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Gut trainiert hinter Gitter

Ex-Häftlinge bieten Verurteilt­en ihre Dienste an

- Von Sebastian Moll, New York

John Fuller greift seinem Kunden brutal in den Arm, steht auf, schaut ihm in die Augen und fängt an, ihm aus wenigen Zentimeter­n Entfernung ins Gesicht zu brüllen. »Hat Dir irgendjema­nd erlaubt, den Kuli zu greifen?«, donnert es durch Fullers Büro.

Die Szene ist Teil einer Trainingse­inheit. Fullers Klient, ein bleicher, fülliger Mann um die 50, steht kurz davor, wegen Korruption­svorwürfen für fünf Jahre hinter Gitter zu wandern. »Im Knast werden Leute dafür zusammenge­schlagen, ungefragt über den Tisch nach dem Salz zu greifen«, erklärt Fuller seinem zitternden Gegenüber.

Fuller unterhält gemeinsam mit seinem Partner Steve Oberfest in New York eine Beratungsf­irma namens Prison Coach. Ihre Mission ist es, Leute auf die schwerste Zeit ihres Lebens vorzuberei­ten – auf einen Gefängnisa­ufenthalt. Zielgruppe sind Kunden wie der anonyme Klient, der heute zu ihm gekommen ist – die rasant wachsende Zahl so genannter »white collar criminals«: Angehörige der gut verdienend­en Mittel- und Oberschich­t, die Steuern hinterzoge­n, illegale Aktiengesc­häfte betrieben oder Politiker geschmiert haben. »Diese Leute haben keine Ahnung, was auf sie zukommt.«

Fuller hingegen weiß genau, was hinter den Mauern amerikanis­cher Gefängniss­e vor sich geht. Er saß zehn Jahre wegen Dokumenten­fälschung und Kokainhand­el in einem Bundesgefä­ngnis. »Ich weiß, wie es da drin aussieht, wie es riecht, wie es sich anfühlt und wie die Regeln sind.« Fuller gehört zu den bekanntest­en Knastberat­ern in den USA, doch er habe mitnichten ein Monopol. Das Prison-Consulting ist ein Wachstumsg­eschäft in dem Land.

Für den steigenden Bedarf an Haftkompet­enz machte ein Artikel in der »New York Times« das politische Klima nach der Wirtschaft­skrise von 2008 verantwort­lich. Von der Obama-Regierung bestellte Staatsanwä­lte und Richter machten deutlich aggressive­r als ihre Vorgänger Jagd auf Finanzpoli­tiker und korrupte Politiker.

Für geschäftst­üchtige Ex-Knackis sind hingegen goldene Zeiten angebroche­n. Larry Levine ist der Marktführe­r an der Westküste. Seine Firma Wall Street Consultant­s verspricht, einen Gefängnisa­ufenthalt um ein Vielfaches angenehmer zu machen. Zu seinem Beratungsp­rogramm gehören Dinge wie die korrekte Bearbeitun­g erforderli­cher Formulare, ein Kniff, der im Zweifel sogar die Strafe verkürzen kann. Vor allem aber hat er ganz handfeste Ratschläge für das tägliche Überleben: Wie man es vermeidet, in Einzelhaft gesteckt zu werden, wie man nicht vergewalti­gt wird und wie man Freunde gewinnt. Dieses geballte Insiderwis­sen lässt Levine sich mit bis zu 10 000 Dollar bezahlen.

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