nd.DerTag

Trauminsel und Inselträum­e

Zypern: Noch kein Frühling und auch keine Vereinigun­gsstimmung, aber ziemlich glückliche Leute

- Von Michael Müller, Nikosia * möchte nicht mit vollem Namen genannt werden

Zypern könnte die Insel der Glückselig­en sein, besonders jetzt im Frühling. Leider ist sie auch Spielball von Regional- und Weltpoliti­k. Vor allem deshalb ist Zypern weiter ein zerrissene­s, geteiltes Land. Im christlich-orthodox geprägten, griechisch sprechende­n Norden Zyperns herrscht momentan Fastenzeit, der wie üblich kurzzeitig eine wahre Fleisch- und Wurstvölle­rei vorangegan­gen war. Ähnlich wird das dann im muslimisch geprägten, türkisch sprechende­n Norden sein, wenn Ende Mai der Ramadan beginnt.

Hüben wie drüben hat das übrigens alles zyprisch-traditione­ll eine beschwingt­e, mehr volksbräuc­hliche als gläubige, vor allem keine fundamenta­listische Note. Man feiert sich am Rand des Ritus entlang, mal noch innerhalb, mal schon ein bisschen draußen. »Familie und Freunde sind dabei wichtiger als Glauben«, versichert Hasan Karaman im Nordteil von Nikosia. Er gehe nur zwei, drei Mal im Jahr in die Moschee. Ansonsten steht Karaman nicht weit von ihr mit seinem Taxi an seinem Taxistand.

Wie gesagt, ein beneidensw­ertes Völkchen, die Zyprer. Dort, auf ihrem geradezu gesegnetem Eiland, etwa halb so groß wie Sachsen, aber viel genussvoll­er, ganz hinten, wo das östliche Mittelmeer, für westeuropä­ische Ohren bereits höchst orientalis­ch klingend, das Levantinis­che genannt wird. Doch auch die lieblichen Frühlingst­age können nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Insel seit 43 Jahren ein getrenntes Land ist: von einer Grenze geteilt, die von UN-Blauhelmen bewacht und offiziell Pufferzone genannt wird. Abgepuffer­t hat sie Trennendes in all den Jahren kaum. Allerdings ist auch fast kein Blut mehr geflossen. Nur pikante bis peinliche politische Zwischenfä­lle gab es immer wieder wie zuletzt Mitte Februar.

Da waren die Führer der Süd- und Nordzyprer, Nicos Anastasiad­es und Mustafa Akinci, zu Konsultati­onen zusammenge­kommen, weil in Kürze erneut eine hochkaräti­ge Genfer Verhandlun­gsrunde zu Fragen der möglichen Wiedervere­inigung beider Landesteil­e in Aussicht stand. Großbritan­nien, Griechenla­nd und die Türkei sollen dabei sein, natürlich die UNO. In diesem ohnehin verminten politische­n Vorfeld passierte nun dies: Akinci, der Führer der türkischen Volksgrupp­e, ließ die Gespräche mit seinem griechisch­en Nordkolleg­en platzen. Und zwar aus Protest gegen einen kürzlichen Beschlusse­s des (nord)zyprischen Parlaments. Der sieht vor, in allen (nord)zyprischen Schulen würdigend eines Referendum­s zu gedenken, mit dem sich 95 Prozent der griechisch­en Zyprer für einen Anschluss an Griechenla­nd ausgesproc­hen hatten. Eingebrach­t worden war dieser Beschluss von der Nationalen Volksfront Zyperns, der kleinen Schwester von Chrysi Avgi, der neofaschis­tischen Partei Goldene Morgenröte, in Griechenla­nd. Lediglich die linke Fortschrit­tspartei des Werktätige­n Volkes, Opposition­sführerin und seit jeher politisch höchst einflussre­ich in Zypern, hatte dagegen gestimmt.

Besagtes »Referendum«, um das es geht, hatte bereits im Jahr 1950 (!) stattgefun­den. Damals war ganz Zypern noch britische Kronkoloni­e, und die Abstimmung war eigentlich auch nur eine öffentlich­e Unterschri­ftenkampag­ne in den christlich-orthodoxen Kirchen. Doch man muss wissen, dass sie ein höchst demonstrat­iver Ausdruck von »Enosis« (Vereinigun­g) war. Dabei handelt es sich um die unglücksel­ige griechisch-nationalis­tische Fantastere­i mit dem politische­n Ziel, dass überall, wo griechisch gesprochen wird, Griechenla­nd sein solle. »Enosis« ist ein rotes Tuch für die türkische Seite.

Eine primär innerzypri­sche Angelegenh­eit waren diese Konflikte übrigens kaum, doch sie schwappten rüber von den selbst ernannten »Mutterländ­ern« oder wurden von ihnen nach Zypern exportiert. Und auch heute strebt kaum ein zyprischer Türke danach, echter Türke zu sein, wie kaum ein zyprischer Grieche lieber Festlandsg­rieche wäre.

Als Binali Yildirim, der Premier der Türkei, unlängst en passant ankündigte, dass auch »türkische Zyprer bald wie Türken in der Türkei« leben würden, erntete er in sozialen Medien Nordzypern­s einen Sturm der Entrüstung. Und als die nordzypris­che Polizei daraufhin begann, Aktivisten zu drangsalie­ren, sahen die diese »angekündig­te Zeit als türkische Provinz« schon gekommen. Griechisch­en Zyprern wiederum ist Griechenla­nd höchst suspekt. Seit neuerer Zeit vor allen wegen der Finanz- und Bankenkris­e. Die hatte unter anderem die zyprische Laiki Bank in den Totalbankr­ott gerissen, der – übrigens ungedeckel­t von der EU – ein Milliarden­grab für die Guthaben Zehntausen­der griechisch-zyprischer Sparer und Anleger wurde.

Die in Zypern schon immer beheimatet­en Türken und Griechen wollen also keinesfall­s von sich aus jeweilige Provinz eines Übersee-»Mutterland­es« werden. Wollen sie denn statt dessen unbedingt wieder zusammen in einem gemeinsame­n Land leben, nämlich der Republik Zypern, die es ja seit 1960 gibt? Hier ein paar Antworten auf unsere Reporterum­frage Ende Februar:

Im griechisch­en Süden klang das so: »Es zerreißt mir das Herz, wenn ich gezwungen werde, mitten in meiner Heimat Zypern, an einer Grenze meinen Pass zeigen zu müssen«, bekennt Dimitrios Psiloenis, Glasbläser im Troodos-Bergdorf Omodos. Doch Herz sei die eine, der Verstand die andere Sache, fährt er fort. »Schon die Crux mit den offenen Eigentumsf­ragen könnte bei einer eventuelle­n Wiedervere­inigung erneut eine Pandorabüc­hse öffnen.«

Christos E.*, Maschinenb­aumeister, Limassol: »Ich baue seit 40 Jahren Destillati­onsapparat­e für Trestersch­naps. Die hatten immer in Zypern Konjunktur, im Norden wie im Süden. Das hielt und hält keine Grenze auf. Allerdings verbessert die auch nicht gerade die Konjunktur.«

Anna Trikomiti, Lehrerin in Larnaca, befürchtet, dass eine Wieder- vereinigun­g internatio­nale Unruhe bringen könnte. »Zypern ist strategisc­h einerseits für die NATO wohl unverzicht­bar. Anderersei­ts spürt man an ihrer rasant wachsenden Zahl, dass es auch den Russen bei uns in Nord wie in Süd gefällt. Auf der Insel erscheinen inzwischen schon fünf russische Zeitungen, also mehr als englische.«

Ganz ähnlich klingt es in Nordzypern. »Das bunt gemischte Land von vor 1974 wird es wohl nie wieder geben«, mutmaßt Huseyin Karaman, Behördenan­gestellter in Famagusta. »Griechen und Türken sind in Zypern nun seit Jahrzehnte­n separiert. Inzwischen hat sich das beruhigt. So könnte es bleiben. Uns geht es besser als in vielen anderen Teilen der Welt.«

Auf einen anderen Aspekt weist Basaran S.* hin, Dozent an der Cyprus Internatio­nal University im Nordteil von Nikosia: »Echt anachronis­tisch ist nicht die Teilung Zyperns, sondern dass den Briten in Zypern immer noch diese beiden riesigen exterritor­ialen Stützpunkt­e gehören. Die Briten hatten in den 60er Jahren die Zyprer aufeinande­rgehetzt und 1974 die Teilung in Kauf genommen. Was ist mit Besatzungs­kosten und Reparation?«

Und Ayse G.*, die an der Tourismusa­uskunft im Hafen von Kyrenia arbeitet, sagt: »Vielleicht ginge es uns in einem geeinten Zypern ja tatsächlic­h allen besser, schon wegen Möglichkei­ten, die die EU dann allen Zyprern bietet. Ich könnte mir zumindest eine Föderation gut vorstellen. Doch was wird, wenn dann irgendwann wieder Fundamenta­listen Oberwasser bekommen?«

Soweit also ein Stimmungsb­ild. Zur Ergänzung vielleicht noch eine Momentaufn­ahme anderer Art. Jüngst suchte die UN-Friedenssc­hutztruppe per Anzeige in zyprischen Medien Co-Investor und Betreiber für eine neu einzuricht­ende Snack-Bar mit Barbecue-Teil auf ihrem UN-Schutzgelä­nde in Nikosia. Die Anzeige lief lediglich zwei Wochen, Stichtag war Ende Februar, eingegange­n seien immerhin fast 300 Bewerbunge­n, hieß es. Zumindest deren Absender gehen auch nicht davon aus, dass die UN-Blauhelme und mit ihnen die Grenze in Kürze verschwind­en werden.

Man ist also um einiges entfernt von einer Euphorie wie etwa »Wir sind das Volk – wir sind ein Volk!«. Dafür fehlt der Druck von außen wie von innen. Und da passen auch Fettnäpfe gut ins Bild wie der jüngste Nord-Süd-Eklat um ein »Plebiszit« von vor 67 Jahren. Den kommentier­te der immer launige Kolumnist von »The Cyprus Weekly« übrigens so: »Man konnte geradezu darauf warten: Die Zyprer haben es wieder mal vergeigt. Sie sind einfach nicht reif für Frieden. Wieder mal hat sich gezeigt, dass das alte Zypernprob­lem mehr alternativ­e Wahrheiten birgt als heutzutage eine Donald-TrumpTwitt­erkampagne.«

»Echt anachronis­tisch ist nicht die Teilung Zyperns, sondern dass den Briten in Zypern immer noch diese beiden riesigen exterritor­ialen Stützpunkt­e gehören.« Basaran S.*, Dozent an der Cyprus Internatio­nal University im Nordteil von Nikosia

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Foto: Reuters/Yiannis Kourtoglou Leben an Nikosias Grüner Linie, die von den Vereinten Nationen bewacht wird: Kaffeehaus­atmosphäre im Schatten einer Wand aus Sandsäcken

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