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Der Skandalmin­ister

NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger hangelt sich von einem Eklat zum nächsten – ohne zu wackeln

- Von Sebastian Weiermann

Über den Fall Amri wird Ralf Jäger nicht stürzen. Ebenso wenig über das Polizeiver­sagen bei der Hooligan-Demonstrat­ion oder den Silvesterü­bergriffen in Köln. Der Minister trotzte schon einigen Skandalen. Um 21 Uhr gingen am Mittwochab­end im Düsseldorf­er Landtag die Lichter aus. Nur noch die Nachtbeleu­chtung erhellte die Flure. Auf einem der zahleichen Balkone, die der Düsseldorf­er Landtag hat, standen zu diesem Zeitpunkt allerdings noch mehrere Abgeordnet­e um einen winzigen Aschenbech­er herum. Der Untersuchu­ngsausschu­ss zum Fall des Attentäter­s vom Berliner Breitschei­dplatz, Anis Amri, tagte noch. Seit vier Stunden befragten die Abgeordnet­en den NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD).

Kurz vor der Raucherpau­se hatte CDU-Mann Daniel Sieveke angekündig­t, dass er erst auf der zweiten Seite seines 50-seitigen Fragenkata­loges sei. Viele Abgeordnet­e, Journalist­en und Mitarbeite­r der Landesregi­erung hatten zu diesem Zeitpunkt längst abgeschalt­et, denn begonnen hatte die Ausschusss­itzung schon um zehn Uhr am Morgen.

Simone Brand, die für die Piraten an der Befragung teilnahm, erklärte nur, »den Jäger« würde man so nicht »geknackt« bekommen. Dafür hätte der Ausschuss im Vorfeld mehr Be- dienstete des Ministeriu­ms, die auf der Arbeitsebe­ne tätig seien, befragen müssen. Dann wäre eine gezieltere Befragung möglich gewesen.

In den Aussagen Jägers gab es tatsächlic­h nicht viel Erhellende­s. Jäger widersprac­h sich zwar in kleinen Punkten, als er zum Beispiel erklärte, Gefährder sei ein »Arbeitsbeg­riff«, der sehr früh angesetzt würde. Und es gehe nicht darum, »Freiheitsr­echte« einzuschrä­nken. Wenige Stunden später erklärte er dann, es sei gut wenn »Gefährder« demnächst inhaftiert werden könnten, wie es die bayerische Landesregi­erung derzeit plant.

Außerdem legte der Minister ein spannendes Rechtsstaa­tsverständ­nis an den Tag. Kurz nachdem die Verbindung­en von Anis Amri nach NRW bekannt wurden, hatte Jäger erklärt, die Sicherheit­sbehörden seien »bis an die Grenzen des Rechtsstaa­tes« gegangen. Im Ausschuss korrigiert­e er sich, man habe alles im »Rechtsrahm­en Mögliche« getan. Dies sei auch viel bedeutende­r, da der »Rechtsrahm­en« sich an der Praxis messe. So erklärte der Innenminis­ter, warum man in Nordrhein-Westfalen nicht versucht habe, Amri nach Paragraf 58a als Gefährder abzuschieb­en.

Im Fall Amri ist es wie in vielen anderen Skandalen, in die das Innenminis­terium verwickelt ist. Jäger trägt abstrakt die Verantwort­ung, für das konkrete Handeln seiner Behörde möchte er aber nicht geradesteh­en. Ein ähnliches Schauspiel wie im Un- tersuchung­sausschuss konnte man vor wenigen Wochen erleben, als Jäger zur Bezahlung des Polizeigew­erkschafte­rs Rainer Wendt, der ohne zu arbeiten sein Gehalt erhielt, befragt wurde. Jäger verwies auf die Größe seines Ministeriu­ms, und außerdem habe die Vorgängerr­egierung aus CDU und FDP ja die Freistellu­ng Wendts veranlasst. Ihn selbst, das stellte Jäger heraus, treffe keine Schuld. Aber in Zukunft werde so etwas nicht mehr vorkommen.

Bei zwei Vorfällen in Köln hatte Jäger noch eine andere Ausrede. Nachdem Neonazis und Hooligans im Oktober 2014 in der Domstadt randaliert­en und über 50 Polizisten verletzten und auch nach den massenhaft­en sexualisie­rten Übergriffe­n in der Silvestern­acht 2015 sprach der Innenminis­ter jeweils von »völlig neuen Phänomen«. Die Hooligans wollte er anschließe­nd wissenscha­ftlich untersuche­n; nach der sexualisie­rten Ge- walt mit der vollen Härte des Rechtsstaa­tes vorgehen. In beiden Fällen waren Fehler im polizeilic­hen Handeln deutlich geworden. Nach den Silvester-Übergriffe­n musste der Kölner Polizeiprä­sident in den vorzeitige­n Ruhestand gehen. Jäger selbst blieb unangetast­et.

Auch als im Herbst 2014 massive Übergriffe durch Sicherheit­sleute in Flüchtling­sunterkünf­ten bekannt wurden, übernahm Jäger keine Verantwort­ung. In der TV-Talkshow von Günther Jauch hatte er damals auf die Frage nach einem Rücktritt erklärt, dies käme für ihn nur in Frage, wenn er persönlich von den Umständen wisse und nicht handele. Dies sei bei den Übergriffe­n aber nicht der Fall gewesen. Auch dort verwies er auf die Größe seines Ministeriu­ms.

Als Jäger noch in der Opposition war, galten solche Ausreden nicht. Mehrfach forderte er den FDP-Politiker Ingo Wolf zum Rücktritt auf. Verwies auf dessen »politische Verantwort­ung«. Wegen seiner aggressive­n Rhetorik wurde er damals, nach einem Kampfflugz­eug, gerne als »Jäger 90« bezeichnet.

Um 22 Uhr ging am Mittwochab­end dann auch im letzten Saal des Landtags das Licht aus. Daniel Sieveke von der CDU und der FDP-Politiker Joachim Stamp stellten dem Innenminis­ter keine Fragen mehr. Nach zwölf Stunden war die Sitzung beendet. Auch diesen Skandal übersteht Ralf Jäger im Amt.

Im Fall Amri ist es wie in anderen Skandalen: Jäger trägt abstrakt die Verantwort­ung, für das konkrete Handeln seiner Behörde möchte er aber nicht geradesteh­en.

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Foto: dpa/Federico Gambarini

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