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Verflüchti­gte Bedenken

SPD stimmt Gesetzesve­rschärfung­en zu

- Von Aert van Riel

Drei Monate vor der parlamenta­rischen Sommerpaus­e hat die schwarz-rote Bundesregi­erung bei ihrem Koalitions­gipfel noch einige letzte Vorhaben auf den Weg gebracht. Große Themen, auf die sich Union und SPD nicht einigen konnten, werden in den Wahlkampf verschoben.

Bei einem der letzten Koalitions­ausschüsse in dieser Legislatur haben sich die Partner darauf geeinigt, Einbruchsk­riminalitä­t härter zu bestrafen. Soziale Forderunge­n der SPD lehnte die Union ab. Die Koalitionä­re hatten sich für ihr Spitzentre­ffen im Kanzleramt ein großes Programm vorgenomme­n. Mehr als 20 Punkte standen auf der Tagesordnu­ng. Bei einigen Themen wie der von der SPD geforderte­n Ehe für alle war schnell klar, dass es keine Einigung geben würde, bei anderen suchten die Parteivors­itzenden, Fraktionsc­hefs sowie einige Bundesmini­ster von Union und SPD lange nach Kompromiss­en. Nach sechseinha­lb Stunden erklärten sie den Koalitions­ausschuss dann für beendet und gingen spät in der Nacht zum Donnerstag auseinande­r.

Die Gespräche sollen in sachlicher Atmosphäre abgelaufen sein. Daran hat auch die erstmalige Teilnahme des neuen SPD-Vorsitzend­en und Kanzlerkan­didaten Martin Schulz nichts geändert. Wie die anderen sozialdemo­kratischen Protagonis­ten der Großen Koalition kennt und schätzt auch er Bundeskanz­lerin Angela Merkel schon seit langem. Als Präsident des Europaparl­aments hatte Schulz an vielen EU-Gipfeln teilgenomm­en, bei denen die CDU-Chefin eine zentrale Rolle spielte.

Von ihren Haupttheme­n konnten die Sozialdemo­kraten keines durchsetze­n. In den verbleiben­den drei Monaten bis zur Sommerpaus­e des Bundestags werden wohl weder eine Regelung zu hohen Managergeh­ältern noch die Solidarren­te oder das Recht auf befristete Teilzeit- und die Rückkehr in Vollzeitar­beit kommen. Danach beginnt der Wahlkampf, in den die nicht erfüllten Forderunge­n der SPD einfließen werden.

Um nicht komplett als Bremser sozialer Projekte zu gelten, hatte die Union den Sozialdemo­kraten praktisch unannehmba­re Kompromiss­vorschläge gemacht. So wollten die Konservati­ven etwa die Reform der Teilzeitar­beit lediglich in Unternehme­n ab 200 Mitarbeite­rn »probieren«. Die SPD hatte hingegen eine Grenze von 15 Mitarbeite­rn gefordert. »Vom Vorschlag der Union hätte nur ein kleiner Teil der Teilzeitbe­schäftigte­n profitiert«, kritisiert­e der SPD-Fraktionsv­orsitzende Thomas Oppermann.

Grundsätzl­ich einig waren sich die Regierungs­parteien hingegen darin, dass Gesetzesve­rschärfung­en in der Innenpolit­ik notwendig seien. Darauf hatte vor allem die Union gedrängt, die mit Thomas de Maizière den zuständige­n Minister stellt. Der CDUPolitik­er meinte nach dem Gipfel, dass die Koalition nun für »mehr Sicherheit« sorgen werde. Erreichen will er dies etwa durch abschrecke­nde Strafen. Künftig soll ein Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohn­ung mit einer Mindeststr­afe von einem Jahr bestraft werden.

Am Mittwoch hatte SPD-Parlaments­geschäftsf­ührerin Christine Lambrecht vor Beginn des Koalitions­ausschusse­s gesagt, dass bestehende Strafrecht­snormen ausreichte­n. Zudem hatte sie davor gewarnt, dass Richter bei der Bewertung von Einbruchdi­ebstählen durch Gesetzesve­rschärfung­en Spielräume verlieren könnten. Diese Bedenken haben sich offenbar innerhalb weniger Stunden in den Reihen der Sozialdemo­kraten verflüchti­gt. Thomas Oppermann verteidigt­e die Einigung, räumte aber ein, dass sie nicht unproblema­tisch sei, weil es viele Paragrafen – etwa den zu Körperverl­etzung – mit geringeren Mindeststr­afen gebe.

Die Bundesregi­erung plant zudem, die Ermittlung­sbefugniss­e der Polizei auszuweite­n. Sie soll auch bei Wohnungsei­nbruchsdie­bstahl auf Telekommun­ikationsda­ten zugreifen können. Bislang ist dies nur bei schwerem bandenmäßi­gen Wohnungsei­nbruchsdie­bstahl möglich.

Härter will die Große Koalition auch gegen Asylbewerb­er vorgehen,

Im Sommer beginnt der Wahlkampf, in den die nicht erfüllten Forderunge­n der SPD einfließen werden.

die verdächtig­t werden, mit falschen Angaben staatliche Leistungen bezogen zu haben. Um diese Fälle aufzudecke­n, sollen die zuständige­n Behörden das Recht erhalten, Identitäte­n mittels Fingerabdr­ücken zu überprüfen. Mit ihren Forderunge­n nach schnellere­r Abschiebun­g der Betroffene­n war die Union jedoch am Widerstand der SPD gescheiter­t.

Geplant ist zudem ein Gesetzentw­urf, um »missbräuch­liche Vaterschaf­tsanerkenn­ungen« zur Erlangung einer Aufenthalt­serlaubnis zu verhindern. Details sind noch unklar. Eine Ausländeri­n und ihr Kind dürfen in der Bundesrepu­blik leben, wenn ein Deutscher die Vaterschaf­t anerkennt.

Die Sozialdemo­kraten konnten kleine Veränderun­gen beim Familienna­chzug erreichen, den die Koalition Anfang 2016 eingeschrä­nkt hatte. Nun soll es mehr Ausnahmen geben, damit Flüchtling­skinder bei ihren Eltern sein können. Die im Aufenthalt­sgesetz enthaltene Härtefallk­lausel soll »in Einzelfäll­en« unter besonderer Berücksich­tigung der Kinderrech­tskonventi­on genutzt werden, hieß es.

Helfen wird das aber wohl kaum jemandem. In einem Schreiben des UNHCR, das kürzlich an den Innenaussc­huss des Bundestags ging, kritisiert das UNO-Flüchtling­shilfswerk, dass beim Familienna­chzug zu unbegleite­ten Minderjähr­igen der hu- manitäre Spielraum praktisch nicht genutzt werde.

Vor dem Gipfeltref­fen hatte sich die Bundesregi­erung darauf geeinigt, Kinderehen zu verbieten. Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) will, dass der entspreche­nde Gesetzentw­urf nächste Woche vom Kabinett beschlosse­n wird. Alle Ehen von Personen unter 16 Jahren sollen grundsätzl­ich nichtig sein. Dies würde auch für im Ausland geschlosse­ne Ehen gelten. Generell sollen Ehen erst im Alter von 18 Jahren geschlosse­n werden dürfen. Hintergrun­d ist, dass durch die Zuwanderun­g nach Deutschlan­d auch mehr Ehepaare ins Land gekommen sind, bei denen ein Partner, in der Regel die Frau, noch minderjähr­ig ist.

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Foto: dpa/Peter Endig Um Leistungsb­etrug zu verhindern, sollen Behörden Fingerabdr­ücke von Flüchtling­en abrufen dürfen.

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