni als poetischer empfindet als die deutsche. »Sachse auf der Flucht« hieß die Installation, die aus allerlei Klischees über den Kern des Deutschen ein Notfallset für die von Überfremdungsangst gepeinigten sächsischen »Wutbürger« arrangierte. Eine amüsante Satire – die freilich von einigen Adressaten für bare Münze genommen wurde: »Die Pegida-Leute«, erinnert er sich, »dachten, ich mache das für sie« – gewissermaßen als Illustration dessen, was den Sachsen dank Zuwanderung vermeintlich droht. Auch der Fakt, dass Halbouni gleicher Herkunft ist wie die Flüchtlinge, irritierte die angeblichen »Verteidiger des Abendlandes« nicht: »Du sprichst deutsch und arbeitest, hieß es; gegen solche Leute hätten sie ja nichts.«
Ein Jahr später war es vorbei mit der quasi aus einem Missverständnis geborenen Toleranz. Anfang Februar wurde ein weiteres Kunstwerk Halbounis im Dresdner öffentlichen Raum eingeweiht. Aber was heißt »öffentlicher Raum«?! Die »Monument« genannte Installation aus drei Schrottbussen, die von einer Barrikade in der zerstörten syrischen Stadt Aleppo inspiriert ist, steht auf dem Dresdner Neumarkt, nur ein paar Schritte von der 2006 wieder aufgebauten Frauenkirche entfernt. Die ausrangierten Fahrzeuge ragen auf vor Fassaden, deren Putz zwar gerade erst getrocknet ist, die aber in ihrer historischen Gestaltung den Glanz des alten Dresden zeigen sollen, das am 13. Februar 1945 in Trümmer fiel. Am Neumarkt, so sehen es viele Dresdner, ist ihre Stadt wieder auferstanden. Ein wenig können sie sich hier dem Gefühl hingeben, als habe die Geschichte nicht stattgefunden. Und nun das: Schrott im Allerheiligsten; Schrott, der – wie höhnisch angemerkt wurde – auch noch aus dem Westen stammt und aus dem kleine Lachen Öl auf das historische Pflaster tropften.
Manaf Halbouni hat geahnt, in was für ein Wespennest zu stechen er sich anschickte. Geboren und aufgewachsen ist er zwar im 3500 Kilometer entfernten Damaskus. Viele Sommer hat er aber in Dresden verlebt, bei den Eltern seiner Mutter. Der im Jahr 1984 Geborene kennt die Frauenkirche als Ruine; er weiß, dass sie als Mahnmal gegen den Krieg galt und von vielen doch nur als Wunde empfunden wurde, die endlich verheilen sollte. 2009 zog Halbouni nach Dresden – nicht unbedingt freiwillig. Dem Studenten der Universität der Schönen Künste Damaskus stand die Einberufung bevor: in eine Armee, die auch vor Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges einen alles andere als guten Ruf hatte und »in der man Studenten wie mich zu brechen versucht«, sagt er. Weil er zwei Pässe hat, stand ihm indes »der Luxus« offen, den Wehrdienst auch in Deutschland zu leisten. Das versuchte er, wurde aber abgelehnt. Es blieb die Möglichkeit, binnen fünf Jahren 5000 Euro aufzubringen, um sich vom syrischen Wehrdienst freizukaufen. Dann brach der Krieg aus. Heute steht Halbouni auf einer Fahndungsliste. Besuche bei seinem Vater, einem Universitätsprofessor in Damaskus, sind unmöglich; die Mutter ist gestorben. Seit acht Jahren studiert er an der Hochschule für Bildende Künste; seit 2014 ist er Meisterschüler bei Professor Eberhard Bosslet.
Spätestens in dieser Zeit hat Halbouni auch das spezielle Verhältnis der Dresdner zur Zerstörung ihrer Stadt und zum 13. Februar kennen lernen dürfen – einem Datum, dass »ich has- se, seit ich hier lebe, weil es nicht um Gedenken geht, sondern um Instrumentalisierung des Gedenkens«, sagt er. Oft genug hat er sich anhören müssen, wie die Stadt zum unschuldigen »Opfer« stilisiert und dabei alle Vorgeschichte des Krieges ausgeblendet und kleingeredet wurde. Manchmal, so sagt er, »scheint es, als zählten nur die Dresdner und alle anderen hätten nicht gelitten«.
Das »Monument« soll diese Selbstbezogenheit stören und daran erinnern, dass Krieg auch anderswo und auch heute Leid bringt. Inspiration für die Installation war das Foto einer Barrikade, die Bewohner einer Straße vor Scharfschützen bewahren sollte. Auf welcher Seite des unübersichtlichen Krieges diese kämpfen, ist für ihn zweitrangig; die Einteilung in Gut und Böse, die viele in Europa vornehmen, scheint ihm zu simpel. Allianzen wechseln oft in diesem Krieg, neue Kriegsparteien tauchen auf. »Man hat keinen Überblick mehr. Was wichtig ist, ist das Leben.«
So entstand die Idee, ein »Monument« zu errichten – und zwar nicht irgendwann und irgendwo in Dres- den, sondern zum 13. Februar und auf dem Neumarkt. Der Standort und der Zeitraum der Aufstellung seien »Teil des Konzepts«, schreibt Halbouni. Mit Widerspruch musste er rechnen. Der kam prompt – teils auch von wohlmeinenden Kritikern. Freunde seiner Kunst vermissten den Witz und den Hintersinn früherer Kunstwerke, die er oft aus Beton und Stahl anfertigte: ein Schachbrett etwa, dessen Spielfläche völlig zerklüftet und mit Stacheldraht umwunden ist und auf dem sich die Figuren wie orientierungslose Kombattanten in der heillosen Unordnung einer unübersichtlichen Schlacht gegenüber stehen. Oder ein Wandrelief, das den Schriftzug »Damaskus« in edle arabische Kalligrafie gießt, dabei aber völlig zertrümmert und zerbrochen ist wie so viele syrische Städte. Es sind solche Kunstwerke, für die Halbouni 2016 den Marion-Ermer-Preis erhielt. Die Jury lobte seine »Kommentare auf gesellschaftliche und politische Zustände« in Syrien und in der Bundesrepublik, wobei es der Künstler »unterlässt (...), mit dem obligatorischen erhobenen Zeigefinger zu mahnen«.
Die Kritiker freilich, die ihm bei der Einweihung des »Monuments« kurz vor dem 13. Februar gegenübertraten, stießen sich nicht an dessen womöglich zu plakativ vermittelter Botschaft; sie lehnten rundheraus alles ab: das Kunstwerk, Ort und Zeit seiner Aufstellung, die Botschaft, seinen Urheber. Von »Schrottkunst« war die Rede, von einer »Schande«, gar von »entarteter Kunst«. Schon in den Tagen zuvor war Halbouni, der nun als einer der »Armutsflüchtlinge« diffamiert wurde, im Internet derart bedroht worden, dass er Übergriffe auf die Schlosserei fürchtete, in der die Busse für die Aufstellung vorbereitet wurden. Bei der von Pöbeleien überschatteten Eröffnung hatte er sich eigentlich zurückhalten wollen. Erst, als der enthemmte Hass sogar über Sebastian Feydt, Pfarrer der Frauenkirche, hereinbrach, habe er sich zu einer Intervention entschlossen, sagt Halbouni. »Ihr wollt für christlichabendländische Werte kämpfen und habt nicht einmal dem Pfarrer erlaubt zu sprechen!«, rief der Künstler den ohne Unterlass laut brüllenden Pöblern entgegen: »Schämt euch!«
Nun, fünf Wochen später, blickt Halbouni gelassener auf die Zeit, in der die Wogen des Zorns hochschlugen und noch Häme dazukam, als Fotos auftauchten, die die Busbarrikade in Aleppo unter der Flagge einer islamistischen Miliz zeigten. Die CDUPolitikerin Vera Lengsfeld ätzte danach, das Monument sei »kein unschuldiges Kunstwerk« – in Anspielung auf die Feststellung des Dresdner Oberbürgermeisters Dirk Hilbert, Dresden sei im Februar 1945 »keine unschuldige Stadt« gewesen, was ihm Morddrohungen eintrug. Halbouni wies den Vorwurf strikt zurück, er habe ein »Symbol der Islamisten« vor die Frauenkirche gestellt; seine Arbeit richte sich »nicht nach irgendeiner Partei, die dort kämpft«. Vielmehr wolle er »erinnern, dass Krieg nur Leid ist« – und dass er nicht überwunden sei, »bloß weil er fern von uns ist«.
Die Botschaft, so scheint es, ist bei vielen Betrachtern trotz des Getöses bei der Eröffnung angekommen. An den ersten Vorfrühlingstagen gibt es um das »Monument« keine Tumulte mehr; vielmehr ist es bei den Touristen ein ebenso häufiges Fotomotiv wie die Kirche dahinter. Passanten studieren Botschaften, die am Fuß der Installation angebracht wurden. »Nie wieder Krieg. Hier. Dort. Überall«, ist etwa zu lesen, versehen mit dem Zusatz: »Danke für dieses Denkmal!«. Daneben gibt es andere Friedensbotschaften, Texte, die Kritik an der NATO üben, aber auch Grablichter und das verblasste Foto einer Frau mit kleinem Kind. »Im Gedenken an meine geliebte Oma«, steht darauf. »Ausgebombt am 13.02.45. Überlebt.«
Manaf Halbouni sitzt derweil in einem Café am Terrassenufer und wirkt gelöst. Sein Ansatz, glaubt er, ist aufgegangen. Das »Monument« hat erreicht, was die Jury des Ermer-Preises auch an seinen anderen Kunstwerken lobte: dass sie den »Dialog zwischen Kunstwerk, Künstler und Betrachter« befördern. Mehrfach hat sich Halbouni an seiner Installation dem Publikum gestellt; stets wurde zwar durchaus kontrovers diskutiert, aber nicht geschrien und gepöbelt. Es ist eine Erfahrung, die ihn bestärkt in der Überzeugung, dass er seine Kunst in der Stadt präsentieren und nicht in Galerien verstecken will, wo eine kaufkräftige Klientel höflich applaudiert, aber keine Reibung entsteht. Das »Monument« dagegen hat Wellen geschlagen – bis weit über die Stadtgrenzen hinaus. Medien berichteten von Amerika bis Australien und auch in Syrien. Auch dort war die Reaktion nicht einhellig positiv, sagt er. »Manche sagten: Wir haben kein Gas, und dort stellt man Busse für uns auf.« Für zusätzliche Irritationen sorgte eine fehlerhafte Übersetzung, die den Eindruck erweckte, die Busse stammten nicht aus Bayreuth, sondern aus Beirut. Wobei: So unpassend wäre die Assoziation gar nicht, sagt Halbouni. So wie Syrien heute, war auch Beirut jahrelang Schauplatz eines Bürgerkrieges. Heute ist die Hauptstadt Libanons wieder aufgebaut; das Land gilt als die »Schweiz des Nahen Ostens«. Es ist eine Botschaft, wie er sie auch mit der Aufstellung des »Monuments« direkt an der Frauenkirche verband. Seht her, lautet sie: Auch diese Stadt lag einst in Trümmern und ist wieder aufgebaut. Es ist ein Versuch, den Leidtragenden des Krieges in Syrien Mut zu machen, den freilich auch Halbouni nicht vor einem baldigen Ende sieht.
Zwei Wochen werden die Busse in Dresden noch stehen. Halbouni selbst ist auf dem Sprung. Er ist als Gastkünstler für ein paar Monate nach Schottland eingeladen, wo er sich einem neuen Projekt widmet. Mit Witz und Hintersinn skizziert er einen alternativen Verlauf der Geschichte; einen, bei dem die Industrialisierung im 19. Jahrhundert in den arabischen Ländern stattfand, das heutige Europa aber von Autokraten regiert wird und von Kriegen zerrüttet ist, deren Beilegung man sich von arabischen Befreiern erhofft. »What if«, heißt das Projekt: »Was wäre wenn«. Halbouni will dazu unter anderem einen Film drehen: mit Flüchtlingen, die in dem kleinen schottischen Dorf leben, das sein vorübergehendes Zuhause wird – und die man dort nicht als Bedrohung des Abendlandes sieht, sondern »new Scots« nennt: neue Schotten.
Als Sohn einer Dresdnerin kennt Halbouni das spezielle Verhältnis der Dresdner zum 13. Februar – einem Datum, dass »ich hasse, seit ich hier lebe, weil es nicht um Gedenken geht, sondern um Instrumentalisierung des Gedenkens«.