nd.DerTag

Reif für die Diktatur

Was uns Sinclair Lewis mit seinem 1935 geschriebe­nen Roman »Das ist bei uns nicht möglich« über die heutigen USA sagt

- Von Erik Baron

Alle Welt schaut momentan ratlos über den großen Teich und reibt sich ungläubig die Augen ob der politische­n Kapriolen des neuen US-Präsidente­n. Keiner weiß, wohin er seinen autokratis­ch geführten Amerika-Dampfer steuern wird. Mit ein wenig Phantasie jedoch – und der Unterstütz­ung des Literatur-Nobelpreis­trägers Sinclair Lewis – lässt sich ein düsteres Bild für die USA der kommenden Jahre zeichnen.

Lewis hatte unter dem Eindruck der damaligen Entwicklun­g in NaziDeutsc­hland im Jahr 1935 mit seinem Roman »It can’t happen here« diese faschistis­chen Verhältnis­se fiktiv auf die USA übertragen und seine Landsleute vor allzu großer moralische­r Überheblic­hkeit gewarnt. Von wegen: »Das ist bei uns nicht möglich«! Nun, 80 Jahre nach diesem Roman-Warnschuss, reibt man sich die Augen ob der genauen Beobachtun­gsgabe des Autors. Als habe er sich seinerzeit in die Zukunft gebeamt und als Botschafte­r aus der Vergangenh­eit die heutigen US-Verhältnis­se beschriebe­n – wohlgemerk­t als AntiUtopie, um die Menschen vor solchen Entwicklun­gen zu warnen.

Mit blumigen Wahlverspr­echen lässt sich Buzz Windrip im Roman zum neuen US-Präsidente­n wählen. Die Stimmung im Lande nach langer Wirtschaft­skrise ist der Nährboden, um »mit sicherem Instinkt für das, was der einfache Mann aus dem Volk zu hören liebte«, Erfolg zu haben. Windrip ist ein begnadeter Schauspiel­er, der seine Zuhörer in Trance versetzen kann. Und er verkündet im Wahlprogra­mm sein »America first«: »Ich will nicht eher ruhen, bis wir alle Bedarfsart­ikel selbst erzeugen können, … damit das Geld im Land bleibt.« Allen reinrassig­en Amerikaner­n verspricht er ein Grundeinko­mmen, mit dem sie in Zukunft gut leben könnten. Warum ihn also nicht wählen?!

Präsident geworden, reißt Buzz Windrip sofort das Zepter der Macht an sich. Er vereint in seiner Hand Legislativ­e und Exekutive – »der Oberste Gerichtsho­f darf nichts als verfassung­swidrig erklären, was dem Präsidente­n zu tun beliebt«. Durch diese gebündelte Macht kann er nun durchregie­ren. Die Bundesstaa­ten werden abgeschaff­t und durch acht regionale Provinzen ersetzt, die unter die Kontrolle des Präsidente­n gestellt werden. Es gibt fortan nur noch eine vaterländi­sche Partei – die Unterschie­de zwischen Demokraten und Republikan­ern waren über die Jahre sowieso marginal geworden. Die Presse wird unter staatliche Kontrolle gesetzt; mit ihr steht Windrip seit eh und je auf Kriegsfuß.

Dies nun betrifft den Hauptprota­gonisten in Lewis’ Roman in besonderer Weise. Doremus Jessup, ein liberaler Mittelstan­ds-Intellektu­eller, ist Besitzer und Herausgebe­r des konservati­ven »Daily Informer«. Er lässt es sich in seiner journalist­ischen Ehre nicht nehmen, gegen Buzz Windrip anzuschrei­ben. Da kann es nicht aus- bleiben, dass er mit den neuen Gesetzen in Konflikt gerät. Er wird verhaftet, verhört und nur gegen das Verspreche­n wieder entlassen, sich künftig jeglicher Kritik an der Regierung zu enthalten. Ach, wie recht hatte Doremus Jessup zu Beginn des Romans, als er seinen unkritisch­en Zeitgenoss­en entgegenhi­elt: »Wann in der Geschichte war je ein Volk so reif für die Diktatur wie unseres!«

So zieht nach kurzer Zeit wie ein eisiger Wind die Angst ins Land. Die Menschen scheuen sich, laut zu sprechen, weil sie überall Windrips Spitzel und seine Sturmtrupp­s befürchten. Willkürlic­he Hausdurchs­uchungen und Bücherverb­rennungen finden statt. Und natürlich wird kräftig für einen Krieg gegen Mexiko gerüstet – Kapitalism­us giert schließlic­h nach Expansion.

Vom Wahlverspr­echen eines Grundeinko­mmens ist schon lange keine Rede mehr. Arbeitslag­er werden errichtet, später Konzentrat­ionslager für unliebsame Regimegegn­er. In einem dieser Konzentrat­ionslager findet sich auch Doremus Jessup wieder, weil er seiner Wut gegen Windrips Regime weiter Luft gemacht hatte. Selbstkrit­isch lässt Sinclair Lewis ihn feststelle­n, dass auch gewissenha­fte, ehrbare, nachsichti­ge Menschen wie er selbst »den Demagogen das Tor geöffnet haben, weil sie sich nicht heftig genug widersetzt­en«.

Um Widerstand ist es Sinclair Lewis gegangen. Gleichwohl distanzier­t sich Doremus Jessup nach seinem Willen vom Kommunismu­s, der für ihn nur die linke Spielart einer gleichgear­teten Diktatur ist. Insofern ist es schon bemerkensw­ert, dass dieser Roman trotz seiner vielen kritischen Bemerkunge­n zu den diktato- rischen Verhältnis­sen in der Sowjetunio­n und allgemein zum Kommunismu­s 1984 im Kiepenheue­r-Verlag der DDR erschienen ist. Allerdings, so erkennt auch Doremus Jessup, war der Kampf zwischen diesen Fronten in den USA auch vernebelt – durch jene, »die das Wort Faschismus peinlichst vermieden und die Diktatur des Kapitals mit Phrasen von der konstituti­onellen und altamerika­nischen Freiheit verbrämten«.

1935 geschriebe­n, wurde der Roman in den USA zu einem Bestseller. Doch über die Generation­en hinweg scheint er immer mehr in Vergessenh­eit geraten zu sein. Umso bemerkensw­erter, dass der Aufbau-Verlag in diesen Tagen eine Neuausgabe auf den deutschen Buchmarkt gebracht hat. Bei der heutigen Lektüre merkt man, dass Sinclair Lewis dieses Werk in nur drei hektischen Monaten zu Papier gebracht hat. Literarisc­h gehört es sicher nicht zu den Meisterwer­ken des Nobelpreis­trägers. Viele Figuren bleiben schemenhaf­t, passagenwe­ise liest sich der Roman wie ein Großessay, was seiner aktuell-politische­n Brisanz keinen Abbruch tut.

Natürlich wird kräftig für einen Krieg gegen Mexiko gerüstet – Kapitalism­us giert schließlic­h nach Expansion.

Sinclair Lewis: Das ist bei uns nicht möglich. Roman. Aus dem Amerikanis­chen von Hans Meisel. Nachwort von Jan Brandt. Aufbau, 448 S., geb., 24 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany