Der Skandalminister
NRW-Innenminister Ralf Jäger hangelt sich von einem Eklat zum nächsten – ohne zu wackeln
Über den Fall Amri wird Ralf Jäger nicht stürzen. Ebenso wenig über das Polizeiversagen bei der Hooligan-Demonstration oder den Silvesterübergriffen in Köln. Der Minister trotzte schon einigen Skandalen. Um 21 Uhr gingen am Mittwochabend im Düsseldorfer Landtag die Lichter aus. Nur noch die Nachtbeleuchtung erhellte die Flure. Auf einem der zahleichen Balkone, die der Düsseldorfer Landtag hat, standen zu diesem Zeitpunkt allerdings noch mehrere Abgeordnete um einen winzigen Aschenbecher herum. Der Untersuchungsausschuss zum Fall des Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, tagte noch. Seit vier Stunden befragten die Abgeordneten den NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD).
Kurz vor der Raucherpause hatte CDU-Mann Daniel Sieveke angekündigt, dass er erst auf der zweiten Seite seines 50-seitigen Fragenkataloges sei. Viele Abgeordnete, Journalisten und Mitarbeiter der Landesregierung hatten zu diesem Zeitpunkt längst abgeschaltet, denn begonnen hatte die Ausschusssitzung schon um zehn Uhr am Morgen.
Simone Brand, die für die Piraten an der Befragung teilnahm, erklärte nur, »den Jäger« würde man so nicht »geknackt« bekommen. Dafür hätte der Ausschuss im Vorfeld mehr Be- dienstete des Ministeriums, die auf der Arbeitsebene tätig seien, befragen müssen. Dann wäre eine gezieltere Befragung möglich gewesen.
In den Aussagen Jägers gab es tatsächlich nicht viel Erhellendes. Jäger widersprach sich zwar in kleinen Punkten, als er zum Beispiel erklärte, Gefährder sei ein »Arbeitsbegriff«, der sehr früh angesetzt würde. Und es gehe nicht darum, »Freiheitsrechte« einzuschränken. Wenige Stunden später erklärte er dann, es sei gut wenn »Gefährder« demnächst inhaftiert werden könnten, wie es die bayerische Landesregierung derzeit plant.
Außerdem legte der Minister ein spannendes Rechtsstaatsverständnis an den Tag. Kurz nachdem die Verbindungen von Anis Amri nach NRW bekannt wurden, hatte Jäger erklärt, die Sicherheitsbehörden seien »bis an die Grenzen des Rechtsstaates« gegangen. Im Ausschuss korrigierte er sich, man habe alles im »Rechtsrahmen Mögliche« getan. Dies sei auch viel bedeutender, da der »Rechtsrahmen« sich an der Praxis messe. So erklärte der Innenminister, warum man in Nordrhein-Westfalen nicht versucht habe, Amri nach Paragraf 58a als Gefährder abzuschieben.
Im Fall Amri ist es wie in vielen anderen Skandalen, in die das Innenministerium verwickelt ist. Jäger trägt abstrakt die Verantwortung, für das konkrete Handeln seiner Behörde möchte er aber nicht geradestehen. Ein ähnliches Schauspiel wie im Un- tersuchungsausschuss konnte man vor wenigen Wochen erleben, als Jäger zur Bezahlung des Polizeigewerkschafters Rainer Wendt, der ohne zu arbeiten sein Gehalt erhielt, befragt wurde. Jäger verwies auf die Größe seines Ministeriums, und außerdem habe die Vorgängerregierung aus CDU und FDP ja die Freistellung Wendts veranlasst. Ihn selbst, das stellte Jäger heraus, treffe keine Schuld. Aber in Zukunft werde so etwas nicht mehr vorkommen.
Bei zwei Vorfällen in Köln hatte Jäger noch eine andere Ausrede. Nachdem Neonazis und Hooligans im Oktober 2014 in der Domstadt randalierten und über 50 Polizisten verletzten und auch nach den massenhaften sexualisierten Übergriffen in der Silvesternacht 2015 sprach der Innenminister jeweils von »völlig neuen Phänomen«. Die Hooligans wollte er anschließend wissenschaftlich untersuchen; nach der sexualisierten Ge- walt mit der vollen Härte des Rechtsstaates vorgehen. In beiden Fällen waren Fehler im polizeilichen Handeln deutlich geworden. Nach den Silvester-Übergriffen musste der Kölner Polizeipräsident in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Jäger selbst blieb unangetastet.
Auch als im Herbst 2014 massive Übergriffe durch Sicherheitsleute in Flüchtlingsunterkünften bekannt wurden, übernahm Jäger keine Verantwortung. In der TV-Talkshow von Günther Jauch hatte er damals auf die Frage nach einem Rücktritt erklärt, dies käme für ihn nur in Frage, wenn er persönlich von den Umständen wisse und nicht handele. Dies sei bei den Übergriffen aber nicht der Fall gewesen. Auch dort verwies er auf die Größe seines Ministeriums.
Als Jäger noch in der Opposition war, galten solche Ausreden nicht. Mehrfach forderte er den FDP-Politiker Ingo Wolf zum Rücktritt auf. Verwies auf dessen »politische Verantwortung«. Wegen seiner aggressiven Rhetorik wurde er damals, nach einem Kampfflugzeug, gerne als »Jäger 90« bezeichnet.
Um 22 Uhr ging am Mittwochabend dann auch im letzten Saal des Landtags das Licht aus. Daniel Sieveke von der CDU und der FDP-Politiker Joachim Stamp stellten dem Innenminister keine Fragen mehr. Nach zwölf Stunden war die Sitzung beendet. Auch diesen Skandal übersteht Ralf Jäger im Amt.
Im Fall Amri ist es wie in anderen Skandalen: Jäger trägt abstrakt die Verantwortung, für das konkrete Handeln seiner Behörde möchte er aber nicht geradestehen.