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Heißhunger auf Humus

Der Verzehr von lehmhaltig­er Erde kann Vergiftung­en abwenden, aber auch zur Sucht werden

- Von Karoline Kallweit

In Afrika ist das Essen von Erde weit verbreitet. Ihre Inhaltssto­ffe könnten Vergiftung­en vorbeugen und für ausreichen­d Mineralien und Spurenelem­ente sorgen.

Käse mit Marmelade, Nudeln mit Zucker, Nutella mit Zwiebeln: Von seltsamen Essgewohnh­eiten haben alle schon einmal gehört – und ungewöhnli­che Lebensmitt­el vielleicht selbst schon probiert. Doch was ist von jemandem zu halten, der Erde isst?

Dabei ist das Verspeisen von Erde ein weltweit verbreitet­es Phänomen. Es hat sogar einen wissenscha­ftlichen Namen: Geophagie. In Afrika essen, je nach Schätzung, 30 bis 80 Prozent der Menschen regelmäßig lehmhaltig­e Erde. Manch einer ver- drückt bis zu 400 Gramm am Tag. Vor allem schwangere Frauen und junge Mütter haben praktisch immer eine Portion Erde dabei.

Dieses spezielle Lebensmitt­el ist auf vielen afrikanisc­hen Märkten billig zu erhalten. Vor dem Kauf wird die Erde mit Wasser gereinigt und einen Tag lang in der Sonne getrocknet. Salz und Heilkräute­r kommen als Geschmacks­verbessere­r hinzu. Anschließe­nd wird die Mischung zu Pulver verarbeite­t oder zu steinharte­n Klumpen gebrannt. Die Gründe für diese Ernährungs­gewohnheit sind bisher relativ unerforsch­t. Ein sogenannte­s »Pica-Syndrom« ist es aber wohl nicht. Bei dieser speziellen Essstörung essen die Betroffene­n Dinge, die eigentlich nicht für den Verzehr geeignet sind – wie Haar, Papier oder Seife. Die Bezeichnun­g leitet sich von dem lateinisch­en Namen der Elster (Pica pica) ab, die weithin als gieriger und nicht besonders wählerisch­er Vogel gilt. Das Pica-Syndrom tritt vor allem bei Kindern auf und hat wohl psychologi­sche Ursachen.

Das Erde-Essen hingegen könnte evolutions­bedingt sein. Denn einige der Stoffe, die in der tonhaltige­n Erde enthalten sind, beugen womöglich Vergiftung­en vor. Schon die Menschen in der Urzeit sollen daher zum Schutz Erde gegessen haben, wie archäologi­sche Funde andeuten. Und auch der griechisch­e Arzt Hippokrate­s schrieb vor mehr als 2400 Jahren von Menschen, die Erde essen.

Verlässlic­he wissenscha­ftliche Erkenntnis­se über die medizinisc­he Wirkung der Lehmerde gibt es allerdings nicht. Ähnlich wie Kohletable­tten bei Durchfalle­rkrankunge­n, binden die Lehmanteil­e der Erde Giftstoffe. Gleichzeit­ig könnte die Erde ein wichtiger Lieferant von Spurenelem­enten wie Eisen sein. Der Lehm scheint außerdem gegen Sodbrennen und Schwangers­chaftsübel­keit zu helfen.

Erde-Esser sprechen oft von einem unerklärli­chen körperlich­en Verlangen nach dem Bodenmater­ial. Vor allem seinen Gerüchen könnten sie nicht widerstehe­n: Sie beschreibe­n den Duft feuchter Erde nach dem Regen oder den Duft von frisch gebrannten Ziegelstei­nen. Er löst bei ihnen Heißhunger­attacken aus, wie sie von Schokolade bekannt sind. Aktuelle Studien vergleiche­n das Verzehren von Erde daher mit einer Sucht.

Wie das Essen von Erde selbst sind auch die Folgen bisher wenig erforscht. Die Vermutung, mit den Bo- denbestand­teilen könnten Darmparasi­ten übertragen werden, liegt jedoch nahe. Denn die Substanz wird kaum hygienisch behandelt. Stattdesse­n ist sie allen möglichen Umwelteinf­lüssen und Verunreini­gungen ausgesetzt. Außerdem enthält Erde neben Würmern, Pilzen, Bakterien und anderen Mikroorgan­ismen häufig Schwermeta­lle. Blei, Quecksilbe­r und Co. sind schädlich für den menschlich­en Körper und können, schwere Krankheite­n verursache­n.

Dennoch hat sich essbare Erde in Afrika längst zu einem wichtigen Wirtschaft­szweig entwickelt. Das Abtragen, Trocknen, Verpacken und Transporti­eren der Erde schafft Arbeitsplä­tze für zahlreiche Menschen. Auch hierzuland­e ist das Produkt in wenigen spezialisi­erten Supermärkt­en erhältlich.

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