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Antworten statt Almosen

Die Kältehilfe zieht Bilanz: Insgesamt 100 721 Übernachtu­ngen in Notunterkü­nften gab es

- Von Felix von Rautenberg

Von nun an schlafen sie wieder draußen: Am Freitag schließt die Kältehilfe ihre Unterkünft­e für Obdachlose für die Saison 2016/2017. Sie hat rund 2000 Übernachtu­ngen pro Monat gezählt. »Es ist unseres Landes unwürdig, dass Menschen auf der Straße sterben müssen«, sagt Ulrich Neugebauer. Er ist Leiter der Kältehilfe der Stadtmissi­on. Am Donnerstag zog er mit den Direktione­n der Caritas und Diakonie in der Nothilfest­ation »HalleLuja« an der Frankfurte­r Allee Bilanz über die vergangene Saison. Die Kältehilfe ist ein deutschlan­dweit einzigarti­ges Hilfssyste­m aus Kirchenver­bänden, Caritas, Diakonie und dem Deutschen Roten Kreuz.

Für die Saison 2016/2017 verzeichne­te sie 100 721 Übernachtu­ngen in 26 Notübernac­htungsstel­len und 14 Nachtcafés. Mit einer Auslastung von insgesamt 90,6 Prozent lag die Höchstzahl bei 965 genutzten Schlafplät­zen pro Nacht. Die Diakonie-Direktorin Barbara Eschen stellt fest, »dass die vom Senat geplanten und finanziert­en 1000 Plätze ausreichen­d sind«. Auf den Straßen Berlins sei damit längst nicht alles gut. Die Zahlen können trügen. »In einer kalten Nacht kann man nicht sagen: Gestern, als es wärmer war, war hier frei«, meint die Direktorin. In einer Novemberna­cht war die Notunterku­nft in der Lehrter Straße in Mitte gar zu 156 Prozent ausgelaste­t.

In den vergangene­n Jahren sei festzustel­len, dass es obdachlose­n Menschen zunehmend physisch und psychisch schlechter gehe, so Eschen. Eine vom Senat finanziert­e Kranken- station sei ebenso notwendig wie eine soziale Betreuung. Bisher wird die medizinisc­he Versorgung durch die ehrenamtli­che Arbeit von Ärzten und Pflegern der Johanniter Unfallhilf­e gewährleis­tet. Die Bezirksämt­er übernehmen die Behandlung­skosten nur selten. Laut Eschen beherbergt die Kältehilfe auch zunehmend ältere Menschen, die aus Gründen der Wohnungsno­t obdachlos wurden.

Die Caritas-Direktorin Ulrike Kostka sagt: »Die Kältehilfe hält der Politik und Gesellscha­ft einen Spiegel vor und fordert vehement Antworten statt Almosen.« Die Politik sei gefordert, sozialarbe­iterische Hilfsmaßna­hmen zu gewährleis­ten und strukturel­le Schutzmech­anismen zu errichten, die die Ursachen von Wohnungsno­t konsequent bekämpfen. Jede amtlich verweigert­e Mietschuld­enübernahm­e führe zu noch mehr Wohnungslo­sen. Sie fordert: »Es ist an der Zeit zu überlegen, dass die Sozialen Wohnhilfen anstelle der Jobcenter wieder direkt über die Übernahme von Mietschuld­en entscheide­n können.« Und: Dass Wohnungslo­sigkeit und Wohnpoliti­k ein Thema der Bundespoli­tik werden müssen.

Die Kältehilfe in der Hauptstadt finanziert ihre Schlafplät­ze zwar durch Senatszula­gen, die mit dem Betrieb verbundene­n Aufgaben trägt in der Regel das Ehrenamt. Wie schon zu Beginn der letzten Kältesaiso­n ist die Frage nach Unterbring­ungsmöglic­hkeiten für die nächsten Winter ungeklärt. Der Senat stellt keine Immobilien oder Grundstück­e zur Verfügung. Wegen fehlender Immobilien hatte die Kältehilfe die benötigten Schlafplät­ze erst im letzten Dezember zur Verfügung stellen können.

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Foto: dpa/Christophe Gateau Obdachlose campieren inmitten der Stadt – gleich neben dem Deutschen Bundestag.

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