Phil Collins?
Das
Schönste an der Band Mutter ist, dass sie unbeirrt seit Jahrzehnten tut, was sie will. Für Moden, Trends, Styles, Produktmanagement und Verkaufszahlen interessiert man sich bei der Band nicht über die Maßen. Warum auch. Ihre Platten erscheinen auf dem bandeigenen Kleinlabel »Die Eigene Gesellschaft«. Was schön ist in einer Zeit wie der unseren, in der alles, was atmet, permanent auf seine Tauglichkeit als Konsument oder Produzent abgeklopft wird.
Im Grunde gilt für Mutter nichts anderes als das, was der Radio-DJ John Peel einmal über eine seiner Lieblingsgruppen, die britischen The Fall, sagte: »Sie sind immer anders. Sie sind immer gleich.« Soll heißen: Mutter erkennt man sofort als Mutter, auch wenn logischerweise keines der Alben wie das andere klingt. Der Sänger von Mutter, der 53-jährige Max Müller, der auch zeichnet und Gemälde malt, die manchmal aufs Plattencover kommen, verfasst wohl die einzigen Songtexte in deutscher Sprache, die ohne Euphemismen, Stammtisch- oder Schenkelklopfhumor, Pathos, Larmoyanz, Herzschmerzkitsch, Phrasen und dummes Geschwätz auskommen. Offenbar schreibt er noch so, wie man es von ihm gewohnt ist. »Menschen werden alt und dann sterben sie« lautet etwa der schönste Songtitel auf der soeben erschienenen neuen Platte von Mutter. »Mein Ziel ist, eindeutig zu formulieren, ohne verquaste Poesie, doch durch diese Klarheit ergibt sich auch eine Abstraktion«, sagte Müller kürzlich der Zeitung »Freitag«.
Die bereits seit den 80er Jahren mit krachigem, wuchtigem Impround Rumpelrock und der Thematisierung nicht gelingenden Lebens den musikindustriellen Dauerbetrieb tapfer ignorierende Gruppe Mutter ist die fleischgewordene Antithese zu jenem tristen Erbaulich- und Beschaulichkeitspop, der einem hierzulande für gewöhnlich aus sämtlichen Kanälen entgegendudelt. Max Müller nannte diese Art von Schlagermusik einmal treffend »FDP-Rock«. Hier hingegen, bei Mutter, erlaubt man sich auch mal ein hübsch unübersichtliches, zähes Bassgewummer, das an den knurrigen Todesblues von Bands wie Earth oder Lärmvirtuosen wie die Swans erinnert. Aber es walten genauso auch lieblich-melancholische Melodien. Einer der schönsten Sätze, die Müller einmal vor Jahren im Gespräch mit mir fallen ließ, lautet: »Wir sind nicht Phil Collins.«
Auch von der ebenfalls seit den 80ern das Feld zwischen Melancholie und Nichteinverstandensein auslotenden Popsängerin Christiane Rösinger gibt es ein neues Album zu den Berliner Dauerthemen Gentrifizierung, Älterwerden und mittelschlechte Laune. Und es ist natürlich gut. »Heiterkeit und Depression / Das kommt halt vor, das kennt man schon.« Mutter: »Der Traum vom Anderssein« (Die Eigene Gesellschaft / Hanseplatte) Christiane Rösinger: »Lieder ohne Leiden« (Staatsakt / Caroline International) Berlin-Konzerte: 1.4., HAU 1 (Christiane Rösinger), 29.4., Festsaal Kreuzberg (Mutter)