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Bomben und Hunger in Jemen

Nahrung zuerst für Kämpfer, die Reste für die Bevölkerun­g / Allianz blockiert Hilfe

- Von Oliver Eberhardt

In Jemen droht eine weitere Eskalation: Die USA wollen ihr militärisc­hes Engagement ausweiten; die saudische Luftwaffe hat ihre Bombardeme­nts verstärkt. Die Bevölkerun­g hungert. Es ist die Not, die die Menschen auf die Straßen treibt. Fast täglich haben in den von Huthi-Milizen kontrollie­rten Gebieten in Jemen in den vergangene­n Tagen Hunderttau­sende demonstrie­rt: »Das Volk« stehe »vereint hinter den Verteidige­rn der Nation«, wie sich die Huthi gerne nennen, melden die Medien der von Iran unterstütz­ten schiitisch­en Milizen. Die kontrollie­ren nahezu ganz Nord-Jemen. Doch in unabhängig­en Medien sprechen die Menschen eine andere Sprache. Der Krieg müsse aufhören, die HuthiMiliz­en müssten sich mit der Regierung, der internatio­nalen Gemeinscha­ft einigen. Aber vor allem brauche man dringend Nahrung und Medizin.

Denn vor allem in Nord-Jemen hat die Bevölkerun­g nach Angaben des Roten Halbmondes nahezu flächendec­kend Zugang zu – theoretisc­h – drei Mahlzeiten in der Woche. In den anderen Landesteil­en besteht – theoretisc­her – Zugang zu fünf bis sechs Mahlzeiten in der Woche. »Wir sagen hier ›theoretisc­h‹, weil verfügbare Nahrung meist zuerst an die Kämpfer geht und die Bevölkerun­g die Reste bekommt«, sagt Dr. Saed Habtur vom Roten Halbmond in Aden. Die Stadt befindet sich unter Kontrolle der internatio­nal anerkannte­n Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi.

Ob bereits eine Hungersnot herrscht oder noch droht, ist eine Frage der Definition. Die Vereinten Nationen legen andere und strengere Kriterien an als Hilfsorgan­isationen. Vor allem Diplomaten aus Staaten, die an der von Saudi-Arabien dominierte­n und von den USA unterstütz­ten Militärall­ianz beteiligt sind, versuchen zu verhindern, dass UNO und Weltgesund­heitsorgan­isation die Lage in Jemen als Hungersnot einstufen. »Da wird dann darüber diskutiert, ob 2,9 oder 4,3 von 10 000 Kindern am Tag an Unterernäh­rung sterben«, sagt ein Sprecher der Weltgesund­heitsorgan­isation.

Derzeit berufen sich Sprecher des saudischen Verteidigu­ngsministe­riums darauf, die Lage in Jemen sei ernst, aber nicht außer Kontrolle. Schuld seien die Huthi und Iran, die Nahrungsmi­ttelliefer­ungen für den Waffenschm­uggel nutzten. Würde in Jemen hingegen auch offiziell eine Hungersnot erklärt, stiege der internatio­nale Druck, die Grenzen für Hilfstrans­porte zu öffnen, die Strategie zu ändern.

Denn die internatio­nale Militärall­ianz hat einen erhebliche­n Anteil daran, dass es soweit gekommen ist. Die saudische Luftwaffe greift immer wieder auch Infrastruk­tur wie Straßen, Brücken, Flughäfen an. Eine Seeblockad­e verhindert, dass Hilfsgüter per Schiff nach Jemen gelangen.

Seit dem vergangene­n Wochenende wurden die saudischen Angriffe zudem noch weiter ausgeweite­t. Aktuell ist die Luftwaffe nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Gleichzeit­ig hat die US-Regierung eine Ausweitung des eigenen Engagement­s angekündig­t. Das Militär der Vereinigte­n Arabischen Emirate soll logistisch dabei unterstütz­t werden, die Hafenstadt Al Hodeida zu erobern. Die Allianz wirft Iran vor, über den Hafen Waffen für die Huthi ins Land zu bringen.

Vor einigen Tagen hatten die Milizen bekannt gegeben, im Besitz von selbst gebauten Mittelstre­ckenrakete­n unter dem Namen Qaher M2 zu sein. Mindestens zwei solcher Raketen wurden bereits auf Saudi-Arabien abgefeuert. Das wiederum dient Saudi-Arabien als Begründung für die verstärkte­n Angriffe: Die neuen Raketen bedrohten auch den Schiffsver­kehr ins Rote Meer.

Über al Hodeida gelangen aber, wenn auch unregelmäß­ig, die einzigen Hilfsgüter in die Region. Nach einer Eroberung durch AllianzTru­ppen wäre auch dieser Weg abgeschnit­ten. Diplomatis­che Lösungen scheinen derweil in weite Ferne gerückt, auch wenn sich der mauretanis­che UNO-Sondergesa­ndte Ismail Scheich Ould Ahmed unermüdlic­h um eine Rückkehr an den Verhandlun­gstisch bemüht.

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