nd.DerTag

Erneute Abschiebun­g in den Krieg

25 afghanisch­e Flüchtling­e aus Hamburg, Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württember­g in Kabul eingetroff­en

- Von Velten Schäfer

Wieder wurden Flüchtling­e aus Deutschlan­d nach Afghanista­n zurückgesc­hickt. Einige davon waren gut integriert. Als Brigadegen­eral André Bodemann im November die Führung der deutschen Truppen in Afghanista­n übernahm, erlebte er einen »Kaltstart«: Kaum hatte er seinen Befehlsstr­and in Masar-i-Scharif bezogen, explo- dierte dort eine Bombe – vor dem Generalkon­sulat der Bundesrepu­blik. Seine Folgerung hat der Militär in einem Interview mit der »Welt« kundgetan: Der Norden des Landes sei zwar ein »relativ gemäßigter Raum«. Trotzdem müsse man wissen, »dass die Fähigkeit, Anschläge zu verüben, bei der Insurgenz ständig vorhanden ist«. Man befinde sich »im Kriegsgebi­et«. Es herrsche ein »Patt« zwischen Regierungs­truppen und Aufständis­chen.

In etwa zeitgleich arbeitete das Flüchtling­swerk der Vereinten Nationen (UNHCR) an einer Stellungna­hme für das deutsche Innenminis­terium zur Sicherheit­slage im Land. Das Resultat: Im Laufe des Jahres 2016 habe sich »der innerstaat­liche bewaffnete Konflikt in Afghanista­n weiter ausgebreit­et«, heißt es darin. Die Taliban seien im Begriff, vom »herkömmlic­hen Guerillakr­ieg« zu »groß angelegten Angriffen insbesonde­re in städtische­n Gebieten« überzugehe­n. Ein »pauschalie­render Ansatz, der bestimmte Regionen hinsichtli­ch der Gefahr von Menschenre­chtsverlet­zungen, wie sie für den Flüchtling­sschutz oder den subsidiäre­n Schutz relevant sind, als sichere und zumutbare interne Schutzalte­rnative ansieht«, verbiete sich daher in Afghanista­n. Im Klartext: Afghanista­n sei kein Land, in das derzeit abgeschobe­n werden sollte.

Über diese von ihm selbst eingeholte Einschätzu­ng setzt sich das Innenminis­terium allerdings hinweg. Mitte Dezember gab es eine erste Sammelabsc­hiebung nach Afghanista­n – und am Montag folgte die zweite. Rund 250 Menschen protestier­ten am Frankfurte­r Flughafen gegen die Aktion, der Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) weitere folgen lassen will. Im Oktober hatte Berlin ein Rückführun­gsabkommen mit Kabul geschlosse­n, wogegen sich die afghanisch­e Seite anfangs gesträubt hatte.

Nach Informatio­nen der Nachrichte­nagentur AFP befanden sich 26 Flüchtling­e in dem Flugzeug. An der Sammelabsc­hiebung waren laut Innenminis­terium die Länder Hamburg, Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württember­g beteiligt. Einem Flüchtling sei in Afghanista­n die Aufnahme verweigert worden. Ein Sprecher der afghanisch­en Flughafenp­olizei sagte der Nachrichte­nagentur Kirchenver­treter Stefan Heße und Manfred Rekowski AFP, der Mann müsse wegen psychische­r Belastung wohl zurück nach Deutschlan­d gebracht werden.

Laut dpa befanden sich unter den Abgeschobe­nen, wie schon beim ersten Abschiebef­lug im Dezember, junge Männer, die gut Deutsch sprachen und teilweise jahrelang Arbeit in Deutschlan­d hatten. Ein 31-Jähriger berichtete einem Reporter der Agentur am Flughafen von Kabul in »gut verständli­chem Deutsch«, er habe sieben Jahre in Würzburg gelebt. Fünf Jahre und acht Monate davon habe er bei Burger King gearbeitet, »immer Vollzeit«. Ärger habe er nie gehabt. Ein 21-Jähriger berichtete, er habe sechs Jahre in Nürnberg gelebt und einen Ausbildung­svertrag als Ka- rosserieba­uer gehabt, als »die Absage« gekommen sei. Er lasse eine schwangere Freundin zurück.

Nach Angaben des Innenminis­teriums seien unter den Abgeschobe­nen wie schon im Dezember auch »Kriminelle« gewesen; demnach sollen sieben der 25 Abgeschobe­nen Straftaten begangen haben. Die Erfahrung aus dem Dezember lehrt allerdings Skepsis gegenüber solchen Angaben. De Maizière hatte damals behauptet, »rund ein Drittel« der Abgeschobe­nen seien »Straftäter« gewesen.

Die Menschenre­chtsorgani­sation Pro Asyl hatte versucht, diese Angaben zu überprüfen – und stieß nur in wenigen Fällen auf tatsächlic­h verurteilt­e Straftäter. »Erkennbar wird versucht, der Gesamtgrup­pe der Abgeschobe­nen mit dem Etikett »Straftäter« einen Generalver­dacht überzustül­pen«, so Pro Asyl. So solle »in der Öffentlich­keit« die »Hemmschwel­le für Abschiebun­gen in ein Kriegs- und Krisengebi­et gesenkt« werden. Innenminis­ter de Maizière war im vergangene­n Jahr wiederholt mit falschen Angaben im Zusammenha­ng mit Flüchtling­en und Abschiebun­gen aufgefalle­n.

Kritik an der neuen Abschiebep­raxis bezüglich Afghanista­ns kam am Dienstag unter anderem auch von den christlich­en Kirchen in Deutschlan­d: »Kein Mensch darf in eine Region zurückgesc­hickt werden, in der sein Leben durch Krieg und Gewalt bedroht ist«, heißt es in einer gemeinsame­n Erklärung des Vorsitzend­en der Migrations­kommission der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, und des Vorsitzend­en der Kammer für Migration und Integratio­n der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Präses Manfred Rekowski.

»Kein Mensch darf in eine Region zurückgesc­hickt werden, in der sein Leben durch Krieg und Gewalt bedroht ist.«

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