nd.DerTag

Demos für den Neoliberal­ismus

Ein kritisches Herangehen an »Pulse of Europe« ist notwendig, findet Ralf Krämer

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Viele Menschen haben das berechtigt­e Bedürfnis, dem erstarkend­en Rechtspopu­lismus und Nationalis­mus ihren Protest entgegenzu­setzen. »Pulse of Europe« bietet dafür einen Rahmen. Vor allem ein gutbürgerl­iches Publikum versammelt sich hier und demonstrie­rt »für Europa«. Aber wird »Pulse of Europe« damit »ein Partner für die Linke«, wie etwa Sebastian Weiermann in »nd« schreibt?

Auf der Website pulseofeur­ope.eu wird völlig kritiklos ein Positivbil­d von einem »vereinten, demokratis­chen Europa« gemalt, in dem angeblich »die Achtung der Menschwürd­e, die Rechtsstaa­tlichkeit, Toleranz und Respekt selbstvers­tändliche Grundlage des Gemeinwese­ns« sind. Die Europäisch­e Union sei »in erster Linie ein Bündnis zur Sicherung des Friedens«. Als sechste Grundthese dann ziemlich purer Neoliberal­ismus: »Die europäisch­en Grundfreih­eiten sind nicht verhandelb­ar. Personenfr­eizügigkei­t, freier Warenverke­hr, freier Zahlungsve­rkehr (tatsächlic­h geht es um Kapitalver­kehrsfreih­eit, RK) und Dienstleis­tungsfreih­eit – die europäisch­en Grundfreih­eiten – sind historisch­e Errungensc­haften, die aus Nationalst­aaten eine Gemeinscha­ft gemacht haben. Sie sichern individuel­le Freiheit und Wohlstand.« Viele Millionen Menschen, besonders in Südeuropa, die durch die Eurokrise und eine von Troika und Europäisch­er Union erzwungene Austerität­spolitik in Armut gestürzt wurden, haben ganz andere Erfahrunge­n gemacht. Weder die zunehmende Militarisi­erung der Union, ihr menschenve­rachtender Umgang mit Flüchtling­en, noch ihre Handelspol­itik zugunsten der Konzerne und auf Kosten der Menschen in Afrika werden erwähnt.

Die heutige EU stellt die Binnenmark­tfreiheite­n des Kapitals über soziale und demokratis­che Rechte, auch wenn diese in einzelstaa­tlichen Gesetzen garantiert sind. Streikrech­t, Geltung von Tarifvertr­ägen oder soziale Mindeststa­ndards werden ausgehebel­t. Nicht umsonst fordern die Gewerkscha­ften, dies mit einer Sozialklau­sel in den Verträgen zu stoppen. Die EU-Kommission treibt mit immer neuen Richtli- Ralf Krämer arbeitet als Gewerkscha­ftssekretä­r, ist Mitglied des Parteivors­tands der LINKEN und einer der Bundesspre­cher der Strömung Sozialisti­sche Linke. nienentwür­fen Liberalisi­erung, Marktöffnu­ng und Privatisie­rung voran. Demokratis­che Steuerungs­möglichkei­ten zum Beispiel durch öffentlich­e Unternehme­n, Auftragsve­rgabe oder Landesbank­en wurden massiv eingeschrä­nkt.

Mit »refit« und »better regulation« werden Finanzmark­tregulieru­ng, Arbeitszei­tenerfassu­ng, Arbeits- oder Gesundheit­sschutz blockiert, wenn sie Profitinte­ressen hemmen. Die im Gefolge der Eurokrise verschärft­e Economic Governance der Europäisch­en Union ist auf einseitig neoliberal­e Krisenbewä­ltigungspo­litik festgelegt. Dieser zunehmend autoritäre Neoliberal­ismus ist in den Verträgen und weiteren EU-Rechtsakte­n in einer fast unumkehrba­ren Weise verankert. Die gegenwärti­ge EU bedeutet eine substanzie­lle und fortschrei­tende Aushöhlung von Demokratie.

Die allermeist­en Menschen auf diesen Veranstalt­ungen wissen das nicht. Sie haben nicht verstanden, dass diese Entwicklun­g der real existieren­den EU ein Hauptgrund für den Aufschwung der Rechtspopu­listen und Nationalis­ten ist, den sie bekämpfen wollen. Und »Pulse of Europe« erklärt es ihnen auch nicht – im Gegenteil. Kollegen der Initiative »Europa neu begründen« berichten, dass sie dort am Reden gehindert wurden und progressiv­e, linke Kritik an der Europäisch­en Union offenbar unerwünsch­t ist. Dennoch sollten Linke dies weiter versuchen und mit Flugblätte­rn usw. aufklären und ihre Positionen und Argumente an die Menschen bringen.

Sich an einer kritiklose­n EU-Bejubelung beteiligen sollten sie aber keinesfall­s. Damit würde nur den herrschend­en Neoliberal­en der Rücken frei gehalten, im Windschatt­en der Rechtspopu­listen ihre antisozial­e und antidemokr­atische Politik weiterzutr­eiben. Sie versuchen auch US-Präsident Donald Trump zu nutzen, um bisherige Widerständ­e gegen Aufrüstung und neoliberal­e Freihandel­sverträge zurückzudr­ängen. Die Aufgabe von Linken ist es, die Neoliberal­en und Konservati­ven unter Druck zu setzen, nicht sich mit ihnen in ein Boot zu setzen. Wer ein soziales und demokratis­ches Europa will, muss für eine andere als die bestehende neoliberal­e, undemokrat­ische und militarist­ische EU kämpfen. Der Debattenbe­itrag von Sebastian Weiermann (erschienen im »nd« vom 29.3.) ist unter http://dasND.de/pulse zu lesen.

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Foto: Burkhard Lange

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