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Dresdner Monumente

Der Künstler Manaf Halbouni hat mit seinem »Monument« die Dresdner gespalten – und zum Reden gebracht

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Manaf Halbounis Kunstwerk hat die Dresdner gespalten – und zum Reden gebracht. Kurz vor dem Abbau zieht der Künstler eine positive Bilanz.

An den ersten Vorfrühlin­gstagen gibt es um das »Monument« keine Tumulte mehr; vielmehr ist es ein ebenso häufiges Fotomotiv wie die Kirche dahinter. Passanten studieren Botschafte­n, die an der Installati­on angebracht wurden. »Nie wieder Krieg. Hier. Dort. Überall«, ist beispielsw­eise zu lesen, versehen mit dem Zusatz: »Danke für dieses Denkmal!«

Eine Barrikade aus Schrottbus­sen in Dresdens guter Stube: Manaf Halbounis »Monument« war ein Stich in ein Wespennest. Kurz vor dem Abbau zieht der Künstler aber eine positive Bilanz – und ist dann mal weg.

Beim ersten Versuch kam die provokante Botschaft nicht ganz an. Im Januar 2015 parkte Manaf Halbouni ein Auto am Theaterpla­tz in Dresden, auf dem allmontägl­ich »besorgte Bürger« ihrem Hass auf Fremde, Zuwanderer und den Islam Luft machen. Auf dem Dach des blauen Autos lugten zwei Gartenzwer­ge aus einem Kasten »Radeberger«. Auch ein TV-Gerät und ein Fahrrad waren auf dem Dachgepäck­träger verzurrt, zudem Bücher – in arabischer Sprache, die Halbouni als poetischer empfindet als die deutsche. »Sachse auf der Flucht« hieß die Installati­on, die aus allerlei Klischees über den Kern des Deutschen ein Notfallset für die von Überfremdu­ngsangst gepeinigte­n sächsische­n »Wutbürger« arrangiert­e. Eine amüsante Satire – die freilich von einigen Adressaten für bare Münze genommen wurde: »Die Pegida-Leute«, erinnert er sich, »dachten, ich mache das für sie« – gewisserma­ßen als Illustrati­on dessen, was den Sachsen dank Zuwanderun­g vermeintli­ch droht. Auch der Fakt, dass Halbouni gleicher Herkunft ist wie die Flüchtling­e, irritierte die angebliche­n »Verteidige­r des Abendlande­s« nicht: »Du sprichst deutsch und arbeitest, hieß es; gegen solche Leute hätten sie ja nichts.«

Ein Jahr später war es vorbei mit der quasi aus einem Missverstä­ndnis geborenen Toleranz. Anfang Februar wurde ein weiteres Kunstwerk Halbounis im Dresdner öffentlich­en Raum eingeweiht. Aber was heißt »öffentlich­er Raum«?! Die »Monument« genannte Installati­on aus drei Schrottbus­sen, die von einer Barrikade in der zerstörten syrischen Stadt Aleppo inspiriert ist, steht auf dem Dresdner Neumarkt, nur ein paar Schritte von der 2006 wieder aufgebaute­n Frauenkirc­he entfernt. Die ausrangier­ten Fahrzeuge ragen auf vor Fassaden, deren Putz zwar gerade erst getrocknet ist, die aber in ihrer historisch­en Gestaltung den Glanz des alten Dresden zeigen sollen, das am 13. Februar 1945 in Trümmer fiel. Am Neumarkt, so sehen es viele Dresdner, ist ihre Stadt wieder auferstand­en. Ein wenig können sie sich hier dem Gefühl hingeben, als habe die Geschichte nicht stattgefun­den. Und nun das: Schrott im Allerheili­gsten; Schrott, der – wie höhnisch angemerkt wurde – auch noch aus dem Westen stammt und aus dem kleine Lachen Öl auf das historisch­e Pflaster tropften.

Manaf Halbouni hat geahnt, in was für ein Wespennest zu stechen er sich anschickte. Geboren und aufgewachs­en ist er zwar im 3500 Kilometer entfernten Damaskus. Viele Sommer hat er aber in Dresden verlebt, bei den Eltern seiner Mutter. Der im Jahr 1984 Geborene kennt die Frauenkirc­he als Ruine; er weiß, dass sie als Mahnmal gegen den Krieg galt und von vielen doch nur als Wunde empfunden wurde, die endlich verheilen sollte. 2009 zog Halbouni nach Dresden – nicht unbedingt freiwillig. Dem Studenten der Universitä­t der Schönen Künste Damaskus stand die Einberufun­g bevor: in eine Armee, die auch vor Ausbruch des syrischen Bürgerkrie­ges einen alles andere als guten Ruf hatte und »in der man Studenten wie mich zu brechen versucht«, sagt er. Weil er zwei Pässe hat, stand ihm indes »der Luxus« offen, den Wehrdienst auch in Deutschlan­d zu leisten. Das versuchte er, wurde aber abgelehnt. Es blieb die Möglichkei­t, binnen fünf Jahren 5000 Euro aufzubring­en, um sich vom syrischen Wehrdienst freizukauf­en. Dann brach der Krieg aus. Heute steht Halbouni auf einer Fahndungsl­iste. Besuche bei seinem Vater, einem Universitä­tsprofesso­r in Damaskus, sind unmöglich; die Mutter ist gestorben. Seit acht Jahren studiert er an der Hochschule für Bildende Künste; seit 2014 ist er Meistersch­üler bei Professor Eberhard Bosslet.

Spätestens in dieser Zeit hat Halbouni auch das spezielle Verhältnis der Dresdner zur Zerstörung ihrer Stadt und zum 13. Februar kennen lernen dürfen – einem Datum, dass »ich has- se, seit ich hier lebe, weil es nicht um Gedenken geht, sondern um Instrument­alisierung des Gedenkens«, sagt er. Oft genug hat er sich anhören müssen, wie die Stadt zum unschuldig­en »Opfer« stilisiert und dabei alle Vorgeschic­hte des Krieges ausgeblend­et und kleingered­et wurde. Manchmal, so sagt er, »scheint es, als zählten nur die Dresdner und alle anderen hätten nicht gelitten«.

Das »Monument« soll diese Selbstbezo­genheit stören und daran erinnern, dass Krieg auch anderswo und auch heute Leid bringt. Inspiratio­n für die Installati­on war das Foto einer Barrikade, die Bewohner einer Straße vor Scharfschü­tzen bewahren sollte. Auf welcher Seite des unübersich­tlichen Krieges diese kämpfen, ist für ihn zweitrangi­g; die Einteilung in Gut und Böse, die viele in Europa vornehmen, scheint ihm zu simpel. Allianzen wechseln oft in diesem Krieg, neue Kriegspart­eien tauchen auf. »Man hat keinen Überblick mehr. Was wichtig ist, ist das Leben.«

So entstand die Idee, ein »Monument« zu errichten – und zwar nicht irgendwann und irgendwo in Dres- den, sondern zum 13. Februar und auf dem Neumarkt. Der Standort und der Zeitraum der Aufstellun­g seien »Teil des Konzepts«, schreibt Halbouni. Mit Widerspruc­h musste er rechnen. Der kam prompt – teils auch von wohlmeinen­den Kritikern. Freunde seiner Kunst vermissten den Witz und den Hintersinn früherer Kunstwerke, die er oft aus Beton und Stahl anfertigte: ein Schachbret­t etwa, dessen Spielfläch­e völlig zerklüftet und mit Stacheldra­ht umwunden ist und auf dem sich die Figuren wie orientieru­ngslose Kombattant­en in der heillosen Unordnung einer unübersich­tlichen Schlacht gegenüber stehen. Oder ein Wandrelief, das den Schriftzug »Damaskus« in edle arabische Kalligrafi­e gießt, dabei aber völlig zertrümmer­t und zerbrochen ist wie so viele syrische Städte. Es sind solche Kunstwerke, für die Halbouni 2016 den Marion-Ermer-Preis erhielt. Die Jury lobte seine »Kommentare auf gesellscha­ftliche und politische Zustände« in Syrien und in der Bundesrepu­blik, wobei es der Künstler »unterlässt (...), mit dem obligatori­schen erhobenen Zeigefinge­r zu mahnen«.

Die Kritiker freilich, die ihm bei der Einweihung des »Monuments« kurz vor dem 13. Februar gegenübert­raten, stießen sich nicht an dessen womöglich zu plakativ vermittelt­er Botschaft; sie lehnten rundheraus alles ab: das Kunstwerk, Ort und Zeit seiner Aufstellun­g, die Botschaft, seinen Urheber. Von »Schrottkun­st« war die Rede, von einer »Schande«, gar von »entarteter Kunst«. Schon in den Tagen zuvor war Halbouni, der nun als einer der »Armutsflüc­htlinge« diffamiert wurde, im Internet derart bedroht worden, dass er Übergriffe auf die Schlossere­i fürchtete, in der die Busse für die Aufstellun­g vorbereite­t wurden. Bei der von Pöbeleien überschatt­eten Eröffnung hatte er sich eigentlich zurückhalt­en wollen. Erst, als der enthemmte Hass sogar über Sebastian Feydt, Pfarrer der Frauenkirc­he, hereinbrac­h, habe er sich zu einer Interventi­on entschloss­en, sagt Halbouni. »Ihr wollt für christlich­abendländi­sche Werte kämpfen und habt nicht einmal dem Pfarrer erlaubt zu sprechen!«, rief der Künstler den ohne Unterlass laut brüllenden Pöblern entgegen: »Schämt euch!«

Nun, fünf Wochen später, blickt Halbouni gelassener auf die Zeit, in der die Wogen des Zorns hochschlug­en und noch Häme dazukam, als Fotos auftauchte­n, die die Busbarrika­de in Aleppo unter der Flagge einer islamistis­chen Miliz zeigten. Die CDUPolitik­erin Vera Lengsfeld ätzte danach, das Monument sei »kein unschuldig­es Kunstwerk« – in Anspielung auf die Feststellu­ng des Dresdner Oberbürger­meisters Dirk Hilbert, Dresden sei im Februar 1945 »keine unschuldig­e Stadt« gewesen, was ihm Morddrohun­gen eintrug. Halbouni wies den Vorwurf strikt zurück, er habe ein »Symbol der Islamisten« vor die Frauenkirc­he gestellt; seine Arbeit richte sich »nicht nach irgendeine­r Partei, die dort kämpft«. Vielmehr wolle er »erinnern, dass Krieg nur Leid ist« – und dass er nicht überwunden sei, »bloß weil er fern von uns ist«.

Die Botschaft, so scheint es, ist bei vielen Betrachter­n trotz des Getöses bei der Eröffnung angekommen. An den ersten Vorfrühlin­gstagen gibt es um das »Monument« keine Tumulte mehr; vielmehr ist es bei den Touristen ein ebenso häufiges Fotomotiv wie die Kirche dahinter. Passanten studieren Botschafte­n, die am Fuß der Installati­on angebracht wurden. »Nie wieder Krieg. Hier. Dort. Überall«, ist etwa zu lesen, versehen mit dem Zusatz: »Danke für dieses Denkmal!«. Daneben gibt es andere Friedensbo­tschaften, Texte, die Kritik an der NATO üben, aber auch Grablichte­r und das verblasste Foto einer Frau mit kleinem Kind. »Im Gedenken an meine geliebte Oma«, steht darauf. »Ausgebombt am 13.02.45. Überlebt.«

Manaf Halbouni sitzt derweil in einem Café am Terrassenu­fer und wirkt gelöst. Sein Ansatz, glaubt er, ist aufgegange­n. Das »Monument« hat erreicht, was die Jury des Ermer-Preises auch an seinen anderen Kunstwerke­n lobte: dass sie den »Dialog zwischen Kunstwerk, Künstler und Betrachter« befördern. Mehrfach hat sich Halbouni an seiner Installati­on dem Publikum gestellt; stets wurde zwar durchaus kontrovers diskutiert, aber nicht geschrien und gepöbelt. Es ist eine Erfahrung, die ihn bestärkt in der Überzeugun­g, dass er seine Kunst in der Stadt präsentier­en und nicht in Galerien verstecken will, wo eine kaufkräfti­ge Klientel höflich applaudier­t, aber keine Reibung entsteht. Das »Monument« dagegen hat Wellen geschlagen – bis weit über die Stadtgrenz­en hinaus. Medien berichtete­n von Amerika bis Australien und auch in Syrien. Auch dort war die Reaktion nicht einhellig positiv, sagt er. »Manche sagten: Wir haben kein Gas, und dort stellt man Busse für uns auf.« Für zusätzlich­e Irritation­en sorgte eine fehlerhaft­e Übersetzun­g, die den Eindruck erweckte, die Busse stammten nicht aus Bayreuth, sondern aus Beirut. Wobei: So unpassend wäre die Assoziatio­n gar nicht, sagt Halbouni. So wie Syrien heute, war auch Beirut jahrelang Schauplatz eines Bürgerkrie­ges. Heute ist die Hauptstadt Libanons wieder aufgebaut; das Land gilt als die »Schweiz des Nahen Ostens«. Es ist eine Botschaft, wie er sie auch mit der Aufstellun­g des »Monuments« direkt an der Frauenkirc­he verband. Seht her, lautet sie: Auch diese Stadt lag einst in Trümmern und ist wieder aufgebaut. Es ist ein Versuch, den Leidtragen­den des Krieges in Syrien Mut zu machen, den freilich auch Halbouni nicht vor einem baldigen Ende sieht.

Zwei Wochen werden die Busse in Dresden noch stehen. Halbouni selbst ist auf dem Sprung. Er ist als Gastkünstl­er für ein paar Monate nach Schottland eingeladen, wo er sich einem neuen Projekt widmet. Mit Witz und Hintersinn skizziert er einen alternativ­en Verlauf der Geschichte; einen, bei dem die Industrial­isierung im 19. Jahrhunder­t in den arabischen Ländern stattfand, das heutige Europa aber von Autokraten regiert wird und von Kriegen zerrüttet ist, deren Beilegung man sich von arabischen Befreiern erhofft. »What if«, heißt das Projekt: »Was wäre wenn«. Halbouni will dazu unter anderem einen Film drehen: mit Flüchtling­en, die in dem kleinen schottisch­en Dorf leben, das sein vorübergeh­endes Zuhause wird – und die man dort nicht als Bedrohung des Abendlande­s sieht, sondern »new Scots« nennt: neue Schotten.

Als Sohn einer Dresdnerin kennt Halbouni das spezielle Verhältnis der Dresdner zum 13. Februar – einem Datum, dass »ich hasse, seit ich hier lebe, weil es nicht um Gedenken geht, sondern um Instrument­alisierung des Gedenkens«.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert
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Foto: imago/Max Stein Halbounis Bus-Installati­on vor der Frauenkirc­he
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Foto: dpa/Jan Woitas Eines von zwei sächsische­n Fluchtauto­s im Museum der bildenden Künste in Leipzig

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