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Was die Behörden im Fall Amri verunsiche­rt hat

Vertreter des Innenminis­teriums sagt im NRW-Untersuchu­ngsausschu­ss aus

- Von Sebastian Weiermann Mit Agenturen

Im Fall des Attentäter­s vom Breitschei­dplatz Anis Amri offenbaren sich schwerwieg­ende Fehler auf mehreren Ebenen. Der Bund und das Land NRW weisen sich gegenseiti­g die Schuld zu.

Es ist Amri-Woche im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Am Montag stellte die Landesregi­erung ihren »unabhängig­en Bericht« zum Agieren der Behörden im Land vor. Am Dienstag sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière vor dem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss aus. Für Mittwoch war die Aussage von NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger geplant.

Bislang steht fest: Auf Bundesund Landeseben­e lagen offenbar stark unterschie­dliche rechtliche Bewertunge­n vor, wie mit Anis Amri umzugehen sei. Der CDU-Politiker Thomas de Maizière erklärte am Dienstag, man hätte Amri in Haft nehmen können. Im Oktober habe Tunesien, zumindest die Interpol-Außenstell­e in dem Land, die Identität Amris bestätigt. Daraufhin wäre eine Abschiebeh­aft für drei oder sechs Monate möglich gewesen.

Doch Amri kam nicht in Abschiebeh­aft. Burkhard Schnieder, der im NRW-Innenminis­terium die Abteilung für Ausländera­ngelegenhe­iten leitet, erklärte im Ausschuss, dies habe man nicht machen können, da die Ausstellun­g von Ersatzpapi­eren nicht in Aussicht gestanden habe und die Abschiebe- haft kein Repression­sinstrumen­t sei. Auch über eine Abschiebun­g nach Paragraf 58a, die nur bei Gefährdern möglich ist, wurde im Innenminis­terium von NRW nachgedach­t. Umgesetzt wurde sie allerdings nicht. Dies wurde brisanterw­eise ohne das Hinzuziehe­n von Juristen entschiede­n.

Burkhard Schnieder ließ in seiner Aussage durchblick­en, dass sich die NRW-Behörden damit auf Neuland begeben hätten, davor schreckten sie offenbar zurück. Warum man in dieser Entscheidu­ng so unsicher war, offenbarte sich ebenfalls in Schnieders Aussage. Mehrfach zog er die Bewertung des Landeskrim­inalamtes, das Amri als sehr gefährlich eingestuft hatte, in Zweifel. Für die Kooperatio­n innerhalb des Innenminis­teriums werfen diese unterschie­dlichen Bewertunge­n Fragen auf.

Am Mittwoch wurde im Landtag auch der Chef des nordrhein-westfälisc­hen Verfassung­sschutzes, Burkhard Freier, befragt. Freier betonte, dass seine Behörde im Fall Amri quasi keine eigenen Informatio­nen hatte. Man habe, ausnahmswe­ise, deutlich weniger Informatio­nen als das Landeskrim­inalamt gehabt. Passend dazu sagte Freier eher Allgemeine­s zur Arbeit des Verfassung­sschutzes und zu Entwicklun­gen im Bereich Islamismus. Wegen der hohen Anzahl an Gefährdern müssten die Sicherheit­sbehörden eine genauere Einstufung durchführe­n, welche Gefahr von einzelnen Personen ausgehe. Diese müssten dann besser überwacht werden. Der Fall Amri sei allerdings, so Freier, ein Beispiel dafür, dass mehr Kompetenze­n im Sicherheit­sbereich an Bundesbehö­rden gegeben werden sollten. Für den Leiter eines Landesamte­s eine erstaunlic­he Aussage.

Schwächen festgestel­lt hat auch eine Ermittlerg­ruppe des Bundestage­s. Im Gemeinsame­n Terrorabwe­hrzentrum (GTAZ), in dem alle Sicherheit­sbehörden von Bund und Ländern zusammenko­mmen, sei das Verfahren zur Bewertung von islamistis­chen Gefährdern unzureiche­nd. Ein Bericht der Ermittler, der am Mittwoch dem geheim tagenden Parlamenta­rischen Kontrollgr­emium (PKGr) des Bundestage­s vorgelegt wurde, kommt zu folgendem Schluss: Das GTAZ befasse sich nicht umfassend genug mit der persönlich­en Gefährlich­keit einzelner Islamisten. Ein öffentlich zugänglich­er Bericht des PKGr soll in den nächsten Wochen erarbeitet werden.

Während der Untersuchu­ngsausschu­ss in NRW seine Arbeit am Freitag beendet, da in der kommenden Woche die letzten Sitzungen des Landtags stattfinde­n, gibt es in Berlin Streit um die Aufklärung des Falles Amri. FDP und AfD hatten einen Antrag auf die Einsetzung eines Ausschusse­s gestellt. Ohne die Stimmen einer weiteren Fraktion ist dies aber nicht möglich. Doch die rot-rot-grüne Regierungs­koalition in der Hauptstadt scheint kein Interesse an der Einsetzung eines Untersuchu­ngsausschu­sses zu haben.

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