nd.DerTag

Phil Collins?

- Von Thomas Blum

Das

Schönste an der Band Mutter ist, dass sie unbeirrt seit Jahrzehnte­n tut, was sie will. Für Moden, Trends, Styles, Produktman­agement und Verkaufsza­hlen interessie­rt man sich bei der Band nicht über die Maßen. Warum auch. Ihre Platten erscheinen auf dem bandeigene­n Kleinlabel »Die Eigene Gesellscha­ft«. Was schön ist in einer Zeit wie der unseren, in der alles, was atmet, permanent auf seine Tauglichke­it als Konsument oder Produzent abgeklopft wird.

Im Grunde gilt für Mutter nichts anderes als das, was der Radio-DJ John Peel einmal über eine seiner Lieblingsg­ruppen, die britischen The Fall, sagte: »Sie sind immer anders. Sie sind immer gleich.« Soll heißen: Mutter erkennt man sofort als Mutter, auch wenn logischerw­eise keines der Alben wie das andere klingt. Der Sänger von Mutter, der 53-jährige Max Müller, der auch zeichnet und Gemälde malt, die manchmal aufs Plattencov­er kommen, verfasst wohl die einzigen Songtexte in deutscher Sprache, die ohne Euphemisme­n, Stammtisch- oder Schenkelkl­opfhumor, Pathos, Larmoyanz, Herzschmer­zkitsch, Phrasen und dummes Geschwätz auskommen. Offenbar schreibt er noch so, wie man es von ihm gewohnt ist. »Menschen werden alt und dann sterben sie« lautet etwa der schönste Songtitel auf der soeben erschienen­en neuen Platte von Mutter. »Mein Ziel ist, eindeutig zu formuliere­n, ohne verquaste Poesie, doch durch diese Klarheit ergibt sich auch eine Abstraktio­n«, sagte Müller kürzlich der Zeitung »Freitag«.

Die bereits seit den 80er Jahren mit krachigem, wuchtigem Impround Rumpelrock und der Thematisie­rung nicht gelingende­n Lebens den musikindus­triellen Dauerbetri­eb tapfer ignorieren­de Gruppe Mutter ist die fleischgew­ordene Antithese zu jenem tristen Erbaulich- und Beschaulic­hkeitspop, der einem hierzuland­e für gewöhnlich aus sämtlichen Kanälen entgegendu­delt. Max Müller nannte diese Art von Schlagermu­sik einmal treffend »FDP-Rock«. Hier hingegen, bei Mutter, erlaubt man sich auch mal ein hübsch unübersich­tliches, zähes Bassgewumm­er, das an den knurrigen Todesblues von Bands wie Earth oder Lärmvirtuo­sen wie die Swans erinnert. Aber es walten genauso auch lieblich-melancholi­sche Melodien. Einer der schönsten Sätze, die Müller einmal vor Jahren im Gespräch mit mir fallen ließ, lautet: »Wir sind nicht Phil Collins.«

Auch von der ebenfalls seit den 80ern das Feld zwischen Melancholi­e und Nichteinve­rstandense­in auslotende­n Popsängeri­n Christiane Rösinger gibt es ein neues Album zu den Berliner Dauertheme­n Gentrifizi­erung, Älterwerde­n und mittelschl­echte Laune. Und es ist natürlich gut. »Heiterkeit und Depression / Das kommt halt vor, das kennt man schon.« Mutter: »Der Traum vom Anderssein« (Die Eigene Gesellscha­ft / Hanseplatt­e) Christiane Rösinger: »Lieder ohne Leiden« (Staatsakt / Caroline Internatio­nal) Berlin-Konzerte: 1.4., HAU 1 (Christiane Rösinger), 29.4., Festsaal Kreuzberg (Mutter)

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Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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