Trauminsel und Inselträume
Zypern: Noch kein Frühling und auch keine Vereinigungsstimmung, aber ziemlich glückliche Leute
Zypern könnte die Insel der Glückseligen sein, besonders jetzt im Frühling. Leider ist sie auch Spielball von Regional- und Weltpolitik. Vor allem deshalb ist Zypern weiter ein zerrissenes, geteiltes Land. Im christlich-orthodox geprägten, griechisch sprechenden Norden Zyperns herrscht momentan Fastenzeit, der wie üblich kurzzeitig eine wahre Fleisch- und Wurstvöllerei vorangegangen war. Ähnlich wird das dann im muslimisch geprägten, türkisch sprechenden Norden sein, wenn Ende Mai der Ramadan beginnt.
Hüben wie drüben hat das übrigens alles zyprisch-traditionell eine beschwingte, mehr volksbräuchliche als gläubige, vor allem keine fundamentalistische Note. Man feiert sich am Rand des Ritus entlang, mal noch innerhalb, mal schon ein bisschen draußen. »Familie und Freunde sind dabei wichtiger als Glauben«, versichert Hasan Karaman im Nordteil von Nikosia. Er gehe nur zwei, drei Mal im Jahr in die Moschee. Ansonsten steht Karaman nicht weit von ihr mit seinem Taxi an seinem Taxistand.
Wie gesagt, ein beneidenswertes Völkchen, die Zyprer. Dort, auf ihrem geradezu gesegnetem Eiland, etwa halb so groß wie Sachsen, aber viel genussvoller, ganz hinten, wo das östliche Mittelmeer, für westeuropäische Ohren bereits höchst orientalisch klingend, das Levantinische genannt wird. Doch auch die lieblichen Frühlingstage können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Insel seit 43 Jahren ein getrenntes Land ist: von einer Grenze geteilt, die von UN-Blauhelmen bewacht und offiziell Pufferzone genannt wird. Abgepuffert hat sie Trennendes in all den Jahren kaum. Allerdings ist auch fast kein Blut mehr geflossen. Nur pikante bis peinliche politische Zwischenfälle gab es immer wieder wie zuletzt Mitte Februar.
Da waren die Führer der Süd- und Nordzyprer, Nicos Anastasiades und Mustafa Akinci, zu Konsultationen zusammengekommen, weil in Kürze erneut eine hochkarätige Genfer Verhandlungsrunde zu Fragen der möglichen Wiedervereinigung beider Landesteile in Aussicht stand. Großbritannien, Griechenland und die Türkei sollen dabei sein, natürlich die UNO. In diesem ohnehin verminten politischen Vorfeld passierte nun dies: Akinci, der Führer der türkischen Volksgruppe, ließ die Gespräche mit seinem griechischen Nordkollegen platzen. Und zwar aus Protest gegen einen kürzlichen Beschlusses des (nord)zyprischen Parlaments. Der sieht vor, in allen (nord)zyprischen Schulen würdigend eines Referendums zu gedenken, mit dem sich 95 Prozent der griechischen Zyprer für einen Anschluss an Griechenland ausgesprochen hatten. Eingebracht worden war dieser Beschluss von der Nationalen Volksfront Zyperns, der kleinen Schwester von Chrysi Avgi, der neofaschistischen Partei Goldene Morgenröte, in Griechenland. Lediglich die linke Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes, Oppositionsführerin und seit jeher politisch höchst einflussreich in Zypern, hatte dagegen gestimmt.
Besagtes »Referendum«, um das es geht, hatte bereits im Jahr 1950 (!) stattgefunden. Damals war ganz Zypern noch britische Kronkolonie, und die Abstimmung war eigentlich auch nur eine öffentliche Unterschriftenkampagne in den christlich-orthodoxen Kirchen. Doch man muss wissen, dass sie ein höchst demonstrativer Ausdruck von »Enosis« (Vereinigung) war. Dabei handelt es sich um die unglückselige griechisch-nationalistische Fantasterei mit dem politischen Ziel, dass überall, wo griechisch gesprochen wird, Griechenland sein solle. »Enosis« ist ein rotes Tuch für die türkische Seite.
Eine primär innerzyprische Angelegenheit waren diese Konflikte übrigens kaum, doch sie schwappten rüber von den selbst ernannten »Mutterländern« oder wurden von ihnen nach Zypern exportiert. Und auch heute strebt kaum ein zyprischer Türke danach, echter Türke zu sein, wie kaum ein zyprischer Grieche lieber Festlandsgrieche wäre.
Als Binali Yildirim, der Premier der Türkei, unlängst en passant ankündigte, dass auch »türkische Zyprer bald wie Türken in der Türkei« leben würden, erntete er in sozialen Medien Nordzyperns einen Sturm der Entrüstung. Und als die nordzyprische Polizei daraufhin begann, Aktivisten zu drangsalieren, sahen die diese »angekündigte Zeit als türkische Provinz« schon gekommen. Griechischen Zyprern wiederum ist Griechenland höchst suspekt. Seit neuerer Zeit vor allen wegen der Finanz- und Bankenkrise. Die hatte unter anderem die zyprische Laiki Bank in den Totalbankrott gerissen, der – übrigens ungedeckelt von der EU – ein Milliardengrab für die Guthaben Zehntausender griechisch-zyprischer Sparer und Anleger wurde.
Die in Zypern schon immer beheimateten Türken und Griechen wollen also keinesfalls von sich aus jeweilige Provinz eines Übersee-»Mutterlandes« werden. Wollen sie denn statt dessen unbedingt wieder zusammen in einem gemeinsamen Land leben, nämlich der Republik Zypern, die es ja seit 1960 gibt? Hier ein paar Antworten auf unsere Reporterumfrage Ende Februar:
Im griechischen Süden klang das so: »Es zerreißt mir das Herz, wenn ich gezwungen werde, mitten in meiner Heimat Zypern, an einer Grenze meinen Pass zeigen zu müssen«, bekennt Dimitrios Psiloenis, Glasbläser im Troodos-Bergdorf Omodos. Doch Herz sei die eine, der Verstand die andere Sache, fährt er fort. »Schon die Crux mit den offenen Eigentumsfragen könnte bei einer eventuellen Wiedervereinigung erneut eine Pandorabüchse öffnen.«
Christos E.*, Maschinenbaumeister, Limassol: »Ich baue seit 40 Jahren Destillationsapparate für Tresterschnaps. Die hatten immer in Zypern Konjunktur, im Norden wie im Süden. Das hielt und hält keine Grenze auf. Allerdings verbessert die auch nicht gerade die Konjunktur.«
Anna Trikomiti, Lehrerin in Larnaca, befürchtet, dass eine Wieder- vereinigung internationale Unruhe bringen könnte. »Zypern ist strategisch einerseits für die NATO wohl unverzichtbar. Andererseits spürt man an ihrer rasant wachsenden Zahl, dass es auch den Russen bei uns in Nord wie in Süd gefällt. Auf der Insel erscheinen inzwischen schon fünf russische Zeitungen, also mehr als englische.«
Ganz ähnlich klingt es in Nordzypern. »Das bunt gemischte Land von vor 1974 wird es wohl nie wieder geben«, mutmaßt Huseyin Karaman, Behördenangestellter in Famagusta. »Griechen und Türken sind in Zypern nun seit Jahrzehnten separiert. Inzwischen hat sich das beruhigt. So könnte es bleiben. Uns geht es besser als in vielen anderen Teilen der Welt.«
Auf einen anderen Aspekt weist Basaran S.* hin, Dozent an der Cyprus International University im Nordteil von Nikosia: »Echt anachronistisch ist nicht die Teilung Zyperns, sondern dass den Briten in Zypern immer noch diese beiden riesigen exterritorialen Stützpunkte gehören. Die Briten hatten in den 60er Jahren die Zyprer aufeinandergehetzt und 1974 die Teilung in Kauf genommen. Was ist mit Besatzungskosten und Reparation?«
Und Ayse G.*, die an der Tourismusauskunft im Hafen von Kyrenia arbeitet, sagt: »Vielleicht ginge es uns in einem geeinten Zypern ja tatsächlich allen besser, schon wegen Möglichkeiten, die die EU dann allen Zyprern bietet. Ich könnte mir zumindest eine Föderation gut vorstellen. Doch was wird, wenn dann irgendwann wieder Fundamentalisten Oberwasser bekommen?«
Soweit also ein Stimmungsbild. Zur Ergänzung vielleicht noch eine Momentaufnahme anderer Art. Jüngst suchte die UN-Friedensschutztruppe per Anzeige in zyprischen Medien Co-Investor und Betreiber für eine neu einzurichtende Snack-Bar mit Barbecue-Teil auf ihrem UN-Schutzgelände in Nikosia. Die Anzeige lief lediglich zwei Wochen, Stichtag war Ende Februar, eingegangen seien immerhin fast 300 Bewerbungen, hieß es. Zumindest deren Absender gehen auch nicht davon aus, dass die UN-Blauhelme und mit ihnen die Grenze in Kürze verschwinden werden.
Man ist also um einiges entfernt von einer Euphorie wie etwa »Wir sind das Volk – wir sind ein Volk!«. Dafür fehlt der Druck von außen wie von innen. Und da passen auch Fettnäpfe gut ins Bild wie der jüngste Nord-Süd-Eklat um ein »Plebiszit« von vor 67 Jahren. Den kommentierte der immer launige Kolumnist von »The Cyprus Weekly« übrigens so: »Man konnte geradezu darauf warten: Die Zyprer haben es wieder mal vergeigt. Sie sind einfach nicht reif für Frieden. Wieder mal hat sich gezeigt, dass das alte Zypernproblem mehr alternative Wahrheiten birgt als heutzutage eine Donald-TrumpTwitterkampagne.«
»Echt anachronistisch ist nicht die Teilung Zyperns, sondern dass den Briten in Zypern immer noch diese beiden riesigen exterritorialen Stützpunkte gehören.« Basaran S.*, Dozent an der Cyprus International University im Nordteil von Nikosia