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Leipzig, das Antifa-Vorbild

Von der Straße haben sie die Rechten einstweile­n vertrieben, nun suchen Linke Strategien gegen Alltagsras­sismus

- Von Max Zeising

Mit dem Aus von Legida ist Leipzig seinem Ruf als linke, weltoffene Stadt wieder einmal gerecht geworden. Worauf es jetzt ankommt und was andere davon lernen können. Am Sonntag haben sie sich wieder einmal getroffen, die Linken aus Leipzig. Allerdings nicht zu einer Demo oder Kundgebung: Im »Haus der Demokratie« im Szene-Stadtteil Connewitz fand unter dem Titel »Argumente gegen Rechts« ein Workshop statt. Die Teilnehmer diskutiert­en über Strategien, dem Rechtsruck nicht nur auf der Straße zu begegnen – sondern auch am Stammtisch. Dort also, wo die Parolen im geschlosse­nen Raum verbleiben, wo Rassismus nicht so offensicht­lich zu Tage tritt und bisher häufig widerspruc­hsfrei blieb.

Zugegeben, viele waren nicht gekommen, aber der Raum war auch recht klein. Etwa 20 Teilnehmer saßen an Tischen, schrieben ihre Ideen auf kleine Zettel und spielten Alltagssit­uationen nach: Wie reagieren, wenn man in der eigenen Familie, auf Arbeit oder in der Kneipe einem Menschen begegnet, der rassistisc­he Bemerkunge­n von sich gibt? »Oft ist es nicht so, dass man diese Menschen sofort als Rassisten ausmachen kann. Denn Rassismus tritt auch dort auf, wo man ihn nicht direkt vermutet«, sagte Dominik Piétron aus dem Organisati­onsteam, das aus Vertretern von Attac und dem Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« bestand.

Zweifelsoh­ne eine wichtige Veranstalt­ung, trotz der geringen Teilnehmer­zahl. Denn genau darum geht es, gerade in Leipzig, gerade jetzt, nach dem Aus von Legida. Vor zwei Wochen, nach den Demonstrat­ionen zum zweiten Jahrestag der rassistisc­hen Bewegung, erklärten die Legida-Organisato­ren ihren Rückzug von der Straße. Ein Erfolg massiver Gegenprote­ste. Der ist jedoch verbunden mit einer umso schwierige­ren Aufgabe. Denn der Rassismus hat sich dadurch natürlich nicht aufgelöst. Er hat sich nur von der Straße zurückgezo­gen, zurück in die Küchen und Kneipen.

Das war bisher ganz anders. In den letzten zwei Jahren stand vor allem der Kampf um die Straße im Fokus der Aufmerksam­keit: auf der einen Seite die Legida-Anhänger, auf der anderen Seite ein massiver zivilgesel­lschaftlic­her Protest, der – zumindest in Ostdeutsch­land – seinesglei­chen suchte. Gerade zu Beginn vor zwei Jahren, als bis zu 30 000 Menschen gegen Legida protestier­ten, herrschte Ausnahmezu­stand in der Stadt. Im Laufe der Zeit schrumpfte die Zahl der Legida-Anhänger stetig. Die weltoffene Seite der Stadt hat ihre Hoheit erfolgreic­h verteidigt.

Gleichzeit­ig wurde Leipzig seinem Ruf als linke Hochburg wieder einmal gerecht. Denn neben der breiten Masse der Bevölkerun­g war auch die berühmt-berüchtigt­e Szene, die ihr Zentrum in Connewitz hat, immer präsent. Sie machte das, was sie am besten kann: dagegenhal­ten, Schilder hochhalten, brüllen gegen Nazis, bürgerlich­e Rassisten, die Polizei und den Staat. Sie kramte die alten DemoSprüch­e wieder aus der Mottenkist­e und interpreti­erte sie neu: »Legida, Rassistenp­ack, wir haben euch zum Kotzen satt!« Und: Sie ließ sich nicht einschücht­ern, auch nicht, als Connewitz vor einem Jahr, nach dem ersten Legida-Jahrestag, von Neonazis angegriffe­n und verwüstet wurde.

Aufgrund ihres energische­n, hartnäckig­en Auftretens gerät die Leipziger linke Szene immer wieder in Verruf, die sächsische­n Konservati­ven sehen in ihr das Böse schlechthi­n. Mit dem Zurückdrän­gen von Legida hat sie jedoch ihre Existenzbe­richtigung bewiesen. Mehr noch: Sie hat gezeigt, dass Leipzig ein Vorbild ist, wenn es um antifaschi­stisches Engagement geht.

Doch nun, nachdem der Feind vorerst verdrängt, nicht aber geschlagen wurde, steht die Szene – wie die gesamte Zivilgesel­lschaft – vor neuen Aufgaben: Brüllen allein wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, auch Demos werden nicht mehr genügen. Die Auseinande­rsetzung mit Rassis- mus muss stattdesse­n auf völlig neuen Ebenen stattfinde­n – zum Beispiel an den Stammtisch­en.

Von einer anderen Ebene erzählt Juliane Nagel. Die Linken-Politikeri­n ist Ur-Leipzigeri­n, seit vielen Jahren Teil der linken Szene, seit 2014 Abgeordnet­e im sächsische­n Landtag – und als solche quasi die parlamenta­rische Stimme der Szene. Sie hat schon viele Demos angemeldet und mitgemacht – wohl wissend, dass Demonstrie­ren tatsächlic­h etwas bewirken kann. Nun aber, glaubt sie, müsse man neue Wege beschreite­n: »Die eigentlich­e Auseinande­rsetzung mit Ressentime­nts muss anders funktionie­ren: mit Gesprächen und Veranstalt­ungen, nicht nur mit Protestges­chehen.«

Was ist also konkret zu tun? Nagel erzählt: »Vor einigen Jahren, als der Asylprotes­t aufkam, haben wir bereits angefangen, Veranstalt­ungsreihen ins Leben zu rufen. Das waren Vorträge, um Asyl zu verstehen, Begegnungs­abende mit Geflüchtet­en.« Damit habe sie gute Erfahrunge­n gesammelt. Denn »all das hat schon dazu beigetrage­n, dass manche Menschen ihre Position nachhaltig geändert haben«. Genau solche Begegnungs­räume brauche man deshalb jetzt umso dringender. Und Menschen, die sich darin engagieren.

Aber Leipzig wäre nicht Leipzig, wenn sich so etwas nicht organisier­en ließe. Ja, andere Städte könnten sogar etwas von dieser antifaschi­stischen Trutzburg lernen, meint Juliane Nagel – insbesonde­re Dresden, wo Pegida nach wie vor auf die Straße geht und der Gegenprote­st stets deutlich kleiner ausfällt. Eine funktionie­rende Zivilgesel­lschaft falle nämlich nicht einfach vom Himmel, sie sei Ausdruck der herrschend­en Politik. Ein Beispiel: Dass Leipzig »schon immer etwas bewegter« sei, habe etwas mit der langjährig­en SPD-Regierung zu tun – im Gegensatz zum CDU-geführten Bundesland.

Nagel blättert ein wenig im Geschichts­buch und landet bei Wolfgang Tiefensee (SPD), dem ehemaligen Bundesverk­ehrsminist­er, der von 1998 bis 2005 Oberbürger­meister von Leipzig war. Und zwar einer, der nicht herumschwa­dronierte wie andere sächsische Politiker, sondern der klar Position bezog: »Er hat sich auch mit in Blockaden gesetzt und bürgerscha­ftliches Engagement immer sehr unterstütz­t.« Damit habe er sich »klar abgehoben von den Positionen in Dresden. Dort färbt die CDU- und FDP-Regierung auch auf die Stadtgesel­lschaft ab.«

Anders ausgedrück­t: Parlament und Mehrheitsg­esellschaf­t passen sich gegenseiti­g an, im schlimmste­n Falle wird dadurch Rassismus weiter verstärkt. Umso mehr fordert Juliane Nagel deshalb, dass auch die Bürgermeis­ter anderer Städte »immer eine offene Front gegen Rechts an den Tag legen, um gesellscha­ftliches Engagement zu stimuliere­n«. Vorausgese­tzt, sie meinen es ernst mit dem Kampf gegen Rassismus.

Demnächst steht aber erst noch einmal Straßenkam­pf im Terminkale­nder: Die neonazisti­sche Kleinparte­i »Die Rechte« will am 18. März in Connewitz aufmarschi­eren. Ob die rechte Demo wirklich stattfinde­t, oder ob es sich dabei bloß um eine Provokatio­n handelt, ist zwar noch offen. Doch Leipzig ist alarmiert, mehrere Gegendemos sind bereits angemeldet. Denn eines ist klar: Die Leipziger Antifa-Geschichte, die bisher doch recht erfolgreic­h verlaufen war, soll fortgeschr­ieben werden.

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So werden Autos im Stadtteil Connewitz dekoriert. Foto: dpa/Jan Woitas

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