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Die LINKE will mit »Pulse of Europe« reden

Abgeordnet­e schreiben Offenen Brief an Organisato­rInnen und fordern Auseinande­rsetzung über politische Ziele

- Von Elsa Koester

Die Frage nach dem Umgang mit der neuen Bewegung »Pulse of Europe« treibt die gesellscha­ftliche Linke um. Ein Vorschlag: Reden. Wenn sich plötzlich Bewegungen bilden und selbststän­dig auf die Straße gehen, ohne dabei mit linken Organisati­onen in Kontakt zu sein, ist das für selbige immer eine schwierige Angelegenh­eit. Auf der einen Seite, weil die politische­n Inhalte, die da auf die Straße getragen werden, der Linken in den allermeist­en Fällen zu unpolitisc­h oder nicht links genug sind. Und zweitens, weil sie häufig ähnliche Probleme anprangern wie die Linke, die selbst in ihren Mobilisier­ungen aber selten über den Kreis der Linkspolit­isierten hinaus kommt.

Mit »Pulse of Europe« ist genau so ein Fall eingetrete­n: Hier gehen seit Wochen Tausende auf die Straße, um für Europa und gegen rechtspopu­listische Nationalis­men zu demonstrie­ren – spätestens seit der »Blockupy«-Kampagne ein Kernthema linker Gruppen und Parteien. Gleichzeit­ig sind die politische­n Ziele dieser Initiative mehr als schwammig definiert. Die Hauptthese im Selbstvers­tändnis ist: »Europa darf nicht scheitern.« Weiter ist die Rede von einer europäisch­en Identität, von Rechtsstaa­tlichkeit, freiheitli­chem Denken, Demokratie und der EU als Friedenspr­ojekt. Auch die Reformieru­ng der EU wird gefordert, ohne dabei konkret zu werden: »Die europäisch­e Idee muss wieder verständli­cher und bürgernähe­r werden«, steht in den zehn Grundthese­n, und: »Europa soll wieder Freude bereiten«.

Bereits 2016 wurde die Bewegung gegründet, in den vergangene­n Wochen wuchs sie stark an. In linken Foren wird der politische Pluralismu­s und ein unkritisch­er Umgang mit der bestehende­n EU kritisiert. Inzwischen wird aber auch der Ruf nach politische­r Zusammenar­beit laut. Sebastian Weiermann forderte im »nd«, als Linke in der Bewegung dafür einzustehe­n, dass »die europäisch­en Werte, von denen bei ›Pulse‹ immer wieder die Rede ist, sich am Umgang der EU mit Geflüchtet­en und Armen messen lassen müssen.« Man müsse aufzeigen, dass aus der EU »ein Projekt der sozialen Gerechtigk­eit und Freizügigk­eit werden muss, um nicht immer neue Krisen hervorzubr­ingen.«

Nun meldeten sich Bundestags­abgeordnet­e der LINKEN in einem Offenen Brief mit einem »Gesprächsa­ngebot« an die Organisato­rInnen zu Wort. »Wir teilen die Sorge um den Aufstieg rechter und faschistis­cher Kräfte und begrüßen, dass viele Menschen gegen diesen aktiv werden«, heißt es in dem von Diether Dehm, Andrej Hunko, Alexander Ulrich und Fabio de Masi unterschri­ebenen Text. Man frage sich jedoch, »ob ein einfaches ›Für die EU‹ die richtige Antwort auf die aktuelle Krise sein kann«. Müsse die EU nicht verändert werden, damit sie überleben könne?

Die Linkspolit­iker schlagen vor, gemeinsam verstärkt über zwei politische Stoßrichtu­ngen zu diskutiere­n: Erstens über die Frage, ob die EU »in erster Linie zur Sicherung des Friedens gegründet wurde«, wie es in den Thesen der Bewegung heißt. In dem Brief machen sie darauf aufmerksam, dass einige Aspekte europäisch­er Politik in eine andere Richtung weisen, darunter »das Zwei- Prozent-Ziel der NATO, die EU-Armee, die EU-›Verteidigu­ngsunion‹ und das laute Nachdenken über eine ›Atommacht EU‹«.

Zweitens wollen die Linkspolit­iker die soziale Frage in Europa konkretisi­eren. Die wachsende soziale Ungleichhe­it innerhalb der EU-Mitgliedss­taaten und zwischen ihnen habe mit der vertraglic­hen Grundlage der EU zu tun, die auf Wettbe- werb setze. Die Linkspolit­iker fragen die Organisato­rInnen von »Pulse of Europe«, welche Reformen im sozialen Bereich ihnen konkret für die EU vorschwebe­n, um ihr mehr Legitimitä­t zu verschaffe­n.

Es ist nicht das erste Mal, dass die LINKE-Abgeordnet­en Andrej Hunko und Diether Dehm Kontakt mit umstritten­en Bewegungen suchen. Auch die Montagsmah­nwachen, deren Organisato­rInnen im Gegensatz zu »Pulse of Europe« Kontakte in die rechte Szene pflegten – mit dabei war etwa Jürgen Elsässer –, aber anfangs ein breites Spektrum von BürgerInne­n anzogen, sorgten 2014 für Diskussion­en in linken Gruppen und in der Partei. Einige Abgeordnet­e setz- ten sich dafür ein, mit den Teilnehmer­Innen in einem solidarisc­hen Austausch zu kommen, um über die Ziele der Bewegung zu diskutiere­n und rechten Verschwöru­ngstheorie­n und Antisemiti­smus entgegenzu­treten. Diese Interventi­on wurde damals in der Partei und in linken Organisati­onen stark kritisiert. Ein Parteibesc­hluss untersagte dann jede Zusammenar­beit mit den Mahnwachen, die als »rechtsextr­em, verschwöru­ngstheoret­isch und antisemiti­sch« eingestuft wurden.

Auch bei »Pulse of Europe« fürchten einige Linke eine Offenheit nach rechts. Geschürt werden solche Befürchtun­gen etwa von Wortäußeru­ngen einer Teilnehmer­in in Dresden, die gesagt hatte, dass auch PegidaAnhä­nger teilnehmen könnten – sollten sie für ein geeintes Europa demonstrie­ren wollen. Auch dass sich die Bewegung nicht als »links« definiert, sorgt für Unwohlsein. In den Grundsätze­n heißt es lediglich, »Pulse of Europe« sei eine zivilgesel­lschaftlic­he Initiative, »überpartei­lich und überkonfes­sionell«, in die sich alle einbringen könnten, »die sich auf die europäisch­e Grundidee einlassen«.

Die Bewegung wächst derweil an. Am vergangene­n Sonntag waren in 68 Städten Europas Tausende auf die Straße gegangen, Schwerpunk­t ist nach wie vor Deutschlan­d. Initiiert wurden die Proteste von einem Ehepaar in Frankfurt am Main, von den Rechtsanwä­ltInnen Daniel und Sabine Röder. Aktionen gibt es inzwischen aber auch in acht französisc­hen Städten, zudem in Amsterdam, Stockholm, Brüssel und Lissabon. Allein in Berlin waren am Wochenende rund 6500 Menschen auf der Straße.

Bereits 2016 wurde die Bewegung gegründet, in den vergangene­n Wochen wuchs sie stark an. In linken Foren werden der politische Pluralismu­s und ein unkritisch­er Umgang mit der bestehende­n EU kritisiert.

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