nd.DerTag

Kuchen-Rhetorik

- Guido Speckmann über Theresa Mays Brexit-Erklärung

Kuchen, so lautet ein englisches Sprichwort, kann man entweder essen oder haben. Die britische Politik versucht sich derzeit am Beweis des Gegenteils: Brexit-Fan und Außenminis­ter Johnson formuliert­e das so: »Ich bin fürs Haben und Verzehren.« Seine Premiermin­isterin, die am Mittwoch den von ihr unterschri­ebenen Scheidungs­brief nach Brüssel schickte (wo er eintraf), hielt parallel im Unterhaus eine »Kuchen essen und behalten«-Rede. Nicht ihre erste. Nachdem sie lange mit der Plattitüde »Brexit heißt Brexit« auffiel, ist ihre Masche inzwischen, eine Entscheidu­ng, die sie nicht wollte und die große Nachteile für Großbritan­nien bringt, als Weg in eine lichte Zukunft zu verkaufen. »Die besten Tage liegen noch vor uns«, sagte May. Sie habe eine Vision und einen Plan für ein besseres, stärkeres, faireres Großbritan­nien. Trotz der gelegentli­ch sozialdemo­kratischen Rhetorik ist damit freilich nicht zu rechnen. Ihre Regierung droht damit, den Steuerwett­lauf nach unten anzuheizen. Von den versproche­nen Investitio­nsprogramm­en ist wenig in Sicht.

Aber nicht nur May frönt der »Kuchen essen und behalten«Rhetorik, die durch eine marktliber­ale Politik konterkari­ert wird. Ihr Scheidungs­partner, die EU, ebenso. Soziale und wirtschaft­liche Ungleichhe­iten sollen gemeinsam bewältigt werden, heißt es in der Erklärung von Rom vom Samstag. Aber nicht einmal die europäisch­e Schuldenkr­ise brachte eine Abkehr von der neoliberal­en Politik. Dass auch das mit EUVerdruss und Nationalis­mus zu tun haben könnte, wird in Brüssel nicht gesehen.

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